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Pflege

Was bleibt vom „größten Pflegepaket“? Eine Zwischenbilanz – Teil 1

Im Mai 2022 hat die Re­gie­rung ihren großen Wurf prä­sen­tiert. Was brachte das „Pflege­-Reform­paket“? 

Martina Fassler
20.04.2023
in diesem Artikel

    „Das größte Pflege-­Reformpaket der vergangenen Jahr­zehnte“ verkündete die Bundesregierung am Inter­nationalen Tag der Pflege, dem 12. Mai, vergangenen Jahres. Just ein paar Stunden bevor Tausende Menschen dem Aufruf der Gewerkschafts­bewegung folgten und österreichweit zu Demos für gute Arbeit und faire Bezahlung im Gesundheits­bereich zusammenkamen. Die Regierung versprach eine Milliarde Euro zusätzlich bis zum Ende der Gesetz­gebungs­periode aufzuwenden, um die Situation für die Menschen, die in der Pflege arbeiten, zu verbessern. AKtuell hat nachgefragt, wie die versprochenen Maßnahmen wirken und was fehlt.

     

    Infografik: Das sagen die Beschäftigten in den Gesundheitsberufen © AKtuell. Quelle: Misscare-Austria Studie
    © AKtuell. Quelle: Misscare-Austria Studie
    Gerald Mjka, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft vida © Offensive Gesundheit
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    Gerald Mjka, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft vida
    „Die Ent­las­tungs­woche ist eine Mo­gel­packung. Wir ver­lan­gen eine ge­ne­relle Ar­beits­zeit­ver­kür­zung bei vollem Lohn­aus­gleich.“

    Gerald Mjka, Gewerkschaft vida

    Der Pflegebonus kam spät, nicht für alle und ist befristet


    Mehr Gehalt für jede:n einzelne:n Beschäftigte:n in der Pflege stellte die Regierung in Aussicht. Versprochen wurde ein Pflege­bonus für Vollzeitkräfte von rund 2.000 Euro, befristet für die Jahre 2022 und 2023. „Die Beschäftigten haben erwartet, 2.000 Euro netto zu bekommen. Doch erst kam gar nichts und dann viel weniger als gedacht bei den einzelnen Beschäftigten an, weil es sich um eine Brutto-Zahlung handelt. Die Abwicklung erfolgte je nach Bundes­land anders“, erinnert sich Silvia Rosoli, Leiterin der Abteilung Gesundheits­berufe und Pflegepolitik in der AK Wien. Für 2022 wurde der Pflegebonus rück­wirkend einmalig ausbezahlt, seit heuer erhalten die Beschäftigten in der Pflege den Bonus monatlich. Für Vollzeit­beschäftigte macht das knapp 140 Euro brutto aus - sofern sie den Bonus überhaupt erhalten.


    Viele Berufs­gruppen schauen beim Pflege­bonus durch die Finger. Das treibt einen Spalt zwischen die Beschäftigten. Dabei leisten alle ihren Beitrag“, kritisiert Hannes Wölflingseder, Vorsitzender des Betriebsrats im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Wien. „Wieder einmal vergessen wurden beim Pflegebonus auch die Hebammen und die Beschäftigten in den medizinischen, thera­peutischen und diagnostischen Gesund­heitsberufen (MTDG)“, kritisiert Andrea Wadsack, Vorsitzende des Personal­gruppen­ausschusses MTDG in der Hauptgruppe 2 der Gewerkschaft Younion.

     
    Auch viele weitere Gruppen, darunter die medizinischen Assistenzberufe (DMTF/MAB) oder die Beschäftigten im nieder­gelassenen Bereich, gingen leer aus. Gerald Mjka, stell­vertretender Vorsitzender der Gewerkschaft vida, stellt klar: „Alle Beschäf­tigten im Gesundheits- und Sozial­bereich sollen den Bonus bekommen, auch der OP-Assistent und die Behinderten­betreuerin.“ 


    Angesichts der eklatanten Belastungen, denen die Beschäftigten im Sozial- und Gesundheits­bereich ausgesetzt sind, müsse der Pflegebonus auch in den Folgejahren ausbezahlt werden, setzt Mjka nach.

    Die Entlastungswoche hielt nicht, was versprochen wurde

    Eine zusätzliche Entlastungs­woche für Menschen ab dem 43. Lebensjahr versprach die Regierung als weitere Maßnahme. Heraus­gekommen ist eine Mogel­packung. „Es steckt schon im Namen ‚Entlastungswoche‘, dass die Beschäftigten belastet, wenn nicht gar ‚überlastet‘ sind. Leider zeigte sich die Regierung großzügig beim Ankündigen, geizig beim Umsetzen“, sagt Mjka. 


    Zum einen wurde wieder eine Reihe von Berufs­gruppen ausgegrenzt. Zum anderen darf die Entlastungs­woche bei jenen, die unter die Regelung fallen, mit bestehenden Bestimmungen über eine sechste Urlaubswoche gegenverrechnet werden. Beschäftigte, die bereits durch Gesetz, Kollektivvertrag, Betriebs- oder Einzel­vereinbarung eine sechste Urlaubswoche haben, erhalten keine zusätzliche Entlastungswoche. Einzig Nachtgutstunden, die durch das Ableisten von Nacht­diensten erworben wurden, dürfen derzeit nicht durch die Entlastungs­woche aufgesogen werden. 


