Ella Stadlmair, Krankenschwester © Markus Zahradnik
Pflege

Hotspot Gesundheitsberufe

Die Arbeits­bedin­gun­gen im Gesund­heits­bereich sind belas­tend, der Ar­beits­kräfte­bedarf steigt. Mehr Aus­bil­dungs­plätze an­zu­bie­ten, reicht allein nicht aus, um die Situa­tion zu ent­schär­fen. Spür­bare Ver­bes­serun­gen sind er­for­der­lich.

Martina Fassler
25.08.2023
in diesem Artikel

    Kein Arzt, keine Ärztin verbringt so viel Zeit bei den Patient:innen wie wir“, sagt Ella Stadlmair. Sie hat ihr FH-Studium Gesund­heits- und Kranken­pflege vor zwei Jahren abge­schlossen und arbeitet in der Zentralen Not­aufnahme der Klinik Floridsdorf. „Dabei zu sein, wenn Leben gerettet ist, das ist unbe­schreiblich“, erzählt die junge Wienerin. Sie berichtet aber auch von den belas­tenden Arbeits­bedingungen. Sie führen dazu, dass viele Beschäf­tigte auf Teilzeit reduzieren – sofern sie der Branche nicht gar den Rücken kehren. 


    Zumindest 76.000 Arbeitskräfte in den Pflege­berufen braucht Österreich bis 2030 zusätzlich, um eine Versorgung auf gegen­wärtigem Niveau sicher­zustellen. Das ergibt eine Studie der Gesund­heit Österreich GmbH. Mehr Arbeits­kräfte ausbilden lautet daher ein wichtiger Ansatz. Der Wiener Gesundheits­verbund (WIGEV) hat in Kooperation mit der Fach­hoch­schule Campus Wien die Aus­bildungs­plätze verdoppelt. Gesund­heits­stadtrat Hacker erklärte kürzlich, er rechne damit, dass diese Maß­nahme ab 2025 in den Spitälern spürbar sein werde. 



     

    Infografik: Das sagen die Beschäftigten in den Gesundheitsberufen © AKtuell. Quelle: Misscare-Austria Studie
    © AKtuell. Quelle: Misscare-Austria Studie
    Sarah Kroboth, Referentin für Alle in  Ausbildung in der Hauptgruppe II der Gewerkschaft younion © Markus Zahradnik
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    „Es braucht für alle eine die Existenz sichernde Entschädigung.“ Sarah Kroboth, Referentin für Alle in Ausbildung in der Hauptgruppe II der Gewerkschaft younion
    Gerald Mjka, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft vida © Markus Zahradnik
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    „Derzeit hat es keine Folgen für den Arbeitgeber, wenn nicht genug Personal da ist. Man lässt die Beschäftigten mit der Situation allein.“ Gerald Mjka, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft vida

    Ausbildungsprämie: Leben mit 600 Euro

    „Ja“ zu mehr Aus­bildungs­plätzen sagen auch die Gewerk­schaften. Doch das allein reicht nicht. Sarah Kroboth ist Referentin für Alle in Ausbildung in der Hauptgruppe II der Gewerkschaft younion, die die Beschäftigten im WIGEV vertritt. Sie sieht Ver­besserungs­bedarf bei der Aus­bildungs­prämie, die nur 600 Euro monatlich beträgt: „Damit können viele nicht einmal die Miete bezahlen.“ Quer­einsteiger:innen, die zuvor erwerbs­tätig waren, bekommen während der Aus­bildung rund 1.400 Euro. Auch damit kommt man angesichts der Teuerung schwer über die Runden. „Es braucht für alle eine die Existenz sichernde Ent­schä­digung“, verlangt Kroboth.


    Gesundheitsberufe: Zeit als knappstes Gut  

    „Wenn mehr Auszu­bildende da sind, kann man nicht bei den Praxis­an­lei­ter:in­nen in den Spitälern mit gleich­bleibendem Zeit- und Personal­aufwand kal­ku­lie­ren. Das verstärkt den Stress“, zeigt Edgar Martin, Vor­sitzender der Haupt­gruppe II in der Gewerk­schaft younion, eine weitere Lücke auf. Schließlich seien die Arbeits­bedingungen der wichtigste Faktor – auch um die vor­handenen Mit­arbeiter:innen zu halten. Beschäf­tigte aus anderen Ländern anzu­werben sei ein Versuch der Arbeit­geber, die Not­situation zu lindern. Eine weitere Maß­nahme, die der WIGEV ergriffen hat, ist die Ein­führung einer Ein­springer-Prämie für Pflege­personen, die bereit sind, in definierten Hotspot-Bereichen Zusatz­dienste zu leisten. Das sei sinnvoller, als kurz­fristig Beschäftigte aus einer Ab­teilung in eine andere abzuziehen. „Das, was viele motiviert, in die Arbeit zu gehen, ist der Zusammen­halt im Team. Gibt es den nicht, steigen noch mehr aus“, so Martin.


    Pflege­paket ausweiten

    Apropos Zusammen­halt: Mit dem „Pflege­paket“ führte die Regierung vergangenes Jahr einen Pflege­bonus und eine Entlastungs­woche für alle ab 43 ein. Doch nicht alle profi­tieren davon, was für Unmut sorgt. Hebammen, OP-Assistent:innen, die Mitarbeiter:innen in den Medizi­nischen, Thera­peu­tischen und Diagnos­tischen Gesund­heits­berufen und viele andere schauen durch die Finger. „Alle sind von der Über­lastung betroffen. Allen Beschäf­tigten sollten diese Maß­nahmen zugute­kommen“, verlangt Martin. 


