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Frauen im Betriebsrat: Eine Frage der Zeit – und des Geschlechts

Frauen sind im Betriebsrat und in politischen Rollen unterrepräsentiert. Warum das keine Frage des Willens ist, sondern die Konsequenz von Zeitarmut, erklärt Eva-Maria Burger, Leiterin der Abteilung Frauen und Familie der AK Wien.

Delna Antia-Tatić
09.12.2024




Eva-Maria Burger, AK Wien © Lisi Specht
Eva-Maria Burger, Leiterin der Abteilung Frauen und Familie der AK Wien © Lisi Specht

AKtuell: Betriebs­ratsarbeit ist zeitintensiv und geht oft auf Kosten der Freizeit. Wundert es da, dass Frauen im Gremium unter­repräsentiert sind? 

Eva-Maria Burger: Nein, das wundert mich persönlich nicht. Frauen haben ohnehin schon Mehrfach­belastungen. Sie kommen einerseits für ihre eigene Erwerbs­arbeit auf, übernehmen aber andererseits auch die unbezahlte Care-Arbeit: Sei es die Kinder­betreuung, die Pflege von älteren Personen oder klassisch das Waschen, Putzen und Kochen daheim. Wer jedoch doppelt und mehrfach belastet ist, kann woanders nur weniger zur Verfügung stehen. Sich in einem Betriebsrats­gremium politisch zu engagieren, das benötigt Zeit.

AKtuell: Es gibt nicht nur in Gesamt­zahlen weniger Betriebs­rätinnen, sondern auch in den Funktionen: Frauen sind seltener freigestellt oder Vorsitzende. Liegt das auch am Zeitfaktor?

Eva-Maria Burger: Ja, denn Betriebsrats­mitglieder starten meist nicht freigestellt, sondern arbeiten sich in den Systemen nach oben. Wenn ich wenig Zeit habe, wie es bei Frauen der Fall ist, habe ich weniger Chancen, mich weiter­zuentwickeln. Zeit ist ja ein Äquivalent von vielem: Dass ich mich in Themen einlesen kann, dass ich Netzwerke pflegen, mich mit Kolleg:innen austauschen oder an Fortbildungen teilnehmen kann. Der Zeitfaktor wird verschärft, wenn ich Teilzeit arbeite, weil ich aufgrund von Betreuungs­pflichten nicht Vollzeit arbeiten kann. 

AKtuell: Stichwort Teilzeit: Frauen mit Kindern sind besonders unter­repräsentiert – im Betriebsrat, aber auch sonst in politischen Funktionen. Warum? 

Eva-Maria Burger: Weil Frauen größtenteils die Kinder­betreuung und Pflegearbeit übernehmen. Das bedeutet: Sie können am Abend nicht zum After-Work-Treffen bleiben, sie können nach Feierabend nicht noch eine Runde im Betrieb drehen und sie können nicht einfach drei Tage an einer Ausbildungs­reise teilnehmen. Zeitarmut betrifft Frauen deutlich mehr, insbesondere Mütter. Politische Arbeit braucht aber Zeit. Gerade dann, wenn man es „on top“ macht. 


AKtuell: Werden Mütter damit mehrfach „bestraft“ – einmal, weil sie mit der Eltern­schaft oft an Karriere, Gehalt und später Pension einbüßen, aber auch, weil sie sich politisch weniger einbringen können? 

Eva-Maria Burger: In unserer Gesellschaft haben wir eine unfaire Verteilung von Care-Arbeit. Zum einen ist der Ausbau der Daseins­vorsorge von staatlicher Seite nicht ausreichend. Dadurch muss die Kinder­betreuung individuell übernommen werden. Genau das Gleiche gilt für die Pflege der Älteren. Die andere Seite ist die partner­schaftliche Ebene: Wir wissen etwa, dass Haushaltsarbeit zu zwei Dritteln von Frauen übernommen wird.

