Ihren Kaffee trank sie gern gegen zwei Uhr in der Früh, dann, wenn das erste Tief sich anbahnte. Die Station befand sich im Ruhemodus, draußen war es finster und die meisten Wiener:innen schlummerten in ihren Betten. Doch Angelika Zadnich hatte bereits die erste Hälfte ihres Dienstes hinter sich. Über 20 Jahre arbeitete Zadnich in der Nacht.
Seit letztem Jahr ist die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin jedoch „tagaktiv“ – als freigestellte Betriebsrätin im Wiener St. Josef Krankenhaus. An ihre nächtlichen Dienste auf der Intensivstation erinnert sich die 43-Jährige trotzdem gern. „Die letzten 10 Jahre habe ich ausschließlich nachts gearbeitet. Das war mein Wunsch.“
„Die Nacht war immer schon meines.“
Angelika Zadnich, Intensivkrankenpflegerin und Betriebsrätin
Wegen der Kinderbetreuung sei es nicht anders gegangen. Also verlegte die Mutter von drei Kindern ihre Arbeitsstunden in die Nacht. „Damals habe ich oft nur drei Stunden am Vormittag geschlafen, damit ich um 12 Uhr die Kinder abholen konnte.“
Mit ihrem Mann habe sie sich meist die Klinke in die Hand gedrückt. Das Familienmanagement war nicht immer leicht. Doch äußerlich scheint der jahrzehntelange Schlafmangel bei Zadnich kaum Spuren hinterlassen zu haben. Sie lächelt: „Die Nacht war immer schon meines.“
In Österreich arbeiten ungefähr 600.000 Menschen in der Nacht – ein Drittel davon regelmäßig. Im Gesundheitswesen, in der Produktion oder im Sicherheitsbereich. Doch was versteht man genau unter Nachtarbeit? „Als Nachtarbeitnehmer:innen definiert das Arbeitszeitgesetz, wer regelmäßig oder in mindestens 48 Nächten im Kalenderjahr während der Nacht arbeitet – und zwar mindestens drei Stunden,“ erklärt Christian Dunst, Arbeitsrechtexperte der AK Wien.
In der Regel wird die Zeit zwischen 22 Uhr und 5 Uhr als Nacht definiert. Bei Angelika Zadnich reichten meist zweieinhalb Nächte, damit sie auf ihre wöchentlichen 30 Stunden kam. Immerhin machte sie als Krankenpflegerin ausschließlich 12-Stunden-Dienste. „Das hat den Vorteil, dass man sich auch einmal ein paar Tage freinehmen kann, ohne sich dafür extra Urlaub nehmen zu müssen“, sagt Zadnich.
Nachts wach zu sein, fordert Körper und Psyche. „Der Mensch ist kein nachtaktives Wesen, dazu ist er gar nicht ausgestattet. Sind wir trotzdem aktiv und arbeiten nachts, treten Risiken auf“, erklärt Schlafforscher Gerhard Klösch. Eine Folge ist etwa das „Schichtarbeiter-Syndrom“. Klösch hat dazu vor seiner Pension an der Medizinischen Universität Wien geforscht. Es handelt sich um Schlafprobleme, die durch den raschen Wechsel zwischen Tag- und Nachtarbeit auftreten. Das bringt gesundheitliche Risiken für die betroffene Person, aber auch Risiken für die Betriebe mit sich, wie das „Fatigue-Risk-Syndrom“ – Risiken durch Ermüdung. In Betrieben wie der ÖBB oder Austro Control hielt er dazu Schlaftrainings für die Beschäftigten.
