Lehrling © Markus Zahradnik
Fachkräftebedarf

Engpass beim Personal

„Wir fin­den kein Per­sonal“, tönt es aus den Be­trieben. Auch acht von zehn Betriebs­ratsvor­sitzen­den nennen den Bedarf an Arbeits­kräften, den ihr Be­trieb nicht decken kann, in ei­ner öster­reich­weiten Um­frage als zen­trale Heraus­for­de­rung. Was sind die Grün­de für die Arbeits­kräfte­-Knapp­heit, wie lässt sich gegen­steuern? 

Heike Hausensteiner  und Martina Fassler
25.09.2023
in diesem Artikel

    Personal­eng­pass: Was tun, wenn es im Betrieb an Ar­beits­kräften man­gelt?

    In der IT wird schon lange über Nach­wuchs­mangel geklagt. Deshalb wurden 2018 bestehende Berufs­bilder überarbeitet und neue Lehr­berufe geschaffen. Von Applikations­entwicklung und Coding bis zu Informations­technologie mit Schwer­punkt System­- oder Betriebs­technik gibt es nun fünf maß­geschneiderte Lehr­berufe. Die Zahl der Lehrlinge stieg seither an, doch weniger als erhofft. Österreich­weit gab es Ende 2022 gerade 2.764 Lehrlinge in der Sparte Information und Consulting. Nur eine:r von hundert Beschäftigten der Branche ist ein Lehrling.

    Vor den Vor­hang

    Ein IT-Unter­nehmen, das es besser macht, ist Atos. In der Atos-Gruppe gibt es österreich­weit ins­gesamt 1.600 Beschäftigte, alle Tochter­unter­nehmen bilden Lehrlinge aus. Tobias Walter ist einer von ihnen. Er ist im zweiten Lehrjahr im Netzwerk-­Bereich bei Atos Technology Austria. Das Unter­nehmen in Wien Donaustadt achtet darauf, dass die Lehrlinge in verschie­denen Abtei­lungen rotieren. „Damit die Ausbildung breit gefächert ist“, betont Betriebs­rats­vor­sitzender Willi Stöckl.

    Tobias Walter hat mit der IT-Lehre die richtige Aus­bildung gefunden: „In jedem Unter­nehmen ist immer mehr Technik erfor­derlich. Es macht Spaß, sich die neue Technik anzu­schauen, wenn sie imple­mentiert wird, und du bist vorne dabei.“ Auch mit HTL und Fach­hoch­schulen ist das Unter­nehmen stark vernetzt. Wenn man in mehreren Schienen Kontakte aufbaut, kann man „dem Fach­kräfte­mangel gegensteuern“, so Stöckl.


     

    Infografik Personalengpass © AKtuell. Quelle: IFES
    © AKtuell. Quelle: IFES
    Willi Stöckl, Betriebsratsvorsitzender, Atos Technology Austria © Markus Zahradnik
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    „Wir bilden seit zehn Jahren IT-Lehrlinge aus. Der Betriebsrat war von Beginn an eingebunden.“ Willi Stöckl, Betriebsratsvorsitzender, Atos Technology Austria

     

    Lehrlingsausbildung, Personalengpass © Markus Zahradnik
    © Markus Zahradnik
    Tobias Walter, Lehrling, und Willi Stöckl, BR-Vorsitzender, Atos Technology Austria

    Berührungs­­ängste ab­­legen

    Dass viele IT-Unter­nehmen die Lehr­aus­bil­dung links liegen lassen, ärgert Julian Sommer-Schmelzenbarth. Er ist Mit­glied im GPA-Ver­handlungs­team für den IT-Kollektiv­vertrag und kommt selbst aus der Branche. „Schade, dass nicht mehr Unter­nehmen auf­ge­sprun­gen sind. Tradi­tio­nell denkt man bei einer Lehre eher an Gewerbe und Hand­werk, wo es lang­jährige Erfah­rung mit der Lehr­aus­bildung gibt. Aber diese Berührungs­ängste sollten die IT-Unter­nehmen ab­legen. Denn die Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, sehen das durchaus als viel­ver­sprechend an“, so Sommer-Schmelzenbarth.