    „Wir haben schon vor der Corona-Pandemie gewarnt, dass wir chronisch unter­besetzt sind“, erinnert Gerald Mjka, stell­vertretender Vor­sitzender der Gewerk­schaft vida. „Die Verant­wortlichen haben das weg­gewischt. Heute zeigen sie sich von der Misere überrascht.“ Mjka, der auch Betriebs­rats­vorsitzender im Kranken­haus Göttlicher Heiland ist, verlangt einen gesetzlich vorgege­benen bundes­weiten Schlüssel, der den Personal­bedarf verbindlich vorgibt und Sanktionen bei Nicht­einhaltung vorsieht. „Derzeit hat es keine Folgen für den Arbeit­geber, wenn nicht genug Personal da ist. Man lässt die Beschäftigten mit der Situation allein“, kritisiert er. 


    Info

    Tipp Symbolbild © AK Wien

    AK Info: Zukunfts­beruf Sanitäter:in

    Hier findest du ein Plädoyer für eine Aus­bildungs­reform zum Download.

    Ella Stadlmair, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin © Markus Zahradnik
    © Markus Zahradnik
    „Vollzeit in der Pflege, das ist Hardcore“, Ella Stadlmair, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin
    Edgar Martin, Vorsitzender der Hauptgruppe II in der younion © Markus Zahradnik
    © Markus Zahradnik
    „Alle im Gesundheits- und Sozialbereich sollten den ,Pflegebonus‘ und die Entlastungswoche bekommen.“ Edgar Martin, Vorsitzender der Hauptgruppe II in der younion
    Sylvia Gassner, Vorsitzende des vida-Fachbereichs Soziale Dienste © privat
    © privat
    „Die Sanis verdienen denselben Schutz wie die Beschäftigten der Feuerwehr.“ Sylvia Gassner, Vorsitzende des vida-Fachbereichs Soziale Dienste

    Belastung reduzieren 

    Was tun in dieser schwierigen Situation? „Die Belastungen verringern“, sagt Gerald Mjka. Er tritt für eine generelle Arbeits­zeit­verkürzung bei vollem Lohn­ausgleich ein. Edgar Martin nennt einen Schritt, der für die Mit­arbeiter:innen im WIGEV die Arbeits­zeit verringern würde: Feiertage sollten künftig die Soll­arbeits­zeit reduzieren. Dadurch würden die Beschäftigten rund zehn freie Tage im Jahr gewinnen. „Vollzeit in der Pflege, das ist Hardcore“, bestätigt Ella Stadlmair. 


    Verbesserungen sind unum­gänglich. Und sie kosten Geld. Derzeit wird in den Finanz­aus­gleichs­verhandlungen darum gerungen, wieviel Geld den Ländern und Gemeinden ab 2024 für die Bereiche Gesundheit und Pflege zur Verfügung steht. „Es wird nicht aus­reichen, nur bestehende Maß­nahmen aus dem Pflege­paket weiter zu finanzieren“, sagt Martin. Mjka legt nach: „Wir messen die Ergebnisse daran, ob sie spürbare Ver­besserungen für die Beschäf­tigten und die Patient:innen bringen.“ 


    Wenn die Rettung SOS funkt  

    Im Gesund­heits­system gibt es noch viele weitere „Baustellen“. Kürzlich haben die Rettungs- und Notfall­sanitäter:innen auf ihre prekäre Lage aufmerksam gemacht. Der Grund: Die Ein­sätze sind stark an­gestiegen, insbesondere in der Nacht, die Belastungen werden laufend mehr. „Wenn die Feuerwehr ausrückt, sind wir mit vor Ort“, sagt Sylvia Gassner, Vorsitzende des Fachbereichs Soziale Dienste in der Gewerkschaft vida und Betriebs­rats­vorsitzende beim Roten Kreuz Graz Stadt. 


    Während die Beschäftigten der Feuerwehren unter das Nacht­schwer­arbeits­gesetz fallen und damit früher in Pension gehen können, gilt das für die haupt­beruflichen „Sanis“ nicht. Sie gelten als Hilfs­arbeiter:innen, haben keinen Berufs­schutz, keinerlei Aufstiegs­perspektive. Ihre Forderungen: Eine bessere Ausbildung, die die Durch­lässigkeit zu anderen Gesund­heits­berufen sichert, die Aufnahme ins Gesund­heits­berufe­register und vor allem in das Nacht­schwer­arbeits­gesetz


    Ob die Politik die Forderungen aufgreift, ist offen. Mit einer Bürger­initiative, die bislang von mehr als 5.000 Menschen unter­zeichnet wurde, haben Gassner und ihre Mitstreiter:innen aber zumindest das Parlament dazu gebracht, sich mit ihren Anliegen zu befassen.


    WEbtipp

    Tipp Symbolbild © AK Wien

    Bürgerinitiative

    Jetzt unterzeichnen:

    Die Bürger­initiative der Initiative „Zukunft Rettungs­dienst“ zur Aufnahme der Rettungs-­ und Not­fall­sani­täter:in­nen in das Nacht­schwer­arbeits­gesetz wird derzeit im Parla­ment behandelt. Parallel dazu kann man die Bürger­initiative weiter­hin hier unter­zeichnen.

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