In der IT wird schon lange über Nachwuchsmangel geklagt. Deshalb wurden 2018 bestehende Berufsbilder überarbeitet und neue Lehrberufe geschaffen. Von Applikationsentwicklung und Coding bis zu Informationstechnologie mit Schwerpunkt System- oder Betriebstechnik gibt es nun fünf maßgeschneiderte Lehrberufe. Die Zahl der Lehrlinge stieg seither an, doch weniger als erhofft. Österreichweit gab es Ende 2022 gerade 2.764 Lehrlinge in der Sparte Information und Consulting. Nur eine:r von hundert Beschäftigten der Branche ist ein Lehrling.
Ein IT-Unternehmen, das es besser macht, ist Atos. In der Atos-Gruppe gibt es österreichweit insgesamt 1.600 Beschäftigte, alle Tochterunternehmen bilden Lehrlinge aus. Tobias Walter ist einer von ihnen. Er ist im zweiten Lehrjahr im Netzwerk-Bereich bei Atos Technology Austria. Das Unternehmen in Wien Donaustadt achtet darauf, dass die Lehrlinge in verschiedenen Abteilungen rotieren. „Damit die Ausbildung breit gefächert ist“, betont Betriebsratsvorsitzender Willi Stöckl.
Tobias Walter hat mit der IT-Lehre die richtige Ausbildung gefunden: „In jedem Unternehmen ist immer mehr Technik erforderlich. Es macht Spaß, sich die neue Technik anzuschauen, wenn sie implementiert wird, und du bist vorne dabei.“ Auch mit HTL und Fachhochschulen ist das Unternehmen stark vernetzt. Wenn man in mehreren Schienen Kontakte aufbaut, kann man „dem Fachkräftemangel gegensteuern“, so Stöckl.
Dass viele IT-Unternehmen die Lehrausbildung links liegen lassen, ärgert Julian Sommer-Schmelzenbarth. Er ist Mitglied im GPA-Verhandlungsteam für den IT-Kollektivvertrag und kommt selbst aus der Branche. „Schade, dass nicht mehr Unternehmen aufgesprungen sind. Traditionell denkt man bei einer Lehre eher an Gewerbe und Handwerk, wo es langjährige Erfahrung mit der Lehrausbildung gibt. Aber diese Berührungsängste sollten die IT-Unternehmen ablegen. Denn die Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, sehen das durchaus als vielversprechend an“, so Sommer-Schmelzenbarth.
Auch kleinere Betriebe ermuntert er, in die Lehrausbildung einzusteigen. „Tischlerbetriebe bilden auch Lehrlinge aus, selbst wenn sie nur wenig Beschäftigte haben“. Von der Lehrlingsstelle in der Wirtschaftskammer wünscht sich Sommer-Schmelzenbarth für die KMUs Unterstützung beim Schaffen von Ausbildungsverbünden. „So lässt sich sicherstellen, dass die Lehrlinge umfassende Kompetenzen erwerben, wenn ein Betrieb allein nicht alle Ausbildungsinhalte abdecken kann.“
Finanzielle Förderungen gibt es für Betriebe, die erstmals Lehrlinge ausbilden, in Wien beim waff, und das ganz unabhängig von der Branche. Zusätzliche Förderschienen gibt es für Betriebe aus der Tourismus- und Freizeitwirtschaft und ganz neu, seit September, für Betriebe, die in klimarelevanten Berufen ausbilden. „Insgesamt werden die Förderungen gut angenommen“, zieht waff-Geschäftsführer Fritz Meißl Bilanz. Bei kleineren Unternehmen, die mit der Lehrausbildung beginnen, fördert der waff auch die Kurskosten der Lehrlingsausbilder:innen. Diese Förderung wurde heuer jedoch erst von zehn Betrieben genutzt. „Hier gibt es durchaus Luft nach oben. Wir freuen uns, wenn mehr Unternehmen in die Lehrausbildung einsteigen“, sagt Meißl.