    Auch kleinere Betriebe ermuntert er, in die Lehr­ausbildung ein­zu­steigen. „Tischler­betriebe bilden auch Lehrlinge aus, selbst wenn sie nur wenig Beschäftigte haben“. Von der Lehrlings­stelle in der Wirtschafts­kammer wünscht sich Sommer-Schmelzenbarth für die KMUs Unter­stützung beim Schaffen von Aus­bildungs­ver­bünden. „So lässt sich sicher­stellen, dass die Lehrlinge um­fassende Kompe­tenzen erwerben, wenn ein Betrieb allein nicht alle Au­sbildungs­inhalte ab­decken kann.“


    Förderungen nützen

    Finan­zielle För­derun­gen gibt es für Betriebe, die erstmals Lehr­linge ausbilden, in Wien beim waff, und das ganz unab­hängig von der Branche. Zusätz­liche Förder­schienen gibt es für Betriebe aus der Touris­mus- und Frei­zeit­wirt­schaft und ganz neu, seit September, für Betriebe, die in klima­rele­vanten Berufen aus­bilden. „Ins­gesamt werden die För­derungen gut ange­nommen“, zieht waff-Geschäftsführer Fritz Meißl BilanzBei kleineren Unter­nehmen, die mit der Lehr­aus­bildung beginnen, fördert der waff auch die Kurskosten der Lehrlings­aus­bilder:in­nen. Diese För­derung wurde heuer jedoch erst von zehn Betrieben genutzt. „Hier gibt es durchaus Luft nach oben. Wir freuen uns, wenn mehr Unter­nehmen in die Lehr­aus­bildung einsteigen“, sagt Meißl. 

    Selbst verschuldeter Personal­eng­pass?

    Differenziert sieht der waff-Geschäfts­führer die generelle Klage über den Mangel an Fach­kräften: „Nicht an jeder erfolg­losen Mitar­beiter:in­nen­suche ist ein mög­licher Fach­kräfte­mangel schuld.“ In dieselbe Kerbe schlägt Martin Schmidhuber, Experte aus der Ab­teilung Arbeits­markt­politik der AK Wien. „Der Arbeits­markt ist nicht leer­gefegt.“  Die Arbeits­losig­keit steigt zudem seit kurzem weiter an. Ende August waren mehr als 320.000 Personen als arbeits­los gemeldet oder in Schulungen. Schmidhuber plädiert dafür, inner­betrieblich zu analy­sieren, was die Gründe für das Fehlen von Arbeits­kräften sind. In manchen Betrieben, etwa in der Gastro­nomie, sei die „Personal­not“ selbst ver­schuldet, weil die Arbeits­bedingungen oft schlecht und die Ein­kommen zu niedrig seien. Hier müssten die Arbeit­geber daran­gehen, attraktivere Jobs zu schaffen. 

    Insgesamt sollten Unter­nehmen im Recruiting inklusiver agieren. Ältere Arbeit­nehmer:innen, Menschen mit Migrations­hintergrund, Wieder­einstei­ger:innen finden trotz intensiver Suche oft keinen Job. Viele Betriebe haben sich auf die demo­graphische Verän­derung der Erwerbs­bevöl­kerung noch nicht einge­stellt. „Dabei gibt es in Wien von waff und AMS umfassende Ein­gliederungs­beihilfen, etwa die Joboffensive 50 plus“, sagt Schmidhuber. Ein weiterer Hebel ist die betriebliche Weiter­bildung. Hier gibt es vom AMS mit der Quali­fizierungs­förderung eine Unter­stützung.

