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Handel

Ein Ringen um das Handelspersonal

Viele Beschäftigte im Handel halten täglich hohe Belas­tungen aus. Mit ihrer Arbeit versorgen sie uns mit den Dingen des täglichen Bedarfs. AK und GPA fordern mehr Respekt und bessere Arbeits­bedin­gun­gen für Handels­beschäf­tigte. 

Theresa Goisauf
13.04.2023
in diesem Artikel

    „Rund die Hälfte der Handels­beschäftigten gilt als system­relevant. Es reicht nicht aus, für sie zu klatschen. Sie verdienen dauerhafte Aner­kennung – faire Ar­beits­bedingungen, ange­messene Bezah­lung und die Einhaltung von geltendem Arbeits­recht“, ist AK Präsidentin Renate Anderl überzeugt.


    Arbeitsklima auf dem Tief­stand

    Die COVID-19-Pandemie hat den Handel 2020 vor enorme Heraus­forderungen gestellt. Und auch mit der aktuellen Teuerung geht es so weiter. Eine von der AK beauf­tragte Studie von Wifo und IFES analysierte die „Lage der Beschäftigten im Handel“ zwischen 2010 und 2022. Das Fazit: Der Druck auf die Beschäftigten durch die Auswirkungen der Pandemie ist hoch. Kein Wunder, dass die Arbeits­unzu­frie­den­heit deutlich zurück­gegangen ist. Jede:r Zehnte im Handel gibt an, dass das Ein­kommen nicht ausreicht. 

     

    Studie Lage der Beschäftigten im Handel - Arbeitszeitwunsch © Wifo / IFES
    © Wifo / IFES
    Martin Müllauer © Alissar Najjar
    © Alissar Najjar
    Martin Müllauer, Vorsitzender GPA-Wirtschaftsbereich Handel und Betriebsratsvorsitzender Morawa Bucheinzelhandel
    „Die Kol­legi­a­li­tät ist auch etwas, wo der Ar­beit­­geber die Kol­le­g:in­nen oft aus­spielt.“

    Martin Müllauer, GPA

    Verluste bei den Handels­beschäftigten

    Der Mangel an Arbeits­kräften spitzt sich zu. Derzeit gibt es über 20.000 offene Stellen im Handel. Viele Lehr­stellen bleiben unbesetzt. Besonders der Lebens­mittel­einzel­handel sucht nach Personal. Im Einzel­handel arbeitet jede zweite Arbeits­kraft in Teilzeit, in der Mehrzahl Frauen und Personen mit Betreuungs­pflichten. Gerade im Handel ist der Frauen­anteil mit 58 Prozent deutlich größer als in anderen Branchen. „Der Handel ist nicht unbedingt familien­freundlich. Die Attraktivität des Handels ist aufgrund der Arbeits­zeiten oft nicht gegeben. Deshalb fordern wir, der Personal­knappheit entgegen­zuwirken“, sagt der GPA-Vorsitzende des Wirtschafts­bereichs Handel und Betriebs­rat, Martin Müllauer. Dafür brauche es bessere Arbeits­bedingungen für Handels­beschäftigte, insbesondere mehr Arbeitszeit­qualität. 

    „Planbare Arbeitszeiten, die Einführung von 5- statt 6-Tage-Wochen und die sechste Urlaubs­woche als ‚Zuckerl’ sind das, was die Beschäf­tigten brauchen. Das würde dazu bei­tragen, dass sich Menschen leichter entscheiden, ein Jobangebot aus einem Handelsbetrieb anzunehmen. Wilde Attacken gegen die Beschäf­tigten im Handel, wie Handels­verband-Geschäftsführer Rainer Will das kürzlich machte, sind aufs schärfste zurückzu­weisen und tragen – so wie geteilte Dienste und Arbeit bis mitunter 21 Uhr – nicht zur Attraktivität des Handels bei."


    Mehr Rechte erwünscht

    Die IFES-Studie zeigt: Handels­beschäftigte wünschen sich die Achtung ihrer Rechte durch den Arbeit­geber. „Im Kollektiv­vertrag stehen immer gewisse schöne Dinge, aber in der Realität sieht das anders aus“, so Martin Müllauer, der Betriebsrats­vorsitzender von Morawa Buch­einzel­handel ist. Er verweist auf die Schwarz-Weiß-Regelung, die vorsieht, dass Handel­sangestellte jeden zweiten Samstag frei haben müssen. Beim aktuellen Personal­mangel ist die Realität eine andere. Beschäf­tigte hören immer wieder: ‚Kannst du am Samstag einspringen?’ Müllauer: „Viele machen aus Kollegialität einen dritten Samstags­dienst, obwohl sie es rechtlich nicht dürfen. Die Kollegialität ist aber auch etwas, wo der Arbeitgeber die Kolleg:innen oft ausspielt.“


    Der Druck steigt

    Besonders aus dem Lebens­mittel­handel berichten Betriebs­rät:innen häufig, dass von Beschäf­tigten erwartet wird, laufend Über­stunden zu machen und kurz­fristig einzu­springen. Mehr als zwei Drittel spürt über die letzten zwei Jahre einen immer größer werdenden Druck. „Wie hoch der Druck auf die Handels­beschäf­tigten ist, zeigt sich auch an der hohen Anzahl an Anfragen in unserer Arbeits­rechts­beratung“, sagt Renate Anderl. Die Differenz zwischen Wunsch­arbeitszeit und tatsächlich geleis­teter Arbeits­zeit wird immer größer: Immer mehr Vollzeit­arbeits­kräfte wollen weniger arbeiten als noch vor der Pandemie.