Das Resultat: Jeder Mensch hat 24 Stunden am Tag. Manche Mütter scheinen allerdings mehr unter­zubringen, vor allem an unbezahlter Arbeit. Sich dann noch Raum für eine politische Rolle zu nehmen, wird im knappen Zeitbudget schwer. Das heißt, die Möglichkeit für Mütter, betriebsrätlich für die Interessen der Arbeit­nehmer:innen, aber auch politisch für die eigenen Überzeugungen einzutreten, sind klar eingeschränkt. 

Je we­ni­ger Frau­en sich po­li­tisch enga­gie­ren können, des­to mehr wer­den Frau­en all­ge­mein zu­rück­ge­drängt.


Eva-Maria Burger, AK Wien

AKtuell: Mehr Stress, mehr Lebenssorgen – viele Frauen fühlen sich überlastet. Ist das auch ein Hindernis für politisches Engagement? 

Eva-Maria Burger: Ja, denn zum Alltagsstress kommt der „Mental-Load“: Geburtstags­geschenke, Arztbesuche, Schulnoten, Winterschuhe – um all das kümmern sich Frauen „nebenbei“. Es geht daher nicht um die Frage, ob Frauen ein politisches Engagement nichts wert ist, sondern oft um die Grenze zur Selbst­ausbeutung: Tu ich mir ein politisches Amt zusätzlich an? Der Mental-Load von Frauen ist daher ein Risiko für die Zukunft. Denn je weniger Frauen sich politisch engagieren können, desto mehr werden Frauen allgemein zurückgedrängt. 


AKtuell: Welche Konsequenzen hat es, wenn Frauen ausgegrenzt werden? 

Eva-Maria Burger: Wenn im Betriebsrat mehr Männer und weniger Personen vertreten sind, die in Teilzeit arbeiten und Betreuungs­pflichten haben, dann liegen auch diese Themen ferner. Natürlich können andere auch darauf achten. Aber sinnvoller ist es, die Menschen miteinzu­beziehen, die die Hürden der Verein­barkeit kennen. Vor diesem Erfahrungs­horizont können sie auch jene Arbeit­nehmer:innen besser vertreten, die ebenfalls Kinder und Job unter einen Hut bringen müssen.


AKtuell: Was können Betriebsrats­körperschaften tun, um Frauen zu gewinnen? 

Eva-Maria Burger: Zunächst sollten sie sich bewusst machen, warum ein vielfältiges Gremium wichtig ist – und ihre Arbeit besser macht. Dann lohnt es, sich selbst zu hinterfragen: Für wen ist es überhaupt möglich, in unser Gremium zu kommen? Wann finden unsere Sitzungen statt? Am Wochenende oder nach 17 Uhr, weil das Tagesgeschäft dann vorbei ist? Menschen in Teilzeit werden aber dadurch wahrscheinlich ausgeschlossen. 


AKtuell: Braucht es mehr Bewusstsein für die fehlende Mit­bestimmung von Frauen? 

Eva-Maria Burger: Die Datenlage ist klar und zugänglich. Was noch nicht erfolgt, ist das Handeln. Es reicht nicht, zu sagen, wir hätten gern mehr Frauen, und dann weiter­zumachen wie immer. Die Art und Weise, wie Positionen und Rollen ausgeführt werden, schließt viele Menschen aus. Damit schließen wir aber auch deren Zugänge, Potential und deren Kompetenzen aus.


gut zu wissen

Mehr Frauen in den Betriebsrat – aber wie?

  • Bewusstmachen: Wem ist es überhaupt möglich, an unserer Gremiumskultur teilzunehmen.
  • Handeln: Strukturen so aufsetzen, dass Frauen mit Betreuungspflichten und Teilzeitkräfte nicht ausgegrenzt werden.
  • Terminkultur: Sitzungen nicht abends oder am Wochenende ansetzen.
  • Ansprechen: Aktiv Frauen für Betriebsratsfunktionen anfragen und ermutigen, auch Teilzeitkräfte.
  • Themensetting: Vereinbarkeit aktiv auf die Betriebsratsagenda setzen.
  • Rollenverteilung: Frauen hilft es, wenn Männer mehr Care-Arbeit übernehmen. Daher im Betrieb aktiv fördern: Papa-Monat, Väterkarenz und Elternteilzeit von Vätern.


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