    „Zwei von fünf Beschäf­tigten aus den Gesundheits- und Sozialberufen erwägen mittlerweile einen Berufs­wechsel. Die Ausstiegs­tendenzen sind in den vergan­genen Jahren massiv gestiegen“, verweist AK-Expertin Silvia Rosoli auf die Ergebnisse einer österreichweiten Umfrage, an der sich mehr als 7.000 Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen und der Langzeit­pflege beteiligt haben. Besonders jüngere Arbeit­nehmer:innen, Beschäftigte, die laufend Mehrarbeit verrichten müssen und Beschäftigte aus den Assistenz­berufen fühlen sich massiv psychisch beeinträchtigt. „Alle Beschäftigten, die im Gesundheits­bereich, in der Langzeitpflege oder im Sozialwesen arbeiten, sollen eine zusätzliche Urlaubs­woche erhalten – und das unabhängig vom Alter“, sagt Rosoli.

    Andrea Wadsack, Vorsitzende des Personalgruppenausschusses MTDG © Lisi Specht
    © Lisi Specht
    Andrea Wadsack, Vorsitzende des Personalgruppenausschusses MTDG

     

    „Die He­bam­men und die Be­schäf­tig­ten in den medizi­ni­schen, thera­peu­ti­schen, dia­gnos­ti­schen Be­ru­fen wur­den beim Pfle­ge­bo­nus ver­gessen.“

    Andrea Wadsack, Younion                                                                         

    Die Ausbildungs­offensive: Schmal­spur statt Qualität?

    Verbes­serungen bei der Pflege­ausbildung wurden ebenfalls im Pflege­-Reform­paket der Regierung angekündigt. Doch die Regierung versteht darunter offenbar eher die Förderung von Schmalspur­ausbildungen, anstatt gemeinsam mit den Bundesländern für ausreichend Plätze im qualifizierten Bereich zu sorgen.


    „Obwohl alle Expert:innen gegen eine Pflegelehre sind, besteht die Regierung auf Einführung eines Lehr­berufs. In den Schulen für Gesundheits- und Kranken­pflege kann man aus gutem Grund eine Ausbildung erst ab 17 beginnen, eine Pflege­lehre passt nicht in das System. Genauso wenig wie man bei der Polizei ab 15 eine Lehre absol­vieren kann“, sagt Rosoli. Weiters verschärfe die Pflegelehre den Personal­mangel in den Betrieben. Denn die Begleitung von Lehrlingen, deren Aus­bildung hauptsächlich im Betrieb erfolgt, benötige wesentlich mehr Zeit als die Anleitung von Schüler:innen und Studierenden, die Praktika absolvieren. Positiv ist, dass die Modelle für die Pflege­ausbildung an berufs­bildenden Schulen (BMS/BHS-Modell) nun in das Regelschul­modell übernommen und ausgebaut werden. „Damit gibt es ein gutes Angebot für junge Menschen direkt nach Abschluss der Pflichtschule. Das haben die Gewerkschaften und die AK nachdrücklich gefordert“, so Rosoli.


    Zumindest 76.000 Arbeitskräfte in den Pflegeberufen braucht Österreich bis 2030 zusätzlich, um eine Versorgung auf gegen­wärtigem Niveau sicherzustellen, ergibt eine Studie der Gesund­heit Österreich GmbH. „Weit mehr als die Hälfte davon muss über eine Ausbildung auf dem Niveau des Diplo­mierten Gesundheits- und Kranken­pflege­personals verfügen“, weiß Rosoli. Wie diese Zahl erreicht werden kann? „Indem mehr Aus­bildungs­plätze auf den Fachhoch­schulen angeboten und die Durch­lässigkeit von Pflege­assistenz­berufen in den gehobenen Dienst massiv gefördert werden.“ 


    Wesentlich mehr Arbeits­kräfte nötig sind laut Studien auch in den weiteren Gesund­heits­berufen. Für die MTD-Berufe wird ein Mehrbedarf von 18.000 Vollzeit­kräften prognostiziert, bei den Hebammen geht es um 1.500 Vollzeit­stellen zusätzlich. „Der Wiener Gesundheits­verbund hat in Kooperation mit dem FH Campus Wien zusätzliche Studien­plätze für Hebammen eingezogen und die Plätze an den Fach­hoch­schulen für die MTD-Berufe ausgeweitet“, so Wadsack. Andere Bundesländer sollten nachziehen, um die Ver­sorgung über 2030 hinaus zu sichern. Zusätzlich müssen die Arbeits­bedingungen auch für die Beschäf­tigten in den medizinischen, therapeutischen und diagnostischen Gesund­heits­berufen verbessert werden, um eine höhere Fluktuation zu verhindern. Dies gelte insbesondere für die Bereiche Radiologie und Labor, die 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche gebraucht werden, meint Andrea Wadsack.


    Es ist ein Kreislauf, der schwer zu durchbrechen ist. Die Alterung der Gesell­schaft führt zu einem massiv erhöhten Personalbedarf im Sozial- und Gesund­heits­bereich. (Über-) Fordernde Arbeits­bedingungen führen dazu, dass viele – auch junge Arbeitskräfte – den Spitälern den Rücken kehren oder maximal Teilzeit arbeiten; sofern sie nicht überhaupt den Beruf wechseln.


    webtipp

    Cover Misscare Austria-Studie © Misscare Austria-Studie

    Misscare-Austria-Studie

    Alle Details zu den Studienergebnissen findest du hier.

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