Nachtarbeit © Markus Zahradnik


Arbeit

Nachtaktiv: Welche Risiken birgt die Nachtarbeit?

Rund 600.000 Personen arbeiten in Österreich nachts. Intensivkrankenpflegerin Angelika Zadnich war über 20 Jahre eine von ihnen – und zwar gerne. Doch wach zu sein, fordert Körper und Psyche.

Delna Antia-Tatić
16.02.2025


Nachtarbeit © Markus Zahradnik
Angelika Zadnich, Intensiv­kranken­pflegerin und Betriebsrätin © Markus Zahradnik

Ihren Kaffee trank sie gern gegen zwei Uhr in der Früh, dann, wenn das erste Tief sich anbahnte. Die Station befand sich im Ruhemodus, draußen war es finster und die meisten Wiener:innen schlummerten in ihren Betten. Doch Angelika Zadnich hatte bereits die erste Hälfte ihres Dienstes hinter sich. Über 20 Jahre arbeitete Zadnich in der Nacht. 

Seit letztem Jahr ist die diplomierte Gesundheits- und Kranken­pflegerin jedoch „tagaktiv“ – als freigestellte Betriebsrätin im Wiener St. Josef Krankenhaus. An ihre nächtlichen Dienste auf der Intensivstation erinnert sich die 43-Jährige trotzdem gern. „Die letzten 10 Jahre habe ich ausschließlich nachts gearbeitet. Das war mein Wunsch.“ 

Die Nacht war immer schon meines.


Angelika Zadnich, Intensiv­kranken­pflegerin und Betriebsrätin

Wegen der Kinderbetreuung sei es nicht anders gegangen. Also verlegte die Mutter von drei Kindern ihre Arbeitsstunden in die Nacht. „Damals habe ich oft nur drei Stunden am Vormittag geschlafen, damit ich um 12 Uhr die Kinder abholen konnte.“ 

Mit ihrem Mann habe sie sich meist die Klinke in die Hand gedrückt. Das Familien­management war nicht immer leicht. Doch äußerlich scheint der jahrzehnte­lange Schlafmangel bei Zadnich kaum Spuren hinterlassen zu haben. Sie lächelt: „Die Nacht war immer schon meines.“ 

Nachtarbeit: Das Schichtarbeiter-Syndrom 

In Österreich arbeiten ungefähr 600.000 Menschen in der Nacht – ein Drittel davon regelmäßig. Im Gesundheits­wesen, in der Produktion oder im Sicherheits­bereich. Doch was versteht man genau unter Nachtarbeit? „Als Nachtarbeitnehmer:innen definiert das Arbeitszeitgesetz, wer regelmäßig oder in mindestens 48 Nächten im Kalenderjahr während der Nacht arbeitet – und zwar mindestens drei Stunden,“ erklärt Christian Dunst, Arbeitsrechtexperte der AK Wien. 

In der Regel wird die Zeit zwischen 22 Uhr und 5 Uhr als Nacht definiert. Bei Angelika Zadnich reichten meist zweieinhalb Nächte, damit sie auf ihre wöchentlichen 30 Stunden kam. Immerhin machte sie als Kranken­­pflegerin ausschließlich 12-Stunden-Dienste. „Das hat den Vorteil, dass man sich auch einmal ein paar Tage freinehmen kann, ohne sich dafür extra Urlaub nehmen zu müssen“, sagt Zadnich.

Nachts wach zu sein, fordert Körper und Psyche. „Der Mensch ist kein nachtaktives Wesen, dazu ist er gar nicht ausgestattet. Sind wir trotzdem aktiv und arbeiten nachts, treten Risiken auf“, erklärt Schlafforscher Gerhard Klösch. Eine Folge ist etwa das „Schichtarbeiter-Syndrom“. Klösch hat dazu vor seiner Pension an der Medizinischen Universität Wien geforscht. Es handelt sich um Schlafprobleme, die durch den raschen Wechsel zwischen Tag- und Nachtarbeit auftreten. Das bringt gesundheitliche Risiken für die betroffene Person, aber auch Risiken für die Betriebe mit sich, wie das „Fatigue-Risk-Syndrom“ – Risiken durch Ermüdung. In Betrieben wie der ÖBB oder Austro Control hielt er dazu Schlaftrainings für die Beschäftigten.


Gerhard Klösch, Schlafforscher © MedUni Wien, Matern
Gerhard Klösch, Schlafforscher © MedUni Wien, Matern

Der Mensch ist kein nacht­aktives Wesen. Sind wir trotzdem aktiv und arbeiten nachts, treten Risiken auf.


