Bürokratieabbau. Wenn dieses Wort fällt, folgen oft positive Reaktionen. Denn wer wünscht sich nicht weniger Verwaltungsaufwand, eine Vereinfachung von Vorschriften oder die Reduzierung administrativer Hürden? Doch der von der EU-Kommission angekündigte Bürokratieabbau sorgt für Widerstand, vor allem von Seiten der Gewerkschaften und der Arbeiterkammer. Denn es steht zu befürchten, dass unter dem Schlagwort der „Entbürokratisierung“ wichtige Standards für Beschäftigte, Konsument:innen und die Gesellschaft geopfert werden – zum Vorteil der Unternehmen.
Worum geht es genau? EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Reduktion „überbordender Bürokratie und Verwaltungslasten“ zu einer Priorität für die neue Gesetzgebungsperiode 2024 bis 2029 erklärt. Insgesamt soll rund ein Viertel weniger an sogenannten Meldepflichten die Unternehmen belasten. Die Meldepflichten für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – das sind nach EU-Definition 99,8 Prozent der Unternehmen – sollen um 35 Prozent sinken.
„Ist die gesetzliche Grundlage weg, sind die Beschäftigten auf das Wohlwollen des Unternehmens angewiesen.“
Frank Ey, Referent in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien
„Ein Teil dieser Pflichten hat auch tatsächlich keinen Mehrwert mehr und sollte gestrichen oder an die aktuellen Verhältnisse angepasst werden. Allerdings geht es bei diesen Pflichten auch um Informationen, die über die wirtschaftliche Lage von Unternehmen Auskunft geben. Sie sind daher für Beschäftigte und Betriebsräte besonders wichtig und dienen auch als Grundlage für Kollektivvertragsverhandlungen. Sie dürfen keinesfalls infrage gestellt werden“, so Frank Ey, Referent in der Abteilung EU & Internationales der Arbeiterkammer Wien.
Auch bei EU-Gesetzen steckt der Teufel im Detail. So soll zum Beispiel die Lohntransparenz-Richtlinie verwässert werden, kritisiert Ey: „Die Folge davon wäre, dass die Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern wieder weiter auseinandergeht.“ Denn diese EU-Richtlinie zielt eigentlich darauf ab, das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu verringern und den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ durch mehr Transparenz und Durchsetzungsmechanismen zu stärken.
Arbeitgeber sind damit verpflichtet, ihre Entgeltstrukturen offenzulegen und sicherzustellen, dass diese auf objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien basieren. „Fehlt hier die Transparenz, dann fehlen dem Betriebsrat auch die Informationsgrundlagen für die Forderung nach mehr Lohngerechtigkeit“, sagt Ey.
Verschlechterungen drohen den Arbeitnehmer:innen auch im Gesundheitsbereich. Die REACH-Verordnung der EU regelt den Umgang mit chemischen Stoffen und garantiert damit ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Ist die Gesundheitsgefahr in Industriebetrieben zu groß, muss auf andere Chemikalien ausgewichen oder der Schutz der Beschäftigten erhöht werden. „Wird dieses Gesetz verwässert, dann fehlt den Betriebsräten die konkrete Handhabe, um die Beschäftigten zu schützen. Ist die gesetzliche Grundlage weg, sind die Arbeitnehmer:innen auf das Wohlwollen des Unternehmens angewiesen“, warnt der AK Experte.
Nicht nur Chemikalien, auch Asbest ist nach wie vor eine große Gefahr für die Beschäftigten. „Die EU-Kommission beziffert die Kosten für das neue EU-Gesetz zum Schutz vor Asbest mit 30 Millionen Euro pro Jahr. Der Nutzen wird hingegen mit null Euro bewertet. Dabei werden jedoch viele Aspekte völlig außer Acht gelassen“, kritisiert Ey. Beschäftigte bleiben dadurch etwa gesund und müssen nicht mit chronischen Erkrankungen bis hin zu Krankenhausaufenthalten kämpfen. Sie können weiterhin ohne Einschränkungen für ihr Unternehmen arbeiten, müssen nicht in krankheitsbedingte Frühpension gehen. „Davon profitiert nicht nur das Unternehmen, sondern die gesamte Gesellschaft“, sagt Ey.
Was können Betriebsräte im Kampf gegen die Abschwächung der verschiedenen Richtlinien nun tun? Ey: „Wichtig ist es, gemeinsam mit der Gewerkschaft entsprechende Überzeugungsarbeit gegenüber den politischen Entscheidungsträger:innen zu leisten. Gesetzliche Regelungen sind einfach die beste Handhabe für den Schutz der Arbeitnehmer:innen.“