    Katharina Polomini, Bereichsleiterin für Personal- und Organisationsmanagement, Wien Energie © Christopher Glanzl
    © Christopher Glanzl
    „Auch im technischen Bereich bilden wir genauso viele weibliche wie männliche Lehrlinge aus.“ Katharina Polomini, Bereichsleiterin für Personal- und Organisationsmanagement, Wien Energie

     

    Alexander Hauser, Zentralbetriebsratsvorsitzender, Wien Energie © Christopher Glanzl
    © Christopher Glanzl
    „Im Schichtdienst haben wir flexiblere Diensteinteilung und mehr zusammenhängende freie Tage umgesetzt.“ Alexander Hauser, Zentralbetriebsratsvorsitzender, Wien Energie

    Fach­kräfte für die Klima­wende 


    Wie gelingt es Unter­nehmen, die die Energie­wende stemmen müssen, ihren Bedarf an Arbeits­kräften zu decken? AKtuell hat dazu bei Wien Energie nach­gefragt. „Wir haben vor zwei Jahren eine strate­gische Personal­planung aufgesetzt, die gezielt darauf schaut, welche Berufs­bilder es in zehn Jahren gibt“, sagt Katharina Polomini, die Bereichs­leiterin für Personal- und Organi­sations­management des Energie­versorgers mit rund 2.200 Mit­arbeiter:in­nen. Sie erzählt von Drohnen-­Spezialist:in­nen, die bei der Inspek­tion von Kraft­werks­an­lagen im Ein­satz sind, von Wasserstoff-Expert:innen und weiteren neuen Berufen, die laufend entstehen. 

    Vielzahl an Aktivitäten für die Personalgewinnung

    Durch Kooperationen mit Unis versucht Wien Energie qualifizierte Fach­kräfte zu gewinnen, zusätzlich wurden die Aus­bildungs­plätze für Lehrlinge verdreifacht. Kürzlich eröffnete das Unter­nehmen einen eigenen Aus­bildungs­campus in der Donau­stadt. Weibliche Lehrlinge sind dank Quote keinem Einzel­kämpfer:in­nen-Schicksal aus­gesetzt. „Auch im technischen Bereich bestehen wir darauf, dass wir gleich viele Mädchen wie Burschen ausbilden. Das zeigt erste Wirkung“, sagt Polomini. Nicht nur bei den Green Jobs, auch für die her­kömm­lichen Aufgaben­gebieten setze man auf eine Viel­zahl von Aktivitäten, um Mit­arbei­ter:innen zu gewinnen, ergänzt der Zentral­betriebs­rats­vor­sitzende von Wien Energie, Alexander Hauser: „Beim Kund:innen­service kooperieren wir unter anderem mit dem Bundes­blinden­institut, um Arbeits­kräfte zu finden.“ 


    Flexible Arbeits­zeiten, Teil­zeit und Home-Office sind heute gängige Anforderungen an Arbeitgeber. Im kauf­männischen-administrativen Bereich sind diese gut umsetzbar. Im Schicht­dienst standen diesen Wünschen bis 2022 sehr starre Dienst­pläne gegenüber. „Natürlich müssen die Anlagen weiterhin rund um die Uhr betrieben werden. Wir bieten jetzt aber auch für die Beschäf­tigten im Schicht­dienst mehr zusammen­hängende freie Tage und streben in Zukunft eine flexible Ein­teilung der Dienste an“, erklärt Alexander Hauser. 

    Raus aus dem Jammer­tal 

    Nicht jedes Unter­nehmen besitzt eine eigene Personal­ent­wicklung, strategische Personal­planung ist jedoch auch für kleinere und mittlere Unter­nehmen ein Muss, meint AK Arbeits­markt­experte Martin Schmidhuber. Das AMS bietet dafür die „Impuls­beratung“ an. Auf diese und weitere Beratungs- und Förder­möglichkeiten von AMS und waff kann man als Betriebs­rat den Arbeit­geber regel­mäßig auf­merk­sam machen. Schmidhuber ab­schließend: „Wer darauf­setzt, dass sich das Problem von selbst erledigt, liegt falsch.“


    WEbtipp

    Tipp Symbolbild © AK Wien

    AMS-Impulsberatung

    Du kannst deinen Arbeit­geber darauf auf­merk­sam machen, dass das AMS im Rahmen der Impuls­beratung Unter­nehmen bei der Ent­wicklung von Handlungs­optionen für personal­wirtschaftliche Frage­stellungen unter­stützt.

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