Matthias Schnetzer: Ja, das mit den großen Fußstapfen kann man so sagen. Markus Marterbauer hat als Chefökonom der AK eine prägende Rolle gespielt und viele Initiativen gestartet, auf denen ich jetzt aufbauen kann. Was ich in Zukunft noch stärker betonen möchte, sind etwa Fragen der Produktivitätsentwicklung, der Verteilungsgerechtigkeit oder der feministischen Ökonomie. Persönlich ist mir aber auch die soziale und ökologische Transformation der Wirtschaft ein großes Anliegen.
Matthias Schnetzer: Bei der Einkommensverteilung bewegt sich Österreich im europäischen Mittelfeld, bei der Vermögenskonzentration hingegen sind wir unrühmliches „Schlusslicht“ – soll heißen: In kaum einem anderen europäischen Land sind die Vermögen so geballt in wenigen Händen wie bei uns. Das wird zunehmend zu einem gesellschaftlichen Problem, weil es den Zusammenhalt und die Demokratie gefährdet.
Matthias Schnetzer: Unser Steuersystem basiert zu einem überwiegenden Teil auf Steuern auf Arbeit und Konsum. Vermögen tragen heute tatsächlich nur etwas mehr als ein Prozent zum Steuerkuchen bei. Das ist eine Schieflage im System, die es zu korrigieren gilt. Selbstverständlich müssen wir darüber diskutieren, große Vermögen viel stärker zur Finanzierung der öffentlichen Leistungen heranzuziehen.
„Der soziale und ökologische Umbau der Wirtschaft ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern eine Notwendigkeit.“
Matthias Schnetzer, AK Wien
Matthias Schnetzer: Zwischen damals und heute liegt die neoliberale Wende der Wirtschaftspolitik, die zu einer Machtverschiebung geführt hat. Das Kapital bekam mehr Freiheiten, der Staat wurde zurückgedrängt. Wir haben eine massive Deregulierung erlebt – Vermögenssteuern wurden in so gut wie allen westlichen Industriestaaten abgeschafft, in vielen auch die Erbschaftssteuern.
Matthias Schnetzer: Es ist richtig, dass die derzeitige Budgetkonsolidierung zu zwei Dritteln ausgabenseitig passiert. Man muss der Regierung aber zugutehalten, dass das verbleibende Drittel einnahmenseitig geschieht und durchaus auf das obere Ende der Verteilung abzielt. Konkret sind Maßnahmen wie die Erhöhung der Bankenabgabe, die Erhöhung des Eingangssteuersatzes bei Privatstiftungen oder die Umwidmungsabgabe zu nennen.
Warum keine klassischen vermögensbezogenen Steuern eingeführt werden, liegt daran, dass eine finanzkräftige Lobby noch immer dagegenhält. Allerdings vernimmt man auch in den Reihen der Regierungsparteien mittlerweile mehr Stimmen, die einer Besteuerung großer Erbschaften wohlwollend gegenüberstehen – und auch aus der Wirtschaftsforschung werden die Rufe in diese Richtung lauter.
Matthias Schnetzer: Bei allen seriösen Vorschlägen, die derzeit zur Diskussion stehen, geht es immer um Vermögen, die über einer Million Euro liegen – selbst bei einer möglichen Erbschaftssteuer. Zusätzlich gibt es Modelle, die außerdem eine Befreiung des Eigenheims vorsehen. Vermögen von mehr als einer Million Euro besitzen in Österreich nur die reichsten drei bis vier Prozent – die Mittelschicht wäre davon also definitiv nicht betroffen.
Matthias Schnetzer: Ein wichtiger Punkt ist die Lohntransparenz. Hier gibt es die sogenannte „Entgelttransparenzrichtlinie“ der EU, die allerdings nur für Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten gilt.
