Junge Betriebsrät:innen © Markus Zahradnik


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Junge Betriebs­rät:innen: mutig und motiviert

Die Hälfte der Betriebs­rät:innen in Österreich ist über 50 Jahre. Da stellt sich die Nach­wuchs­frage: Wie geht es den Jungen im Gremium – und was wollen sie?

Delna Antia-Tatić
03.10.2024
In diesem Artikel

     

    Junge Betriebsrät:innen © Markus Zahradnik
    © Markus Zahradnik
    Mostafa Radwan, Tobias Reiterits, Denise Stieger (v.l.n.r.)
    „Wir Jungen trauen uns oft mehr – aber wir dürfen auch mehr.“

    Denise Stieger, Austria Trend Hotels

    Denise Stieger, Zentralbestriebsrätin der Austria Trend Hotels © Markus Zahradnik
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    Denise Stieger, Zentralbestriebsrätin der Austria Trend Hotels
    „Vielen Lehr­lin­gen fehlt die Le­bens­freu­de. Da hilft Zu­hö­ren.“

    Mostafa Radwan, ÖBB

    Mostafa Radwan, ehemaliger Zentral-Jungendvertrauensrat der ÖBB © Markus Zahradnik
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    Mostafa Radwan, ehemaliger Zentral-Jungendvertrauensrat der ÖBB
    „Junge Berufs­ein­stei­ger:in­nen ha­ben das nied­rig­ste Ge­halt und krie­gen oft nur be­fris­te­te An­stel­lun­gen.“

    Tobias Reiterits, APA

    Tobias Reiterits, Betriebsrat der APA © Markus Zahradnik
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    Tobias Reiterits, Betriebsrat der APA

    „Du bist Betriebs­rätin? In deinem Alter?“ – Nicht selten begegnet Denise Stieger großes Erstaunen, wenn sie erzählt, dass sie Teil des Gremiums ist. Eine junge Frau, gerade einmal 25 Jahre alt, so stellt man sich gemeinhin kein Betriebs­rats­mitglied vor. Doch „Yes, she can“, möchte man sagen. Stieger bringt sogar Erfahrung mit. Die Schicht­leiterin an der Rezeption des Park­hotels Schönbrunn ist seit sieben Jahren aktiv in der Arbeit­nehmer:in­nen­ver­tretung.  

    Angeheuert wurde sie mit 18 Jahren von der Gewerkschaft vida. Bei einem Schulbesuch fiel auf, dass Stieger keine Scheu zeigte, „den Mund aufzumachen“. Seither wird sie gefördert. Ob bei der Kandidatur zur Jugend­vertrauensrätin oder letztes Jahr bei der Wahl zur Betriebsrätin. Beide Male wurde Stieger aktiv gefragt. „Es ist schön, wenn andere Leute dein Engagement sehen“, sagt Stieger. „Aber ich hätte auch kandidiert, wäre unser Betriebsrats­vorsitzender nicht auf mich zugekommen.“ 

    Nur vier Prozent sind jünger als 30 Jahre

    Stieger will sich im Zentral­betrieb­srat der Austria Trend Hotels bewusst für die Jungen einsetzen. Und gleichzeitig frischen Wind ins Gremium hineinbringen. „Es ist gut, dass es Mitglieder gibt, die viel Erfahrung und Wissen haben. Aber es ist auch gut, wenn junge Leute mit neuen Blick­winkeln kommen und Ideen bringen, auf die Ältere gar nicht kommen würden.“ Die Hälfte aller Betriebs­ratsmit­glieder in Österreich ist 50 Jahre und älter, wie die Mit­bestimmungs­studie von 2022 zeigt. Jünger als 30 Jahre sind nur vier Prozent der Betriebs­rät:innen. Dabei macht diese Altersgruppe ein Viertel der Beschäftigten aus. Eine deutliche Kluft. Die Nachwuchsfrage in Österreichs Betriebsräten dreht sich also nicht allein um jungen Elan, sondern um Repräsentanz.  


    Junge Arbeitnehmer:innen werden oft vergessen

    „Generell finde ich, dass Lehrlinge und junge Arbeit­nehmer:innen oft vergessen werden“, sagt Stieger. Gerade in Branchen wie der Hotellerie und Gastronomie sei es wichtig, diese früher aufzu­fangen und bei den ersten Schritten im Arbeitsleben zu begleiten. „Dann würden auch weniger junge Leute abbrechen.“ Lehrlinge werden oft ausgenutzt, weiß Stieger noch aus ihrer Zeit im Jugendvertrauensrat.

