Pia Gsaller: Dass die Jungen mehr Freizeit wollen, ist eine große Sache. In Umfragen wird das auch immer wieder bestätigt. Aber ich finde, es wird wenig auf diesen Wunsch eingegangen. Und darauf, dass junge Leute oft schon am Anfang ihres Berufslebens vor einem Burnout stehen und sich überhaupt keine Freizeit mehr leisten können.
Pia Gsaller: Weil es sich mit dem Geld einfach nicht mehr ausgeht, ich kriege das bei meinen Lehrlingen mit. Viele machen sogar Wochenendjobs, weil sie sich sonst nichts anderes als eine Tiefkühlpizza leisten können. Dadurch haben sie keine Zeit mehr für Freunde oder die Familie.
„Wir müssen unbedingt anfangen, über Gewerkschaftsarbeit schon in der Hauptschule aufzuklären.“
Pia Gsaller, ehemalige Vorsitzende der ÖBB-Konzernjugendvertretung
Leon Hartl: Bei unserer Elterngeneration galt noch das Mindset: arbeiten, sparen, arbeiten, sparen. Und am Ende hatte jeder ein Eigenheim. Diese Garantie gibt es nicht mehr. Trotzdem sind viele junge Menschen bereit, mehr zu arbeiten – um überhaupt wieder die Möglichkeit zu bekommen, sich etwas aufzubauen: ein Haus, eine Familie oder ein schönes Leben mit der Partnerin oder dem Partner. Mit ihrem Verdienst können aber die meisten grad nur überleben oder halbwegs über die Runden kommen. Das macht psychischen Druck, und hier werden sie im Stich gelassen.
Leon Hartl: Einerseits fehlt es an einem ordentlichen Ausbau kassenfinanzierter Therapieplätze. Andererseits sind die psychischen Belastungen auch Symptome einer Generation, die sich schwertut, aber wenig Verständnis von anderen Generationen bekommt. Auch bei älteren Kolleg:innen oder Betriebsrät:innen herrscht zum Teil die Sicht: „Die Jungen wollen nicht mehr hackeln.“ Als wären sie faul oder stellten sich nur an. Dabei wird übersehen, dass eine Generation drei Jahre lang keine Möglichkeit hatte, ihre Jugend zu leben und im Solidaritätsgedanken daheim geblieben ist.
Pia Gsaller: Hinzu kommt, dass unsere Generation viel besser über psychische Gesundheit aufgeklärt ist. Frühere Generationen haben sicher oft über ihre Grenzen gearbeitet. Ich bin in einem großen Unternehmen wie den ÖBB dahingehend in einer privilegierteren Situation, weil es Möglichkeiten gibt, sich als Jugendvertrauensrat für diese Anliegen stark zu machen oder sich an den Jugendvertrauensrat zu wenden. In kleineren Betrieben oder in der Pflege ist das anders. Da heißt es zwar, Gesundheit ist wichtig, aber bei den eigenen Mitarbeiter:innen gilt das selten. Zu sagen, „Mir geht’s nicht gut, ich habe einen Patienten verloren“, ist schwer möglich.
Pia Gsaller: Absolut. Gerade in den letzten Jahren habe ich gesehen, wie die Jungen immer mehr hinterfragen und auch frecher werden: „Warum muss ich das machen?“ Das ist gut. Wir haben kein Problem, unsere Listen zu füllen. Daher ist es auch so wichtig, dass sich bei den Jugendvertrauensratswahlen möglichst viele beteiligen können. In meinem Lehrberuf als Applikationsentwicklerin beginnen die Lehrlinge jedoch oft erst mit 20 Jahren. Sie wollen dann mitbestimmen und Jugendvertrauensrat werden, sind aber zu alt.
„Egal, ob Mitglied oder nicht, egal, ob mit Funktion oder ohne. Beteiligung darf kein Privileg sein – sie muss Alltag werden.“
Leon Hartl, Bundesvorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend
Leon Hartl: Gleichzeitig beobachte ich auch einen anderen Trend: In Vereinen und Betrieben engagieren sich die Jungen immer weniger. Es gibt Nachwuchsprobleme. Warum? Weil sie sich nicht vertreten fühlen. Weil sie oft den Eindruck haben: „Da redet eh keiner mit mir. Da hört mir eh niemand zu.“ Deshalb planen wir als ÖGJ ein neues Veranstaltungsformat – offen für alle jungen Menschen. Egal, ob Mitglied oder nicht, egal, ob mit Funktion oder ohne. Beteiligung darf kein Privileg sein – sie muss Alltag werden.
Leon Hartl: Es gibt bei vielen Betriebsrät:innen bereits das Bewusstsein, die Jungen mehr einzubinden. Dennoch tun wir uns grundsätzlich schwer, Jugendvertrauensrät:innen in den Betriebsrat zu kriegen. Die fühlen sich dort oft verloren. Es hängt meist vom Willen der Betriebsratsvorsitzenden ab, ob der Jugendvertrauensrat miteingebunden wird. Mich erstaunt diese Problemlage. Denn in den nächsten Jahren werden viele Betriebsratsmitglieder in Pension gehen und es wird zu Unterbesetzungen kommen. Warum also nicht die Jungen mehr fördern?
Pia Gsaller: Der Altersdurchschnitt im Betriebsrat ist einerseits sehr hoch, er ist aber auch sehr männerdominiert. Hier gibt es womöglich auch eine Abwehrhaltung gegenüber den Jungen aus Angst vor einer „Cancel-Culture“. Dabei können wir gegenseitig voneinander lernen – das erlebe ich selbst.
Pia Gsaller: Ich komme vom Land und habe dort eine Wirtschaftsschule besucht. Da wurde man darauf getrimmt, Unternehmer:in zu werden. Bis ich nach Wien kam, habe ich nichts von Sozialpartnerschaft und Gewerkschaftsarbeit mitgekriegt. Auch jetzt in der Berufsschule wird uns nicht beigebracht, wie ich als Arbeitnehmer:in einen Steuerausgleich mache. Das sind aber die Basics. Wir müssen unbedingt anfangen, über Gewerkschaftsarbeit schon in der Hauptschule aufzuklären.
Leon Hartl: Schon seit der Schulzeit war ich immer auf der Seite von jenen, die es nicht leicht haben. Vielleicht, weil auch ich es nicht immer leicht gehabt habe. Wer sich wie wir engagiert, hat diesen unbiegsamen Willen, Gerechtigkeit umzusetzen.
Pia Gsaller, 24, macht eine Lehre zur Applikationsentwicklerin bei den ÖBB und war dort von 2022 bis 2024 Vorsitzende der Konzernjugendvertretung. Die Kärntnerin engagiert sich in der Österreichischen Gewerkschaftsjugend und ist Mitglied des vida-Bundesjugendpräsidiums.
Leon Hartl, 25, hat eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann absolviert und ist seit 2024 neuer Bundesvorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend. Außerdem ist der Linzer Landesjugendvorsitzender der GPA Oberösterreich und Bundesvorstandsmitglied des ÖGB.