Sie wurden als Held:innen der Coronakrise gefeiert: Beschäftigte, die trotz Ansteckungsgefahr auch in den Lockdowns weiter ihrer Arbeit nachgehen mussten, weil sie systemrelevant für die Versorgung der Menschen waren. Doch die Menschen in diesen Berufen arbeiten ungebrochen im Ausnahmezustand: Die Arbeitsbedingungen haben sich während der Pandemie teils verschlechtert und sind auch darüber hinaus schlecht geblieben, anstatt dass es Verbesserungen gegeben hätte. Das zeigt eine neue Studie des Instituts FORESIGHT mit dem Titel „Systemrelevant Beschäftigte: Arbeitsbedingungen von ,Essential Workers‘ seit 2020“, die im Auftrag der Arbeiterkammer Wien erstellt wurde.
Während überlange Arbeitszeiten in der Coronakrise und darüber hinaus deutlich zurückgingen, trifft dieser Befund auf systemrelevante Arbeitnehmer:innen nicht zu. Ihre Arbeitszeit stieg im Lockdown um durchschnittlich sechs Stunden an, in Extremfällen sogar um bis zu 21 Stunden.
Gleichzeitig nahm die Planbarkeit stark ab: So erhöhte sich der Anteil an systemrelevanten Beschäftigten mit unregelmäßigen Arbeitszeiten oder mit Arbeit auf Abruf während der Pandemie von 15 auf 24 Prozent. Dieser Anteil ist seither kaum gesunken und liegt weiterhin auf hohen 22 Prozent. „Wenn die Betroffenen dann Zeitausgleich gehabt hätten, hat es einen Tag vorher geheißen, der ist jetzt doch gestrichen. Da hat es kein Danke oder sonst etwas gegeben“, berichtete ein Betriebsrat aus einem Altenheim den Studienautor:innen.
Der Applaus während der Coronapandemie wurde auch nicht in Geld und Anerkennung übersetzt. Insgesamt bestehen große Unterschiede beim Einkommen je nach Geschlecht, Klasse und sozialer Stellung (die sich aus Einkommenshöhe, beruflicher Stellung sowie Ausbildung ergibt). Der mittlere Monatslohn der systemrelevanten Arbeitnehmer:innen lag im Jahr 2022 bei 2.850 Euro brutto, das ist um rund 400 Euro niedriger als in anderen Berufsgruppen.
Noch deutlich darunter liegen Altenpflege und Behindertenbetreuung, Kinderbetreuung sowie Supermarktbeschäftigte und Reinigungskräfte. Der hohe Teilzeitanteil in diesen Berufen erklärt die niedrigeren Einkommen nicht. Vielmehr gilt: Je höher der Frauenanteil, desto niedriger der Stundenlohn.
Fast zwei Drittel (61 Prozent) der insgesamt 1,4 Millionen Menschen in systemrelevanten Berufen sind Frauen. Im Schnitt haben 22 Prozent eine ausländische Staatsbürgerschaft und 31 Prozent Migrationshintergrund. In der Reinigung haben 65 Prozent der Arbeitskräfte Migrationshintergrund. Bei den Berufsfahrer:innen und Lieferdienst-Bot:innen sind es 41 und in der Altenpflege 35 Prozent, wobei hier die etwa 62.000 Betreuerinnen im 24-Stunden-Einsatz nicht berücksichtigt sind.
Den Begriff „systemrelevant“ erlebten die Beschäftigten eher als „Marketinggag“, ihre Systemrelevanz als „Zwangsverpflichtung“. So erzählte eine Pflegerin: „Bei uns war das eher ein: Wenn du nicht kommst, dann kommst du gar nicht mehr.“ Und ein Essenslieferant gab zu Protokoll: „Bei uns sind zwei Kolleg:innen ausgefallen, krank, die wurden gekündigt.“ Vier von fünf systemrelevanten Arbeitnehmer:innen mit hoher sozialer Stellung sagen, dass ihre Arbeit zwar wertgeschätzt wird. Dennoch sagen 22 Prozent auch, dass das Arbeitsrecht bei ihnen nicht eingehalten wird.
Von den systemrelevanten Arbeitnehmer:innen mit niedriger sozialer Stellung sagt nur ein Viertel der Beschäftigten, dass die geleistete Arbeit wertgeschätzt wird. Über Nichteinhaltung des Arbeitsrechts informieren in dieser Gruppe gleich 32 Prozent. Was für die Arbeitnehmer:innenvertretung bedeutet: Besonders Betriebsrät:innen für Beschäftigte mit niedriger sozialer Stellung brauchen eine stärkere Position, um die Rechte der Kolleg:innen wirksam vertreten zu können.
Hier findest du die Studie „Systemrelevant Beschäftigte: Arbeitsbedingungen von ,Essential Workers‘ seit 2020“.