Pia Gsaller, Leon Hartl  © Martin Zahradnik


Mitbestimmen

Die Symptome der jungen Generation

Zwischen Burnout und dem Wunsch vom Eigenheim: Warum jungen Arbeit­nehmer:innen zugehört werden muss, erzählen Pia Gsaller, ehemalige Vorsitzende der ÖBB-Konzern­jugend­vertretung, und Leon Hartl, Bundes­vorsitzender der Österreichischen Gewerkschafts­jugend.

Delna Antia-Tatić
06.06.2025

AKtuell: Es wird ja viel über sie geredet – die jungen Arbeit­nehmer:innen. Kommt in dieser Debatte auch etwas zu kurz?

Pia Gsaller: Dass die Jungen mehr Freizeit wollen, ist eine große Sache. In Umfragen wird das auch immer wieder bestätigt. Aber ich finde, es wird wenig auf diesen Wunsch eingegangen. Und darauf, dass junge Leute oft schon am Anfang ihres Berufs­lebens vor einem Burnout stehen und sich überhaupt keine Freizeit mehr leisten können. 

AKtuell: Wie kommt es denn zum Burnout? 

Pia Gsaller: Weil es sich mit dem Geld einfach nicht mehr ausgeht, ich kriege das bei meinen Lehrlingen mit. Viele machen sogar Wochenendjobs, weil sie sich sonst nichts anderes als eine Tiefkühl­pizza leisten können. Dadurch haben sie keine Zeit mehr für Freunde oder die Familie.


Pia Gsaller © Markus Zahradnik
Pia Gsaller © Markus Zahradnik

Wir müssen unbedingt anfangen, über Gewerk­­schafts­­arbeit schon in der Haupt­schule auf­zu­klären.


Pia Gsaller,  ehemalige Vor­sitzende der ÖBB-Konzern­­jugend­­vertretung


Leon Hartl: Bei unserer Eltern­generation galt noch das Mindset: arbeiten, sparen, arbeiten, sparen. Und am Ende hatte jeder ein Eigenheim. Diese Garantie gibt es nicht mehr. Trotzdem sind viele junge Menschen bereit, mehr zu arbeiten – um überhaupt wieder die Möglichkeit zu bekommen, sich etwas aufzubauen: ein Haus, eine Familie oder ein schönes Leben mit der Partnerin oder dem Partner. Mit ihrem Verdienst können aber die meisten grad nur überleben oder halbwegs über die Runden kommen. Das macht psychischen Druck, und hier werden sie im Stich gelassen.

AKtuell: Wo genau lässt man die Jungen allein? 

Leon Hartl: Einerseits fehlt es an einem ordentlichen Ausbau kassen­finanzierter Therapie­plätze. Andererseits sind die psychischen Belastungen auch Symptome einer Generation, die sich schwertut, aber wenig Verständnis von anderen Generationen bekommt. Auch bei älteren Kolleg:innen oder Betriebsrät:innen herrscht zum Teil die Sicht: „Die Jungen wollen nicht mehr hackeln.“ Als wären sie faul oder stellten sich nur an. Dabei wird über­sehen, dass eine Generation drei Jahre lang keine Möglichkeit hatte, ihre Jugend zu leben und im Solidaritäts­gedanken daheim geblieben ist.

Pia Gsaller: Hinzu kommt, dass unsere Generation viel besser über psychische Gesund­heit aufgeklärt ist. Frühere Generationen haben sicher oft über ihre Grenzen gearbeitet. Ich bin in einem großen Unter­nehmen wie den ÖBB dahingehend in einer privilegier­teren Situation, weil es Möglichkeiten gibt, sich als Jugend­vertrauens­rat für diese Anliegen stark zu machen oder sich an den Jugend­vertrauensrat zu wenden. In kleineren Betrieben oder in der Pflege ist das anders. Da heißt es zwar, Gesundheit ist wichtig, aber bei den eigenen Mitarbeiter:innen gilt das selten. Zu sagen, „Mir geht’s nicht gut, ich habe einen Patienten verloren“, ist schwer möglich. 

AKtuell: Mitbestimmung ist der Hebel, um etwas zu verändern. Sind junge Arbeit­nehmer:innen denn motiviert, sich zu beteiligen? 