Wir als AK gehen einen Schritt weiter und fordern Lohntransparenz bereits in Betrieben ab 25 Mitarbeiter:innen. Wichtig für die Diskussion ist, dass man die Fakten auf dem Tisch hat und die Zahlen kennt. Betriebsratsmitglieder können diese Zahlen zum einen einfordern und ihre Belegschaft informieren, zum anderen können sie auf Basis der Daten auch in ihren Unternehmen entsprechende Maßnahmen für mehr Einkommensgerechtigkeit verlangen.
„Wo es einen Betriebsrat gibt, ist der wichtigste Schritt in Richtung mehr Fairness schon getan.“
Matthias Schnetzer, AK Wien
Matthias Schnetzer: Preiseingriffe sind ein breiter Begriff, der ja nicht unbedingt bedeutet, dass der Staat hergeht und den Brotpreis festlegt. Stattdessen geht es um die Überzeugung, dass die Marktkräfte die Teuerung nicht allein in den Griff bekommen. Hier kommt die öffentliche Hand ins Spiel, die auf mehr Preistransparenz pochen kann – oder auf die Einführung einer Anti-Teuerungskommission, die sich ansieht, wo genau in der Wertschöpfungskette diese Preisaufschläge passieren und welche gezielten Gegenmaßnahmen man ergreifen könnte. Österreich hat mit Preiseingriffen Erfahrung, etwa im regulierten Mietsektor oder bei Medikamenten. Völliges Neuland wäre das also nicht.
Matthias Schnetzer: Ja, in der Tat benachteiligen Markenartikelhersteller gewisse Märkte in der EU mit höheren Preisen. Das widerspricht jeglicher Idee eines gemeinsamen europäischen Marktes, und der Wirtschaftsminister ist hier gefordert, auf der EU-Ebene Druck aufzubauen. Auch die hohe Marktkonzentration in Österreich spielt eine Rolle, da hier wenige Handelsketten die Preise bestimmen.
Matthias Schnetzer: Im Grunde genommen ist das nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern eine Notwendigkeit. Es geht darum, Wirtschaft und Umwelt in Einklang zu bringen: Bei jeder wirtschaftspolitischen Überlegung gilt es, die Klimakrise mitzudenken und die arbeitenden Menschen einzubeziehen. Das heißt: Maßnahmen müssen so gestaltet sein, dass sie sozial ausgewogen sind. Betriebsratsmitglieder können den Transformationsprozess im Unternehmen einfordern und begleiten.
Matthias Schnetzer: Ich würde sagen: Wo es einen Betriebsrat gibt, ist der wichtigste Schritt in Richtung mehr Fairness schon getan. Ganz abgesehen natürlich von den alltäglichen Kämpfen für mehr Gerechtigkeit im Arbeitsleben, bei denen die Betriebsratsmitglieder ohnehin einen hervorragenden Job machen.
Derzeit bringt sicherlich die Teilzeitdebatte einige Herausforderungen mit sich, weil sie mit dem Unterton geführt wird, dass die Beschäftigten ihre Leistung nicht mehr erbringen würden. Hier muss man richtigstellen: Zum einen sind die Gründe für Teilzeit vielseitig, aber vorrangig arbeiten die Leute in diesem Modell, weil sie Betreuungspflichten haben, in Ausbildung sind oder keine Vollzeitstelle finden, kurz: weil sie ganz einfach nicht anders können. Zum anderen ist die Arbeitswelt heute so intensiv geworden, dass es für viele Menschen nur schwer vorstellbar ist, bei vollem Arbeitspensum bis zur Pension durchzuhalten.
Wir haben in Österreich die drittlängste Arbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigung im EU-Vergleich. Die Beschäftigten leisten Großes. Das darf man nicht von zynischen Stimmen vom Tisch wischen lassen.
Matthias Schnetzer, geboren 1983 in Feldkirch, Vorarlberg, ist Doktor der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und seit 2013 in der Arbeiterkammer Wien tätig, deren Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik er seit Juni 2025 leitet. Der Vater einer Tochter folgt als Chefökonom der AK auf den heutigen Finanzminister Markus Marterbauer.
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Alle Infos findest du auf der Website der AK.