Christine Steger, Patrick-Berger, AK Wien © Markus Zahradnik
Interview

Menschen mit Be­hinde­rung: Bar­rie­ren aus dem Weg!

Über eine Million Men­schen lebt in Öster­reich mit einer Behin­derung. In der Arbeits­welt warten viele Hür­den. Für mehr Gleich­stellung auf dem Arbeits­markt: Wie wir Barrieren räumen und Wege ebnen.

Theresa Goisauf
10.11.2023

 

Christine Steger ist seit März 2023 Behindertenanwältin der Republik Österreich und selbst Behindertenvertrauensperson. © Markus Zahradink
© Markus Zahradink
Christine Steger ist seit März 2023 Behindertenanwältin der Republik Österreich und selbst Behindertenvertrauensperson.
"Es braucht eine an­de­re, fle­xi­ble­re Form der Loh­nar­beit."

Christine Steger

Patrick Berger, Christine Steger und Verena Allerbauer im Interview mit AKtuell.

AKtuell: Kürz­lich wurde die Um­setzung der UN-Behin­der­ten­kon­ven­tion kri­ti­siert: Öster­reich kommt sei­ner Ver­pflich­tung, Men­schen mit Be­hin­de­rung in den Ar­beits­markt zu inte­grie­ren nicht nach. Wie weit sind wir von einer in­klu­si­ven Arbeits­welt ent­fernt? 

Christine Steger: Die UN-Behinderten­konvention und das Behinderten­ein­stellungs­gesetz geben gesetzlich vor, für alle Menschen da zu sein. Wir sehen, dass der Arbeits­markt aus allen Löchern pfeift, und trotzdem wird an starren Struk­turen festgehalten, die verhindern, dass Leute in Beschäf­tigung kommen.

Patrick Berger: Wenn die Integration von Menschen mit Behin­derung funktioniert, dann nur, weil die Personen selbst einfordern, was sie brauchen. Betriebe wissen oft nicht, wie sie mit behin­derten Menschen umgehen. Wir im Chancen Nutzen-Büro sind hier eine hilf­reiche Anlauf­stelle.

AKtuell: Jede:r Zweite mit Behin­derung ist auf Arbeits­suche. Nur wenige Betriebe eröffnen Menschen mit Behin­derungen gute Job­chancen. Ein Wider­spruch zum Fehlen von Fach­kräften? 

Christine Steger: Aufgrund Ausschluss­mechanismen im Schul­bereich sind Menschen mit Behin­derung häufiger schlechter gebildet. Wenn ich die neoliberale Logik anwende, und immer die best­qualifizierte Person einstelle, kommen behinderte Menschen oft nicht in Beschäftigung.

Patrick Berger: Zusätzlich sind die meisten Bildungs­stätten nicht barriere­frei. Selbst wenn es persönliche Assistenz und einen integra­tiven Lehrplan gäbe, könnten die Leute die Bildung nicht nutzen, weil sie gar nicht in die Gebäude kommen. 

AKtuell: Frauen mit Behin­derungen sind mehr­fach belastet. Was muss passieren, um ihnen bessere Chancen am Arbeits­markt zu eröffnen? 

Christine Steger: Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind eine beson­ders vulnerable Gruppe. Ihre Erwerbs­beteiligung ist deutlich niedriger als jene von Männern mit Behin­derung. Und sie sind doppelt so häufig von Armut be­troffen. Es existieren zwar viele Projekte, die Frauen in Beschäf­tigung bringen, aber Frauen mit Behin­derungen nicht mitdenken. Im Grunde sollten alle Anlauf­stellen für Menschen mit Behin­derungen einen Gender Aspekt haben, und alle Frauen­programme inklusiv sein. 



veranstaltungstipp

Imagebild Inklusion Frauen © Robert Kneschke - stock.adobe.com

Karriere statt Barriere

Wo Frauen mit Behin­derungen gut im Job integriert sind und wie Verbesserungen initiiert werden können, erfährst du bei der
Veranstaltung  „Karriere statt Barriere. Job­chancen von Frauen mit Behinderungen erhöhen!“.

Sie findet am 30. November 2023 im
ÖGB Catamaran statt.

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Verena Allerbauer ist Projektleiterin von CAMINO Frauen. © Christian Novak
© Christian Novak
Verena Allerbauer ist Projektleiterin von CAMINO Frauen.
"CAMINO Frauen rich­tet sich nach den per­sön­li­chen In­ter­es­sen, Fähig­­kei­ten und Er­fah­run­gen der Frau­en."

Verena Allerbauer

AKtuell: CAMINO Frauen zeigt, dass es anders geht. Warum braucht es dieses Projekt?

Verena Allerbauer: Wie Christine Steger sagt, haben Frauen, und gerade Frauen mit Behinderungen, mit multiplen Heraus­forderungen zu kämpfen. Meist stellen sie ihre Bedürf­nisse hinten an. CAMINO Frauen richtet sich nach den persönlichen Interessen, Fähig­keiten und Erfahrungen der Frauen. In den durch­schnittlich 16 Wochen­stunden werden sie durch professionale Teams gestärkt. Anschließend fällt der Eintritt in den Arbeits­markt leichter und die Job­chancen sind höher.

AKtuell: Welche Rolle spielen Betriebs­rät:innen in dem ganzen Kon­strukt?

Patrick Berger: Manche Betriebsrät:innen haben selbst Berührungsängste. Es ist absurd, wenn ein Betriebsrat nach sechs Jahren seine Behindertenvertrauensperson nicht kennt. Unsere Kernaufgabe im Chancen Nutzen-Büro ist, mittels Seminare, Coachings und Beratungen zu sensibilisieren.

Christine Steger: Es wundert mich immer wieder, warum Gewerk­schaften dieses Thema noch nicht so für sich entdeckt haben. Denn Inklusion betrifft ja alle Lebens­bereiche und Betriebs­räte sind wichtige Verbündete. Man muss auf jeden Fall die Zusammen­arbeit mit den Behin­der­ten­vertrauens­personen (BVPs) forcieren und BVPs viel stärker in Betriebs­rats­sitzungen einbinden. 



webtipp

Tipp Symbolbild © AK Wien

Anlaufstelle

Das Projekt „CAMINO Frauen“ unter­stützt Frauen mit psy­chischen und/oder körper­lichen Ein­schränkungen bei der Integration in den Arbeits­markt.
Info­material findest du hier,
Anfragen unter: info@bbrz.at 
Patrick Berger leitet das Chancen Nutzen-Büro im ÖGB.  © Markus Zahradnik
© Markus Zahradnik
Patrick Berger leitet das Chancen Nutzen-Büro im ÖGB.
"In­klu­si­ve Bil­dung von klein auf er­mög­licht ei­nen in­klu­si­ven Ar­beits­­markt."

Patrick Berger

 


AKtuell: Was macht einen inklusiven Arbeitsplatz für euch aus? 

Christine Steger: Es braucht eine andere, flexiblere Form der Lohnarbeit. Besonders Personen mit Behinderungen benötigen flexible Arbeits­plätze. 

Patrick Berger: Eine inklusive Bildung von klein auf ermöglicht einen inklusiven Arbeits­markt. Wie Christine sagt, braucht es Arbeits­plätze, die auf unsere Bedürfnisse eingerichtet sind. Und: Jede Firma, die divers aufgestellt ist, profitiert. 



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Cover Ratgeber Gleichgestellt © AK Wien

Ratgeber

Gleichgestellt.

Ein Ratgeber zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen -

hier kostenlos zum Download.

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