Pia Gsaller: Absolut. Gerade in den letzten Jahren habe ich gesehen, wie die Jungen immer mehr hinter­fragen und auch frecher werden: „Warum muss ich das machen?“ Das ist gut. Wir haben kein Problem, unsere Listen zu füllen. Daher ist es auch so wichtig, dass sich bei den Jugend­vertrauensrats­wahlen möglichst viele beteiligen können. In meinem Lehrberuf als Applikations­entwicklerin beginnen die Lehrlinge jedoch oft erst mit 20 Jahren. Sie wollen dann mitbestimmen und Jugend­vertrauensrat werden, sind aber zu alt.


Leon Hartl © Markus Zahradnik
Leon Hartl © Markus Zahradnik

Egal, ob Mitglied oder nicht, egal, ob mit Funktion oder ohne. Beteiligung darf kein Privileg sein – sie muss Alltag werden.


Leon Hartl, Bundesvorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend



Leon Hartl: Gleichzeitig beobachte ich auch einen anderen Trend: In Vereinen und Betrieben engagieren sich die Jungen immer weniger. Es gibt Nachwuchs­probleme. Warum? Weil sie sich nicht vertreten fühlen. Weil sie oft den Eindruck haben: „Da redet eh keiner mit mir. Da hört mir eh niemand zu.“ Deshalb planen wir als ÖGJ ein neues Veranstaltungs­format – offen für alle jungen Menschen. Egal, ob Mitglied oder nicht, egal, ob mit Funktion oder ohne. Beteiligung darf kein Privileg sein – sie muss Alltag werden.

AKtuell: Braucht es auch auf Seite der Betriebs­rats­­gremien mehr Öffnung? 

Leon Hartl: Es gibt bei vielen Betriebs­rät:innen bereits das Bewusstsein, die Jungen mehr einzubinden. Dennoch tun wir uns grundsätzlich schwer, Jugend­vertrauens­rät:innen in den Betriebsrat zu kriegen. Die fühlen sich dort oft verloren. Es hängt meist vom Willen der Betriebs­rats­vorsitzenden ab, ob der Jugend­vertrauensrat mitein­gebunden wird. Mich erstaunt diese Problemlage. Denn in den nächsten Jahren werden viele Betriebs­rats­mitglieder in Pension gehen und es wird zu Unter­besetzungen kommen. Warum also nicht die Jungen mehr fördern? 

Pia Gsaller: Der Altersdurchschnitt im Betriebsrat ist einerseits sehr hoch, er ist aber auch sehr männer­dominiert. Hier gibt es womöglich auch eine Abwehr­haltung gegenüber den Jungen aus Angst vor einer „Cancel-Culture“. Dabei können wir gegenseitig voneinander lernen – das erlebe ich selbst.

AKtuell: Was hat euch denn persönlich bewegt, sich zu engagieren? 

Pia Gsaller: Ich komme vom Land und habe dort eine Wirtschafts­schule besucht. Da wurde man darauf getrimmt, Unternehmer:in zu werden. Bis ich nach Wien kam, habe ich nichts von Sozial­partner­schaft und Gewerk­schafts­arbeit mitgekriegt. Auch jetzt in der Berufs­schule wird uns nicht beigebracht, wie ich als Arbeit­nehmer:in einen Steuer­ausgleich mache. Das sind aber die Basics. Wir müssen unbedingt anfangen, über Gewerk­schafts­arbeit schon in der Hauptschule aufzuklären. 

Leon Hartl: Schon seit der Schulzeit war ich immer auf der Seite von jenen, die es nicht leicht haben. Vielleicht, weil auch ich es nicht immer leicht gehabt habe. Wer sich wie wir engagiert, hat diesen unbieg­samen Willen, Gerechtig­keit umzusetzen. 

Zu den Personen

Pia Gsaller, 24, macht eine Lehre zur Applikations­entwicklerin bei den ÖBB und war dort von 2022 bis 2024 Vorsitzende der Konzernjugend­vertretung. Die Kärntnerin engagiert sich in der Österreichi­schen Gewerkschafts­jugend und ist Mitglied des vida-Bundes­jugend­präsidiums.

Leon Hartl, 25, hat eine Ausbildung zum Versicherungs­kaufmann absolviert und ist seit 2024 neuer Bundes­vorsitzender der Österrei­chischen Gewerk­schafts­jugend. Außerdem ist der Linzer Landes­jugend­vorsitzender der GPA Ober­österreich und Bundesvorstands­mitglied des ÖGB



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