Differenziert sieht der waff-Geschäftsführer die generelle Klage über den Mangel an Fachkräften: „Nicht an jeder erfolglosen Mitarbeiter:innensuche ist ein möglicher Fachkräftemangel schuld.“ In dieselbe Kerbe schlägt Martin Schmidhuber, Experte aus der Abteilung Arbeitsmarktpolitik der AK Wien. „Der Arbeitsmarkt ist nicht leergefegt.“ Die Arbeitslosigkeit steigt zudem seit kurzem weiter an. Ende August waren mehr als 320.000 Personen als arbeitslos gemeldet oder in Schulungen. Schmidhuber plädiert dafür, innerbetrieblich zu analysieren, was die Gründe für das Fehlen von Arbeitskräften sind. In manchen Betrieben, etwa in der Gastronomie, sei die „Personalnot“ selbst verschuldet, weil die Arbeitsbedingungen oft schlecht und die Einkommen zu niedrig seien. Hier müssten die Arbeitgeber darangehen, attraktivere Jobs zu schaffen.
Insgesamt sollten Unternehmen im Recruiting inklusiver agieren. Ältere Arbeitnehmer:innen, Menschen mit Migrationshintergrund, Wiedereinsteiger:innen finden trotz intensiver Suche oft keinen Job. Viele Betriebe haben sich auf die demographische Veränderung der Erwerbsbevölkerung noch nicht eingestellt. „Dabei gibt es in Wien von waff und AMS umfassende Eingliederungsbeihilfen, etwa die Joboffensive 50 plus“, sagt Schmidhuber. Ein weiterer Hebel ist die betriebliche Weiterbildung. Hier gibt es vom AMS mit der Qualifizierungsförderung eine Unterstützung.
Wie gelingt es Unternehmen, die die Energiewende stemmen müssen, ihren Bedarf an Arbeitskräften zu decken? AKtuell hat dazu bei Wien Energie nachgefragt. „Wir haben vor zwei Jahren eine strategische Personalplanung aufgesetzt, die gezielt darauf schaut, welche Berufsbilder es in zehn Jahren gibt“, sagt Katharina Polomini, die Bereichsleiterin für Personal- und Organisationsmanagement des Energieversorgers mit rund 2.200 Mitarbeiter:innen. Sie erzählt von Drohnen-Spezialist:innen, die bei der Inspektion von Kraftwerksanlagen im Einsatz sind, von Wasserstoff-Expert:innen und weiteren neuen Berufen, die laufend entstehen.
Durch Kooperationen mit Unis versucht Wien Energie qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen, zusätzlich wurden die Ausbildungsplätze für Lehrlinge verdreifacht. Kürzlich eröffnete das Unternehmen einen eigenen Ausbildungscampus in der Donaustadt. Weibliche Lehrlinge sind dank Quote keinem Einzelkämpfer:innen-Schicksal ausgesetzt. „Auch im technischen Bereich bestehen wir darauf, dass wir gleich viele Mädchen wie Burschen ausbilden. Das zeigt erste Wirkung“, sagt Polomini. Nicht nur bei den Green Jobs, auch für die herkömmlichen Aufgabengebieten setze man auf eine Vielzahl von Aktivitäten, um Mitarbeiter:innen zu gewinnen, ergänzt der Zentralbetriebsratsvorsitzende von Wien Energie, Alexander Hauser: „Beim Kund:innenservice kooperieren wir unter anderem mit dem Bundesblindeninstitut, um Arbeitskräfte zu finden.“
Flexible Arbeitszeiten, Teilzeit und Home-Office sind heute gängige Anforderungen an Arbeitgeber. Im kaufmännischen-administrativen Bereich sind diese gut umsetzbar. Im Schichtdienst standen diesen Wünschen bis 2022 sehr starre Dienstpläne gegenüber. „Natürlich müssen die Anlagen weiterhin rund um die Uhr betrieben werden. Wir bieten jetzt aber auch für die Beschäftigten im Schichtdienst mehr zusammenhängende freie Tage und streben in Zukunft eine flexible Einteilung der Dienste an“, erklärt Alexander Hauser.
Nicht jedes Unternehmen besitzt eine eigene Personalentwicklung, strategische Personalplanung ist jedoch auch für kleinere und mittlere Unternehmen ein Muss, meint AK Arbeitsmarktexperte Martin Schmidhuber. Das AMS bietet dafür die „Impulsberatung“ an. Auf diese und weitere Beratungs- und Fördermöglichkeiten von AMS und waff kann man als Betriebsrat den Arbeitgeber regelmäßig aufmerksam machen. Schmidhuber abschließend: „Wer daraufsetzt, dass sich das Problem von selbst erledigt, liegt falsch.“
Du kannst deinen Arbeitgeber darauf aufmerksam machen, dass das AMS im Rahmen der Impulsberatung Unternehmen bei der Entwicklung von Handlungsoptionen für personalwirtschaftliche Fragestellungen unterstützt.