Gerhard Klösch, Schlafforscher

Gerade die Zeit zwischen zwei und vier Uhr morgens ist risikobelastet, weil die menschliche Körperkerntemperatur dann auf ihr Minimum sinkt. „Der Schichtarbeiter kennt das: Er beginnt zu frösteln, wird grantig und Fehler passieren.“ Überwachungs­tätigkeiten am Monitor machen besonders müde, noch dazu in einem beheizten Raum. Die Gefahr, unkonzentriert zu werden, ist hoch. „Deswegen können Kranken­pfleger:innen auch so gut mit ihren Nachtdiensten umgehen, weil sie so aktiv sind.“ 

Zwischen Jetlag und Verdauungsstörung 

Die beste Strategie gegen Probleme im Schicht­dienst sei daher, die Gesundheit ernst zu nehmen. Zum einen gibt es akute Belastungen, die ähnlich sind wie bei einem Jetlag: Schlaf­probleme treten auf, die Leistungs­fähigkeit nimmt ab, der Appetit verändert sich. Zum anderen gibt es Langzeit­folgen, die eher nach 15 bis 20 Jahren auftreten. Dabei sind Schlaf­probleme eher nebensächlich, weiß Klösch. „Nur zehn Prozent leiden unter Ein- und Durchschlafstörungen. Vielmehr gehören Verdauungs­probleme, Über­gewicht oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie hoher Bluthochdruck zu den Folgen chronischer Nacht-Schichtarbeit.“ Natürlich gibt es von Mensch zu Mensch Unterschiede: Nicht alle vertragen Nachtarbeit gleich gut oder schlecht.

Altersfrage Nachtarbeit?

Angelika Zadnich kam 20 Jahre lang gut damit zurecht. „Trotzdem habe ich mit zunehmendem Alter gemerkt, dass ich nach den Nachtdiensten immer schlechter einschlafen konnte.“ Schlafforscher Klösch bestätigt: Im jungen Alter funktioniert die Melatoninausschüttung noch gut, während im zunehmenden Alter der Schlaf oberflächlicher wird.

Meiner Meinung nach sollte man ab 50 Jahren aus der Schichtarbeit austreten, wenn man gesunde Pensionsjahre erleben will“, so der Experte. Gerade körperliche Arbeit sei in der Nacht anstrengender als am Tag. Auch würden depressive Verstimmungen im Nachtdienst häufiger auftreten, besonders bei älteren Arbeitnehmer:innen. 

Regelmäßige Gesundenuntersuchungen sind daher entscheidend. Das Arbeitsrecht regelt einen unentgeltlichen Anspruch darauf. „Werden beispielsweise gesundheitliche Probleme festgestellt, so kann das Recht auf Versetzung in die Tagarbeit geltend gemacht werden,“ erklärt AK Experte Dunst.

Bloß, nicht in allen Betrieben ist das möglich. „Generell ist das Thema der Nachtarbeit komplex,“ sagt Dunst. „Es gibt viele sondergesetzliche Regelungen sowie Bestimmungen in den Kollektivverträgen, die die Belastungen durch Nachtarbeit ausgleichen sollen.“ Dazu zählen etwa Sonderruhezeiten, zusätzliche Freizeit, Zulagen oder erhöhte Überstunden­zuschläge. Auch die Nachtschwerarbeit wird gesetzlich gesondert definiert. Das betrifft etwa Arbeiten bei extremer Hitze oder in begehbaren Kühlräumen. „Gerade hier können Betriebsrät:innen durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zum Ausgleich von Belastungen beitragen oder sogar Maßnahmen zur Beseitigung regeln.“ 


Christian Dunst, AK Arbeitsrechtexperte © Lukas Beck
Christian Dunst, AK Arbeitsrechtexperte © Lukas Beck

Werden gesund­heitliche Probleme fest­gestellt, so kann das Recht auf Ver­setzung in die Tag­arbeit geltend gemacht werden.


Christian Dunst, AK Arbeitsrechtexperte


Nachtarbeit ist in Österreich umfassend geregelt, entscheidend ist, dass die Betriebe sich daranhalten. Als Überwachungs- und Kontrollorgan haben Betriebsrät:innen dabei eine wichtige Funktion. Auch weil Personalmangel, Krankheiten oder eine unberechenbare Auftragslage auf Kosten von Schichtarbeiter:innen gehen – gesundheitlich, aber auch familiär. Angelika Zadnich weiß das. „Ich habe die Nachtdienste gern gemacht. Aber ich genieße meine neue Dienstform jetzt sehr – und jedes Wochenende mit der Familie.“ Vor allem kann sie nun endlich mit Herzblut Betriebsrätin sein.


gut zu wissen

Arbeiten in der Nacht:
Worauf kann der Betriebsrat achten?

  • Gesundheit ernst nehmen! 
    Regelmäßige Untersuchungen des Gesundheitszustandes. 

  • Abschluss einer Betriebsvereinbarung
    Um für die Nachtschwerarbeit Maßnahmen zu setzen, die zur Verhinderung, Beseitigung oder Milderung von Belastungen beitragen – oder zu ihrem Ausgleich.

  • Gesundheit profitiert von Regelmäßigkeit
    Ob in den Dienstabfolgen, Ruhephasen oder im Lebensstil wie bei Ernährung oder Bewegung. 

  • Doppelschichten werden empfohlen! 
    Eher schlecht vertragen werden drei Nachtdienste in der Woche – hier droht das Schichtarbeitersyndrom. 

  • Beschäftigt bleiben
    Hilft gerade gegen Ermüdungsphasen ab zwei Uhr morgens. 

  • Altersfrage beachten! 
    Gibt es für ältere Kolleg:innen die Möglichkeit zur Versetzung in die Tagarbeit oder Verkürzung der Nachtarbeit? 

  • Sozialkontakte leiden! 
    Es hilft, Familie und Freund:innen als Verbündete zu gewinnen.


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