    Handel bei gesund­heitlichen Belas­tungen ganz oben

    „Was die Beschäftigten jeden Tag von A nach B schleppen, ist ein Irrsinn. Je älter sie sind, desto schwieriger ist es, gewisse körperliche Leistung zu bringen“, so Martin Müllauer. Schlechte Gesund­heits­bedin­gungen sind vor allem im KFZ-Bereich zu beobachten. Laut der Studie von Wifo und IFES haben gesund­heit­liche Belas­tungen zugenommen, vor allem durch schwere körperliche An­stren­gung, langes Stehen und künstliches Licht. Handels­beschäftigte leiden oft an Schmerzen im Rücken und in den Beinen sowie an Ermüdungs­erschei­nungen. Psychischer Stress, Nicht-Abschalten-Können und Depressivität steigen im Handel höher als in anderen Branchen. 


    webtipp

    Cover Studie Lage der Beschäftigten im Handel © WIFO, IFES, AK

    Studie: Lage der Beschäftigten im Handel

    Alle Details zu den Studienergebnissen findest du hier.

    Renate Anderl, AK Präsidentin © Alissar Najjar
    © Alissar Najjar
    Renate Anderl, AK Präsidentin

     

    „Wie hoch der Druck auf die Handels­be­schäf­­tig­ten ist, zeigt sich auch an der hohen An­zahl an An­fra­gen in un­serer Ar­beits­­rechts­­be­ra­tung.“

    Renate Anderl, AK Präsidentin                                                                           

    Handel fordert viel Flexibilität

    Häufig üblich ist im Handel: Die Beschäftigten arbeiten ein paar Stunden, dann folgt eine lange unbezahlte Pause, dann wird noch einmal ein paar Stunden gearbeitet. „Am liebsten wäre es manchen Unternehmen, dass die Leute brav auf Abruf wären. Nach dem Motto: Jetzt kommen auf einmal zehn Kund:innen, schau, dass du in einer Stunde da bist“, betont der Gewerkschafter. Der Personalmangel führt auch dazu, dass Beschäftigte immer häufiger krank arbeiten gehen. 2021 haben Handelsmitarbeiter:innen im Sch­nitt 11,8 Tage krank gearbeitet, um ihre Kolleg:innen nicht im Stich zu lassen. 


    Planbare Arbeitszeiten dringend nötig

    Die AK und GPA fordern planbarere Arbeitszeiten sowie eine 5-Tage-Woche, statt der häufig üblichen 6-Tage-Woche. Betriebe seien hier gefragt, die Öffnungs- und Arbeits­zeiten anzupassen, um Arbeits- und Privat­leben besser zu vereinbaren.  Oft werden die gesetzlich vorgeschriebenen Voran­kündigungs­zeiten von 14 Tagen bei der Dienst­einteilung nicht eingehalten. Martin Müllauer verlangt eine einver­nehm­liche Dienst­plan­erstellung: „Die meisten bekommen ihren Dienstplan einfach hingelegt. Dienstpläne werden theoretisch gemacht, aber praktisch nicht eingehalten. Wenn ich heute nicht weiß, wie ich morgen arbeite, kann ich mein Leben nicht planen.“

     

    Der Betriebsrat kann entlasten

    Handels­angestellte bewerten ihre Mit­bestimmungs­möglichkeiten schlechter als andere Branchen. „Jeder Betriebsrat sollte Mit­bestimmungs­rechte im Handel einfordern. Als Betriebs­rat muss man oft lästig sein und Mut haben. Ganz wichtig ist es, den Kolleg:innen auch bei psychischen Belas­tungen zuzuhören “, so der Gewerk­schafter. Gerade bei psychischen Belastungen sollten Beschäftigte den Betriebs­rat involvieren. Zudem rät Müllauer den Beschäftigten bei bestimmten Ereignissen, wie einseitigen Dienst­plan­änderungen oder Mobbing, ein Gedächtnis­protokoll zu schreiben, „denn auch als Betriebsrat kannst du nicht immer überall sein.“

     

    Mehr Geld durch KV-Abschluss 2023

    Positiv beurteilt der Vorsitzende des Wirtschafts­bereichs Handels den Kollektiv­vertrags­abschluss für die Handels­angestellten, den die GPA nach zähem Ringen mit den Arbeitgeber:innen erreichen konnte. Der Kollektivvertrag, der mit Jahres­anfang in Kraft trat, brachte den Handels­angestellten eine Erhöhung von rund sieben Prozent. Die nach­haltige Erhöhung der Gehälter sei gerade ange­sichts der Teuerung wichtig. „Je höhere Gehälter wir im Kollektiv­vertrag haben, desto höher auch die Einzahlungen ins Pensions­system. Und das ist für die Beschäf­tig­ten auch langfristig wichtig.“  Weiter im Fokus bleibt, dass auch die Einstiegs­ge­häl­ter im Handel auf über 2.000 Euro angehoben werden, so Müllauer ab­schließend.


    webtipp

    Tipp Symbolbild © AK Wien

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