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Die Tücken der „Entbürokratisierung“

EU-Vorgaben zum Bürokratieabbau sollen Unternehmen entlasten. Doch Beschäftigten drohen dadurch gravierende Folgen – nicht nur im Gesundheits­schutz.

Markus Mittermüller
30.04.2025

Bürokratieabbau. Wenn dieses Wort fällt, folgen oft positive Reaktionen. Denn wer wünscht sich nicht weniger Verwaltungsaufwand, eine Vereinfachung von Vorschriften oder die Reduzierung administrativer Hürden? Doch der von der EU-Kommission angekündigte Bürokratieabbau sorgt für Widerstand, vor allem von Seiten der Gewerkschaften und der Arbeiterkammer. Denn es steht zu befürchten, dass unter dem Schlagwort der „Entbürokratisierung“ wichtige Standards für Beschäftigte, Konsument:innen und die Gesellschaft geopfert werden – zum Vorteil der Unternehmen.


Die Sache mit der Meldepflicht

Worum geht es genau? EU-Kommissions­präsidentin Ursula von der Leyen hat die Reduktion „überbordender Bürokratie und Verwaltungslasten“ zu einer Priorität für die neue Gesetz­gebungs­periode 2024 bis 2029 erklärt. Insgesamt soll rund ein Viertel weniger an sogenannten Meldepflichten die Unternehmen belasten. Die Melde­pflichten für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – das sind nach EU-Definition 99,8 Prozent der Unternehmen – sollen um 35 Prozent sinken.

Frank Ey, AK Wien © Lisi Specht
Frank Ey, AK Wien © Lisi Specht

Ist die gesetzliche Grund­lage weg, sind die Beschäftigten auf das Wohl­wollen des Unter­nehmens angewiesen.


Frank Ey, Referent in der Abteilung EU & Internationales der AK Wien


„Ein Teil dieser Pflichten hat auch tatsächlich keinen Mehrwert mehr und sollte gestrichen oder an die aktuellen Verhältnisse angepasst werden. Allerdings geht es bei diesen Pflichten auch um Informationen, die über die wirtschaftliche Lage von Unternehmen Auskunft geben. Sie sind daher für Beschäftigte und Betriebsräte besonders wichtig und dienen auch als Grundlage für Kollektiv­vertrags­verhandlungen. Sie dürfen keinesfalls infrage gestellt werden“, so Frank Ey, Referent in der Abteilung EU & Internationales der Arbeiterkammer Wien.

Auch bei EU-Gesetzen steckt der Teufel im Detail. So soll zum Beispiel die Lohn­transparenz-Richt­linie verwässert werden, kritisiert Ey: „Die Folge davon wäre, dass die Gehalts­schere zwischen Frauen und Männern wieder weiter auseinander­geht.“ Denn diese EU-Richtlinie zielt eigentlich darauf ab, das geschlechts­spezifische Lohngefälle zu verringern und den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ durch mehr Transparenz und Durch­setzungs­mecha­nismen zu stärken.


Auf Wohlwollen angewiesen

Arbeitgeber sind damit verpflichtet, ihre Entgelt­strukturen offenzulegen und sicher­zustellen, dass diese auf objektiven und geschlechts­neutralen Kriterien basieren. „Fehlt hier die Transparenz, dann fehlen dem Betriebsrat auch die Informations­grundlagen für die Forderung nach mehr Lohn­gerechtigkeit“, sagt Ey.

Verschlechterungen drohen den Arbeitnehmer:innen auch im Gesundheits­bereich. Die REACH-Verordnung der EU regelt den Umgang mit chemischen Stoffen und garantiert damit ein hohes Schutz­niveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Ist die Gesundheits­gefahr in Industriebetrieben zu groß, muss auf andere Chemikalien ausgewichen oder der Schutz der Beschäftigten erhöht werden. „Wird dieses Gesetz verwässert, dann fehlt den Betriebsräten die konkrete Handhabe, um die Beschäftigten zu schützen. Ist die gesetzliche Grundlage weg, sind die Arbeit­nehmer:innen auf das Wohl­wollen des Unternehmens angewiesen“, warnt der AK Experte.

Nicht nur Chemikalien, auch Asbest ist nach wie vor eine große Gefahr für die Beschäftigten. „Die EU-Kommission beziffert die Kosten für das neue EU-Gesetz zum Schutz vor Asbest mit 30 Millionen Euro pro Jahr. Der Nutzen wird hingegen mit null Euro bewertet. Dabei werden jedoch viele Aspekte völlig außer Acht gelassen“, kritisiert Ey. Beschäftigte bleiben dadurch etwa gesund und müssen nicht mit chronischen Erkrankungen bis hin zu Kranken­haus­aufenthalten kämpfen. Sie können weiterhin ohne Einschränkungen für ihr Unternehmen arbeiten, müssen nicht in krankheits­bedingte Frühpension gehen. „Davon profitiert nicht nur das Unternehmen, sondern die gesamte Gesellschaft“, sagt Ey.


Was der Betriebsrat gegen schadende Entbürokratisierung tun kann

Was können Betriebsräte im Kampf gegen die Abschwächung der verschiedenen Richtlinien nun tun? Ey: „Wichtig ist es, gemeinsam mit der Gewerkschaft entsprechende Überzeugungs­arbeit gegenüber den politischen Entscheidungs­träger:innen zu leisten. Gesetzliche Regelungen sind einfach die beste Handhabe für den Schutz der Arbeitnehmer:innen.“


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AK Studie

AK Better Regulation
Die von der AK in Auftrag gegebene Studie „EU Better Regulation“ (2024) beschäftigt sich im Detail mit Bürokratieabbau und seinen Folgen.
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