„Der Mensch ist kein nachtaktives Wesen. Sind wir trotzdem aktiv und arbeiten nachts, treten Risiken auf.“
Gerhard Klösch, Schlafforscher
Gerade die Zeit zwischen zwei und vier Uhr morgens ist risikobelastet, weil die menschliche Körperkerntemperatur dann auf ihr Minimum sinkt. „Der Schichtarbeiter kennt das: Er beginnt zu frösteln, wird grantig und Fehler passieren.“ Überwachungstätigkeiten am Monitor machen besonders müde, noch dazu in einem beheizten Raum. Die Gefahr, unkonzentriert zu werden, ist hoch. „Deswegen können Krankenpfleger:innen auch so gut mit ihren Nachtdiensten umgehen, weil sie so aktiv sind.“
Die beste Strategie gegen Probleme im Schichtdienst sei daher, die Gesundheit ernst zu nehmen. Zum einen gibt es akute Belastungen, die ähnlich sind wie bei einem Jetlag: Schlafprobleme treten auf, die Leistungsfähigkeit nimmt ab, der Appetit verändert sich. Zum anderen gibt es Langzeitfolgen, die eher nach 15 bis 20 Jahren auftreten. Dabei sind Schlafprobleme eher nebensächlich, weiß Klösch. „Nur zehn Prozent leiden unter Ein- und Durchschlafstörungen. Vielmehr gehören Verdauungsprobleme, Übergewicht oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie hoher Bluthochdruck zu den Folgen chronischer Nacht-Schichtarbeit.“ Natürlich gibt es von Mensch zu Mensch Unterschiede: Nicht alle vertragen Nachtarbeit gleich gut oder schlecht.
Angelika Zadnich kam 20 Jahre lang gut damit zurecht. „Trotzdem habe ich mit zunehmendem Alter gemerkt, dass ich nach den Nachtdiensten immer schlechter einschlafen konnte.“ Schlafforscher Klösch bestätigt: Im jungen Alter funktioniert die Melatoninausschüttung noch gut, während im zunehmenden Alter der Schlaf oberflächlicher wird.
„Meiner Meinung nach sollte man ab 50 Jahren aus der Schichtarbeit austreten, wenn man gesunde Pensionsjahre erleben will“, so der Experte. Gerade körperliche Arbeit sei in der Nacht anstrengender als am Tag. Auch würden depressive Verstimmungen im Nachtdienst häufiger auftreten, besonders bei älteren Arbeitnehmer:innen.
Regelmäßige Gesundenuntersuchungen sind daher entscheidend. Das Arbeitsrecht regelt einen unentgeltlichen Anspruch darauf. „Werden beispielsweise gesundheitliche Probleme festgestellt, so kann das Recht auf Versetzung in die Tagarbeit geltend gemacht werden,“ erklärt AK Experte Dunst.
Bloß, nicht in allen Betrieben ist das möglich. „Generell ist das Thema der Nachtarbeit komplex,“ sagt Dunst. „Es gibt viele sondergesetzliche Regelungen sowie Bestimmungen in den Kollektivverträgen, die die Belastungen durch Nachtarbeit ausgleichen sollen.“ Dazu zählen etwa Sonderruhezeiten, zusätzliche Freizeit, Zulagen oder erhöhte Überstundenzuschläge. Auch die Nachtschwerarbeit wird gesetzlich gesondert definiert. Das betrifft etwa Arbeiten bei extremer Hitze oder in begehbaren Kühlräumen. „Gerade hier können Betriebsrät:innen durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zum Ausgleich von Belastungen beitragen oder sogar Maßnahmen zur Beseitigung regeln.“
„Werden gesundheitliche Probleme festgestellt, so kann das Recht auf Versetzung in die Tagarbeit geltend gemacht werden.“
Christian Dunst, AK Arbeitsrechtexperte
Nachtarbeit ist in Österreich umfassend geregelt, entscheidend ist, dass die Betriebe sich daranhalten. Als Überwachungs- und Kontrollorgan haben Betriebsrät:innen dabei eine wichtige Funktion. Auch weil Personalmangel, Krankheiten oder eine unberechenbare Auftragslage auf Kosten von Schichtarbeiter:innen gehen – gesundheitlich, aber auch familiär. Angelika Zadnich weiß das. „Ich habe die Nachtdienste gern gemacht. Aber ich genieße meine neue Dienstform jetzt sehr – und jedes Wochenende mit der Familie.“ Vor allem kann sie nun endlich mit Herzblut Betriebsrätin sein.