Isabel Koberwein, Grundlagenabteilung der Gewerkschaft GPA, und Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht und Drogenfragen der Stadt Wien © Markus Zahradnik
Interview

Sucht am Arbeits­platz

Über Sucht spricht man nicht. Ge­mein­sam mit zwei Ex­pert:in­nen bre­chen wir das Schwei­gen, denn es kann jede:n Be­schäf­tig­te:n treffen.

Theresa Goisauf
02.04.2024

 

Isabell Koberwein, Grundlagenabteilung der Gewerkschaft GPA © Markus Zahradnik
© Markus Zahradnik
Isabel Koberwein, Grundlagenabteilung der Gewerkschaft GPA
"In der Ar­beits­welt gibt es viele Fak­toren, die Sucht be­gün­stigen kön­nen."

Isabell Koberwein, GPA

Isabel Koberwein von der Grund­lagen­abtei­lung der Gewerk­schaft GPA und Ewald Lochner, Koordi­nator für Psy­chiatrie, Sucht und Drogen­fragen der Stadt Wien, im Gespräch.

AKtuell: Immer mehr Arbeitnehmer:innen greifen in der Arbeit zu Substanzen, um leistungsfähiger zu sein. Was steckt hinter diesem Trend? 

Ewald Lochner: Wir treiben alle im selben Ozean, der massive Wellen schlägt, was die Teuerung betrifft. Manche müssen das in einem Tret­boot bewältigen, während andere im Luxus­liner sitzen. Für die, die sich im Tret­boot befinden, ist der Druck enorm. Manche versuchen, sich mit Substanzen zu helfen.

AKtuell: Wen trifft das besonders? 

Ewald Lochner: Rund neun Prozent der Erwach­senen greifen zu leistungs­­stei­gernden Sub­stanzen. Bei Männern ist speziell Alkohol ein Thema. Aber auch immer mehr Frauen bauen Druck über Alkohol ab. Psychisch belastet sind vor allem jene im unteren Einkommens­­drittel, Allein­erzieher:innen und Men­schen unter dreißig

AKtuell: Wie hängen Arbeit und Substanz­konsum zusammen? 

Isabel Koberwein: In der Arbeitswelt gibt es viele Faktoren, die Sucht begünstigen können. Lange Arbeits­zeiten, wachsender Arbeitsdruck und das Verschwimmen von Arbeit und Freizeit zählen dazu. Zusätzlich sind Arbeit­nehmer:innen enormen Anforderungen ausgesetzt. Das wird oftmals durch Alkohol oder andere Substanzen kompensiert.

Ewald Lochner: Seit 2020 steigen die psychischen Belas­tungen der arbeitenden Menschen kontinuierlich. Eine allgemeine Arbeits­zeit­verkürzung bei vollem Lohnausgleich kann Abhilfe schaffen. Das nimmt Druck raus, ist gut für die Psyche und wirkt präventiv. 


veranstaltungstipp

Imagebild Suchtprävention © onyengradar - stock.adobe.com

Save the Date: Fach­tagung Sub­stanz­ge­brauch am Arbeits­platz 

Expert:innen informieren über aktuelle Erkenntnisse zum Thema in Zusammen­hang mit neuen Arbeits­formen in einer sich wandelnden Welt und warum Selbst­optimierung dabei eine immer größere Rolle spielt. 

Wann? 14. November 2024, 9:00 bis 15:30 Uhr
Wo? ÖGB Catamaran, Johann-Böhm-Platz 1, 1020 Wien
Weitere Informationen
: Tagung-Suchtpraevention@sd-wien.at

Tagung: Selbstoptimierung und Substanzgebrauch – ein Thema in Betrieben? - Sucht- und Drogenkoordination Wien (sdw.wien)

Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht und Drogenfragen der Stadt Wien © Markus Zahradnik
© Markus Zahradnik
Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht und Drogenfragen der Stadt Wien
"Wenn Men­schen eine Sucht­er­kran­kung er­lei­den, spü­ren sie ex­tre­men Druck."

Ewald Lochner, Sucht- und Dro­gen­ko­ordi­na­tion Wien

AKt­uell: Wie gelingt erfolgreiche Sucht­prävention und Hilfe im Bedarfs­fall? 

Ewald Lochner: Wenn Menschen eine Sucht­erkrankung erleiden, spüren sie extremen Druck, weil das ein tabuisiertes Thema ist. Umso wichtiger ist es, offen darüber zu sprechen. Es braucht ein klares Regelwerk, das vorgibt, wie der Betrieb beispielsweise mit Alkohol­konsum umgeht.

Isabel Koberwein: Der Umgang mit Sucht ergibt sich aus dem Arbeit­nehmer:innen­schutz und dem Thema Gesundheit im Betrieb. Da haben Betriebs­rät:innen wichtige Mitbestimmungs­rechte. Der Betriebsrat kann sensibilisieren, indem er das Thema aktiv anspricht, und betriebliche Regelungen auf den Weg bringt.

Ewald Lochner: Hier greift das Institut für Suchtprävention unter die Arme und bietet Betriebsrät:innen breite Angebote wie Fort­bildungen, Beratungen oder Handlungs­leitfäden

Isabel Koberwein: Gemeinsam mit der Sucht- und Drogen­koordination haben wir eine Muster­betriebs­vereinbarung erstellt, die wichtige Aspekte abdeckt: Wie kann ich belastende Situationen verhindern, sodass Sucht­probleme gar nicht erst auftreten? Wer kann was im Akutfall tun? 

Ewald Lochner: Ebenso ist die Wieder­eingliederung ein darin abgebildeter Punkt. Speziell im Bereich der psychischen Erkrankungen handelt es sich oft um lange Krankenstände. Zum Schutz vor dem Verlust des Arbeits­platzes kann die Wieder­eingliederung entlasten. 



webtipp

Tipp Symbolbild © AK Wien

Prävention im Betrieb 

Auf der Website der Sucht- und Drogen­koordination Wien findest du Leit­fäden zur betrieblichen Sucht­prävention sowie Bro­schüren und Info­material für deinen Betrieb. 

AKtuell: Welches Arbeits­umfeld braucht es? 

Ewald Lochner: Sucht­erkrankungen wirken sich negativ auf das Betriebs­klima aus. Oft kommt es zu mehr Fehl­zeiten und weniger Leistung, was andere Kolleg:innen auffangen müssen. Letztlich muss der Arbeitgeber für ein arbeit­nehmer:in­nenfreund­liches Arbeitsklima sorgen.

Isabel Koberwein:
Auf diese Verant­wortung des Arbeit­gebers für gesunde Arbeits­bedingungen sollten Betriebs­rät:innen pochen. Sie können auch die Betreuung durch Arbeits-­ und Organisations­psycholog:innen anstoßen, oder auf eine fehlende Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeits­platz hinweisen.



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Podcast und Video zum Thema Sucht am Arbeits­platz

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