    Ob im Schichtbetrieb oder weil sie durchgehend in der Küche eingesetzt werden, wenn dort Personal fehlt. „Viele trauen sich nicht, Dinge anzusprechen, aus Angst, die Lehrstelle zu verlieren.“ Ihre Branche müsse sich bemühen, attraktiver für Junge zu werden. Wer am Wochenende und nachts durcharbeitet, wer in der Küche angeschrien wird, den wird das auch noch knappere Trinkgeld nicht überzeugen. „Da passt das Verhältnis nicht.“


    Erfolgserlebnis für junge Betriebsrät:innen

    Bei den Kollektivverträgen mitzuverhandeln, war für die junge Betriebsrätin ein Erfolgserlebnis. Tobias Reiterits kennt das Glücksgefühl. Der 26-Jährige ist seit 2022 Betriebsrat bei der Austria Presse Agentur (APA) und hat sich bei den letzten Verhand­lungen ebenfalls für die Jungen ins Zeug gelegt. „In unserer Branche arbeiten viele Studierende in Teilzeit. Mir war es wichtig, dass auch sie von der Arbeits­zeit­verkürzung profitieren,“ erzählt er.


    Jung und befristet 

    Anders als Denise Stieger wurde er nicht gefragt, ob er kandidieren möchte. „Ich habe mich auf die Liste reklamiert und gesagt, ich bin motiviert, ich möchte das machen.“ Das kam gut an. Im Betriebsrat war man froh über seine Initiative. Dabei war Reiterits gerade erst ein Jahr im Unternehmen beschäftigt – mit nur 20 Stunden die Woche.

    Als Studierender der Politik­wissenschaft begann er in der Medien­beobachtung und erstellte zwischen sechs und zehn Uhr morgens Presse­spiegel, ein klassischer Studenten­job. Dazu kamen ein zweiter Job und sein Studium. Heute arbeitet er geregelt und nur für die APA, doch die Anfangserfahrung sitzt: zu wenige Stunden, zu wenig Geld, zu hohe Kosten. Ein Los von vielen jungen Menschen.  

    „Junge Berufs­einsteiger:innen haben das niedrigste Gehalt, sie kriegen oft nur befristete Anstellungen oder Karenz­vertretungen,“ erklärt Reiterits. Das führe zu stärkeren ökonomischen, aber auch psychischen Belas­tungen. „Durch Home­office vereinsamen gerade neue Kolleg:innen“, weiß Reiterits aus eigener Erfahrung und sieht hier den Betriebs­rat in der Verant­wortung. „Ein Brunch, eine Weihnachts­feier, das hilft schon viel.“


    Psychisch belastet

    Auch „Eisenbahner“ Mostafa Radwan erlebt eine steigende psychische Belastung bei Jungen. Der 22-jährige Infra­struktur­techniker war Vorsitzender des Zentraljugendvertrauensrates der ÖBB. Nun ist er Ersatzbetriebsrat. „Vielen Lehrlingen fehlt die Lebens­freude.“ Der letzte Arbeitsklima-Index der Arbeiterkammer Oberösterreich bestätigt: 2023 verspürten 67 Prozent der Beschäftigten bis 25 Jahre Depressivität, mehr als doppelt so viele als noch 2019.

    Zuhören, eine Therapie vorschlagen, Radwan ist das ein Herzens­anliegen. Auch Rassismus und Diskriminierung sind Themen. Mobbing kennt Radwan aus eigener Erfahrung und appelliert an die Jungen: „Lasst euch nicht unterkriegen!“ Der größte Erfolg: „Als Jugend­vertrauens­rät:innen haben wir die Einführung von Gratis-Menstruations­artikeln in den Wiener Mädchen­garderoben durchgesetzt.“ Trotz anfänglichen Gelächters.


    Die Jungen trauen sich mehr!

    „Wir Jungen trauen uns oft mehr – aber wir dürfen auch mehr,“ findet Denise Stieger. Man sei näher an den Themen der jüngeren Beschäftigten dran. Doch die größte Motivation hilft wenig, wenn Unter­stützung fehlt. Gerade am Anfang ist der Mitbestimmungs­wille oft größer als das Wissen um die Rechte und Pflichten im Betriebs­rat. Stieger hat in ihrem Betriebsrats­vor­sitzen­den einen Mentor, der sich ihre Ideen anhört und mit seiner Erfahrung bei der Umsetzung hilft. Aber auch die Gewerk­schaften seien eine wichtige Stütze.

    Was sich die drei wünschen? „Mehr Vernetzung mit jungen Betriebs­rät:innen aus anderen Branchen!“ So wie bei diesem Treffen.


    gut zu wissen


    Hilfreiche Tipps für junge Betriebsrät:innen


    1. Expertise anfragen!

    Keine Sorge, du brauchst kein abgeschlossenes Jus-Studium. Erkundige dich über Weiterbildungen beim VÖGB und zögere nicht, in deinem Gremium oder bei deiner Gewerkschaft um Rat zu fragen.


    2. Ein:e Mentor:in

    ist Gold wert, aber auch ein Buddy kann anfangs helfen: Eine Person, die wie du neu ist im Betriebsrat.


    3.  Austausch mit anderen Betriebsrät:innen

    Viele Themen ähneln sich branchenübergreifend. Vernetze dich mit anderen jungen Betriebsratsmitgliedern. Lernt voneinander.


    4.  Jung gegen Alt?

    Im Gegenteil. Mache im Gremium klar, warum deine Anliegen nachhaltig wichtig sind, womöglich auch für ältere Generationen. Sei Brückenbauer:in

     

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