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Weitblick

Systemrelevante Berufe:
Noch immer im Ausnahmezustand

Beschäftigte in Handel, Pflege oder Reinigung sind systemrelevant für die Versorgung der Menschen – das wurde spätestens in der Coronakrise klar. Doch an ihren schwierigen Arbeits­bedingungen hat sich bis heute nichts geändert.

Katharina Nagele-Allahyari  und Daniel Schönherr 
05.06.2025

Sie wurden als Held:innen der Coronakrise gefeiert: Beschäftigte, die trotz Ansteckungs­gefahr auch in den Lockdowns weiter ihrer Arbeit nachgehen mussten, weil sie system­relevant für die Versorgung der Menschen waren. Doch die Menschen in diesen Berufen arbeiten ungebrochen im Ausnahme­zustand: Die Arbeits­bedingungen haben sich während der Pandemie teils verschlechtert und sind auch darüber hinaus schlecht geblieben, anstatt dass es Verbesserungen gegeben hätte. Das zeigt eine neue Studie des Instituts FORESIGHT mit dem Titel „Systemrelevant Beschäftigte: Arbeits­bedingungen von ,Essential Workers‘ seit 2020“, die im Auftrag der Arbeiterkammer Wien erstellt wurde.

Während überlange Arbeitszeiten in der Coronakrise und darüber hinaus deutlich zurück­gingen, trifft dieser Befund auf system­relevante Arbeit­nehmer:innen nicht zu. Ihre Arbeitszeit stieg im Lockdown um durchschnittlich sechs Stunden an, in Extremfällen sogar um bis zu 21 Stunden.

Infografik: Wertschaetzung und Arbeitsrecht © AKtuell; Quelle: Demokratiemonitor 2023; Illu: djvstock-stock.adobe.com

Anstieg der Arbeitszeit in systemrelevanten Berufen

Gleichzeitig nahm die Planbarkeit stark ab: So erhöhte sich der Anteil an system­relevanten Beschäftigten mit unregel­mäßigen Arbeitszeiten oder mit Arbeit auf Abruf während der Pandemie von 15 auf 24 Prozent. Dieser Anteil ist seither kaum gesunken und liegt weiterhin auf hohen 22 Prozent. „Wenn die Betroffenen dann Zeitausgleich gehabt hätten, hat es einen Tag vorher geheißen, der ist jetzt doch gestrichen. Da hat es kein Danke oder sonst etwas gegeben“, berichtete ein Betriebsrat aus einem Alten­heim den Studien­autor:innen.

Beim Geld endete der Applaus 

Der Applaus während der Corona­pandemie wurde auch nicht in Geld und Anerkennung übersetzt. Insgesamt bestehen große Unterschiede beim Ein­kommen je nach Geschlecht, Klasse und sozialer Stellung (die sich aus Einkommens­höhe, beruflicher Stellung sowie Ausbildung ergibt). Der mittlere Monatslohn der system­relevanten Arbeit­nehmer:innen lag im Jahr 2022 bei 2.850 Euro brutto, das ist um rund 400 Euro niedriger als in anderen Berufs­gruppen. 

Noch deutlich darunter liegen Altenpflege und Behinderten­betreuung, Kinder­betreuung sowie Supermarkt­beschäftigte und Reinigungs­kräfte. Der hohe Teilzeitanteil in diesen Berufen erklärt die niedrigeren Einkommen nicht. Vielmehr gilt: Je höher der Frauen­anteil, desto niedriger der Stundenlohn.

Frauen und Personen mit Migrations­hinter­grund 

Fast zwei Drittel (61 Prozent) der insgesamt 1,4 Millionen Menschen in system­relevanten Berufen sind Frauen. Im Schnitt haben 22 Prozent eine ausländische Staats­bürgerschaft und 31 Prozent Migrations­hintergrund. In der Reinigung haben 65 Prozent der Arbeitskräfte Migrations­hintergrund. Bei den Berufs­fahrer:innen und Lieferdienst-Bot:innen sind es 41 und in der Altenpflege 35 Prozent, wobei hier die etwa 62.000 Betreuerinnen im 24-Stunden-Einsatz nicht berücksichtigt sind.

Den Begriff „systemrelevant“ erlebten die Beschäftigten eher als „Marketing­gag“, ihre System­relevanz als „Zwangs­verpflichtung“. So erzählte eine Pflegerin: „Bei uns war das eher ein: Wenn du nicht kommst, dann kommst du gar nicht mehr.“ Und ein Essens­lieferant gab zu Protokoll: „Bei uns sind zwei Kolleg:innen ausgefallen, krank, die wurden gekündigt.“ Vier von fünf systemrelevanten Arbeit­nehmer:innen mit hoher sozialer Stellung sagen, dass ihre Arbeit zwar wertgeschätzt wird. Dennoch sagen 22 Prozent auch, dass das Arbeitsrecht bei ihnen nicht eingehalten wird.

Betriebsrät:innen stärken!

Von den system­relevanten Arbeit­nehmer:innen mit niedriger sozialer Stellung sagt nur ein Viertel der Beschäftigten, dass die geleistete Arbeit wertgeschätzt wird. Über Nichteinhaltung des Arbeitsrechts informieren in dieser Gruppe gleich 32 Prozent. Was für die Arbeit­nehmer:innen­vertretung bedeutet: Besonders Betriebsrät:innen für Beschäftigte mit niedriger sozialer Stellung brauchen eine stärkere Position, um die Rechte der Kolleg:innen wirksam vertreten zu können.



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