Wer auf Montage arbeitet, spürt es schon länger. Das Arbeiten im Sommer wird immer belastender“, sagt Michael Preyss. Der Mittvierziger ist Betriebsratsvorsitzender in einem Unternehmen der Elektro- und Gebäudetechnik und vertritt im Bundesbranchenausschuss für das Metallgewerbe in der Gewerkschaft PRO-GE rund 115.000 Arbeiter:innen und Lehrlinge in Österreich. Die Ergebnisse einer AK-ÖGB-Umfrage unter knapp 2.000 Betriebsratsvorsitzenden bestätigen Preyss’ Befund. In der Erhebung sagte jede:r Fünfte, dass sich die Klimakrise bereits auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Betrieb auswirkt.
Personen, die im Freien arbeiten, trifft es besonders: „Auf Dächern oder in Baugruben werden Temperaturen von über 50 Grad erreicht“, erzählt Preyss. Aber auch Beschäftigte, die Wege von einem Kunden zum nächsten, von einer Klientin zur anderen zurücklegen, belastet die Hitze. Heimhilfen in der mobilen Betreuung zum Beispiel. Sie suchen die Klient:innen in den Wohnungen auf. In Wien heißt das häufig: Stiegen steigen, weil es keinen Lift gibt, und in stickigen Wohnungen beim Waschen, Stützen und Versorgen älterer Menschen körperliche Schwerarbeit leisten.
Martin Reiter, ÖGB
Massive gesundheitliche Gefahren auf der einen Seite – mangelnder gesetzlicher Schutz auf der anderen: Zwischen diesen Polen bewegen sich die Beschäftigten und ihre Betriebsrät:innen. Einzig die Baubranche bietet mit dem Bauarbeiter-Schlechwetterentschädigungsgesetz eine Regelung an, die Arbeiter:innen bei Hitze schützt. Bauarbeiten können bei über 32,5 Grad im Schatten eingestellt werden – jedoch nur, wenn der Arbeitgeber zustimmt. „Im Metallgewerbe gibt es so etwas leider nicht“, klagt Preyss.
„Wir brauchen klimafitte Arbeitsplätze und gesetzliche Regelungen für alle Branchen“, ergänzt Harald Bruckner von der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit in der AK Wien. Ab 25 Grad sollen Arbeitgeber verpflichtet werden, Maßnahmen gegen die Hitze zu setzen. Ab 30 Grad sollen Arbeiten eingestellt oder bei öffentlich relevanten Berufsgruppen die Arbeitszeit begrenzt und zusätzliche Schutzmaßnahmen vorgesehen werden. Auch für die Schutzausrüstung gegen die Hitze und die schädliche UV-Strahlung braucht es verbindliche Vorschriften. „Klar versucht jeder Betriebsrat, auf den Arbeitgeber einzuwirken. Zum Beispiel, damit der Betrieb Kühlwesten bereitstellt. Aber ob die Arbeiter:innen die bekommen, hängt derzeit vom guten Willen des Chefs ab“, sagt Preyss.
Für eine wirkungsvolle Klimapolitik reicht es nicht, die bereits spürbaren Auswirkungen abzufedern. Nötig ist der Umbau unserer Wirtschaft, damit der Ausstoß der Treibhausgase sinkt. Wie dies gelingen kann? „Ziel muss es sein, die Klimakrise abzuwehren und zugleich das Leben der Arbeitenden zu verbessern“, sagt Martin Reiter vom volkswirtschaftlichen Referat des ÖGB. Bereits 2021 hat der ÖGB ein Positionspapier zur Klimapolitik aus Arbeitnehmer:innenperspektive beschlossen. Darin werden für die einzelnen Wirtschaftssektoren wichtige Schritte dargelegt, um den Übergang hin zu einer klimaneutralen und sozial gerechten Wirtschafts- und Arbeitswelt zu schaffen. An die Politik richtet der ÖGB in dem Papier den Rat: „Aktive Politik statt Zuwarten.“
„Das, was fehlt, ist eine übergeordnete Planungsgrundlage. Eine Studie, die herunterbricht, was der Umbau der Wirtschaft für die einzelnen Branchen und Regionen bedeutet. Und eine Agentur, die schaut, dass alle Ministerien an einem Strang ziehen und die auch den Kontakt zu den Ländern hält“, vermisst Reiter eine übergreifende Strategie und eine Zusammenarbeit, wie sie vor dem EU-Beitritt in Österreich gelebt wurde. Nicht ambitioniert genug zeigt sich die Regierung bislang auch beim Einbinden der Arbeitnehmer:innen.
Im März wurden per Gesetz Milliardenförderungen für die Industrie beschlossen, um die Unternehmen beim Umbau weg von den fossilen Brennstoffen zu unterstützen. Die von AK und ÖGB verlangte Koppelung der Förderungen aus dieser „Klima- und Transformationsoffensive“ an die Erstellung konkreter Pläne in den Betrieben, die sich die Förderungen abholen, fehlt in dem Gesetz. Auf Drängen von AK und ÖGB wurden einzelne Elemente zumindest in die entsprechenden Förderrichtlinien aufgenommen.
Wer gemeinsam erarbeitet, in welche Richtung sich das Unternehmen entwickeln soll und welche Qualifikationen die Beschäftigten dafür brauchen, nimmt diffuse Zukunftsängste und zeigt Handlungsoptionen auf. „Gerade auch für die kleinen und mittleren Zuliefererbetriebe ist es wichtig, sich damit zu befassen, wie sie die Produktionsprozesse umgestalten müssen. Sie sollen nicht erst durch die fehlende Nachfrage schmerzhaft erfahren, dass ihre Produkte nicht mehr gefragt sind“, sagt Reiter.
Michael Preyss, PRO-GE
Sehr viele Menschen erkennen, dass sich etwas ändern muss, um die Klimakrise gut zu bewältigen. Doch der Arbeitsdruck, die Teuerung und andere Sorgen verdrängen das Thema Nachhaltigkeit oft aus der Liste der Prioritäten. Michael Preyss rät dazu, das Thema anzupacken: „Als Betriebsrat können wir uns da nicht rausnehmen und sagen: Die anderen sollen das lösen.“
Im April hat Preyss an der dreitägigen Akademie für sozialen und ökologischen Umbau von AK und ÖGB teilgenommen und sich dort mit Teilnehmer:innen aus der Gewerkschaft, der Klimabewegung und der Wissenschaft vernetzt. „In der Gruppe hatte ich trotz unterschiedlicher Zugänge das Gefühl, dass wir uns gegenseitig zuhörten und respektierten. Die Frage, an der wir gemeinsam weiterdenken müssen, ist: Wie holen wir die mit ins Boot, die sich noch nicht dafür interessieren, und wie könnten weitere Schritte aussehen?“
Ist bei euch im Betrieb das Thema Klimakrise mit den Veränderungen für Beschäftigte schon angekommen? Gibt es Diskussionen und vielleicht auch Maßnahmen? Stimme jetzt ab!
Klimagerechtigkeit aus der Perspektive der Arbeitnehmer:innen
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