Die Zusteller:innen liefern das Paket an die Haustür? Ihr tragbares Barcode-Lesegerät, das die Lieferung bestätigt, überwacht allerdings auch die Beschäftigten auf Schritt und Tritt. Das Homeoffice boomt – und hat die Kreativität der Industrie noch mehr beflügelt: Überwachungssoftware kann längst Telefonate abhören, auf Handys und Computer zugreifen. Sie kann neuerdings offenlegen, wann Mitarbeiter:innen online oder offline sind, also messen, wie effizient sie arbeiten. Die Tracking-Programme finden reißenden Absatz bei Arbeitgebern. Die Künstliche Intelligenz in Computern setzt dem noch einiges drauf.
Die betriebliche „Datenmacht“ ist problematisch. Wolfie Christl, der zu Überwachung, Datenschutz, Informationstechnologie und Gesellschaft im digitalen Kapitalismus forscht und arbeitet, erklärt: „Beschäftigtendaten sind Machtfaktor und Kapital. Erlaubt ist viel weniger, als es am Markt Möglichkeiten zum Schnüffeln gibt.“
Wolfie Christl, Experte für digitalen Kapitalismus
Der Experte für digitalen Kapitalismus verweist etwa auf die betrieblichen und gesetzlichen Schranken. „Ohne Betriebsvereinbarung oder gar ohne Informationen über die genutzten Systeme gleicht der Einsatz derartiger Technologien aus Beschäftigtensicht einem Blindflug. Mitbestimmung ist de facto nicht vorhanden.“
Außerdem müssen Unternehmen in Österreich die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der EU einhalten. „Generell ist bei datenverarbeitenden Systemen, die laufend Verhaltensdaten erfassen, zusammenführen und die permanent aktualisiert und mit einem Klick erweitert werden können, oft kaum mehr nachvollziehbar, wer welche personenbezogenen Daten zu welchen Zwecken verarbeitet. Dominante Softwarehersteller, gegen die die DSGVO nur unzureichend durchgesetzt wird, stellen oft problematische Funktionen zur Verfügung und schieben die Verantwortung auf die Betriebe ab. Unternehmen wiederum behaupten, man sei von den Herstellern abhängig und eine Einführung sei alternativlos“, so Wolfie Christl.
Grundsätzlich gilt: In einem Betrieb mit Betriebsrat dürfen Kontrollmaßnahmen, die die Menschenwürde berühren, nur eingesetzt werden, wenn mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde. Etwa bei Video-Überwachung am Arbeitsplatz, Ortung von Außendienst-Mitarbeiter:innen mittels GPS, Aufzeichnung der Arbeitsleistung durch Arbeitsmittel oder Maschinen. Martina Chlestil, Juristin in der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien, stellt klar: „Ohne Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung ist der Einsatz derartiger Systeme rechtswidrig, und die Kontrolleinrichtungen müssen von den Arbeitgeber:innen entfernt werden.“
In Betrieben ohne Belegschaftsvertretung sind solche Maßnahmen nur mit Zustimmung der Arbeitnehmer:innen erlaubt. Kontrollmaßnahmen, die die Menschenwürde verletzen (etwa heimliche Überwachungsmaßnahmen, Überwachungskameras in Waschräumen, Sozialräumen), sind absolut unzulässig. „Aber auch dann, wenn die Menschenwürde nicht berührt wird, kann eine Betriebsvereinbarung erforderlich sein“, betont AK Expertin Chlestil, „denn in den allermeisten Fällen handelt es sich um Personalinformationssysteme, mithilfe derer eine Fülle von Beschäftigtendaten verbunden und ausgewertet werden können.“ Kommt auf betrieblicher Ebene keine Einigung zustande, kann die Schlichtungsstelle angerufen werden.
Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch erlaubt. Wie weit darf Kontrolle gehen? Hier findest du mehr dazu.
Wie können sich Arbeitnehmer:innen gegen rechtswidrige Überwachung wehren? Primärer Ansprechpartner ist der Betriebsrat. Das Gremium hat Einsichts- und Kontrollrechte und übt somit in der Praxis eine wichtige regulierende und kontrollierende Funktion aus. Für Beratung und Hilfe zur Rechtsdurchsetzung stehen natürlich AK und Gewerkschaften ebenfalls zur Verfügung. Betriebsrat wie Arbeitnehmer:innen können bei unzulässiger Überwachung schlimmstenfalls beim Arbeits- und Sozialgericht auf Unterlassung bzw. Beseitigung der Maßnahme klagen. Bei Datenschutzverletzungen können betroffene Arbeitnehmer:innen auch eine Beschwerde bei der Datenschutzbehörde einbringen.
Was den zunehmenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) betrifft: Dazu verhandeln auf EU-Ebene derzeit Rat, Parlament und Kommission (Trilog) ein neues Gesetz – den Artifical Intelligence (AI) Act – aus. Es soll den Umgang mit KI in Forschung und Wirtschaft regeln. In der Arbeitswelt sollen insbesondere KI-Systeme reguliert werden, die im Zusammenhang mit Entscheidungen über Beförderungen, Kündigungen, Aufgabenzuweisung sowie Bewertung von Arbeitnehmer:innen eingesetzt werden. Die KI-Verordnung dürfte frühestens 2026 in Kraft treten. Österreich möchte davor schon eigene Regeln erlassen.
So soll die demnächst EU-weit vorgeschriebene Behörde für KI noch in diesem Jahr bei der Regulierungsbehörde RTR installiert werden. Unternehmen wie Bürger:innen soll sie als Anlaufstelle dienen und Zertifizierung sowie Marktüberwachung von KI-Systemen übernehmen. Auch Kennzeichnungspflicht und KI-Workshops in allen Gemeinden kommen.
Aus AK Sicht ist es wichtig, dass die geplante KI-Strategie im Sinn der Beschäftigten für mehr Arbeitszufriedenheit, höhere Arbeitsplatzqualität und Arbeitsproduktivität entwickelt wird. Zusätzlich fordert Fridolin Herkommer, Leiter des Büros für Digitale Agenden der AK Wien, die betriebliche Mitbestimmung sowie die betriebliche Aus- und Weiterbildung ein.
„Gute KI-Gestaltung ist nur möglich, wenn Betroffene zu Beteiligten werden und Betriebsräte bei der Planung und Einführung von KI-Anwendungen so rechtzeitig miteinbezogen werden, dass eine Technikfolgenabschätzung möglich wird.“ Zudem sei es wichtig, die Konsument:innenrechte im Auge zu behalten, so Herkommer.
Nicht zuletzt aufgrund der verstärkten Überwachungsmöglichkeiten kommt dem Datenschutz immer größere Bedeutung zu. Lies hier mehr zur Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).