Martina Pölz, ehemalige Leiner-Betriebsräting © Markus Zahradnik


Weitblick

Insolvenz: Aus und vorbei

Trauer, Wut und Enttäuschung: Betriebsrätin Martina Pölz erzählt vom emotionalen Ende des Möbel­urgesteins Kika/Leiner – und worauf es in der Kommunikation mit den Beschäftigten in einem Insolvenz­verfahren ankommt.

Delna Antia-Tatić
10.04.2025

Damit hatte sie in ihrem Leben nicht mehr gerechnet. Dass sie noch einmal ein Dienst­zeugnis brauchen würde, mit 58 Jahren. Eigentlich wollte Martina Pölz dort in Pension gehen, wo sie 40 Jahre lang arbeitete: am Empfang der Kika/Leiner-Geschäfts­stelle in St. Pölten. Dort, wo sie täglich jeden begrüßte und jede persönliche Geschichte kannte. Wo sie 25 Jahre als Betriebsrätin im Einsatz war. Doch es kam anders.

Der einstige Marktführer im Möbel­handel meldete im November 2024 Insolvenz an, drei Monate später schloss die Möbelkette ihre letzten Pforten. Endgültig. Betroffen: 1.300 Arbeitnehmer:innen. Der Schock darüber sitzt tief. „Bis zum Ende hat keiner von uns glauben können, dass Schluss ist. Wahrscheinlich heute noch nicht.“ Pölz schluckt. Mit dem Ende des österreichischen Traditions­unternehmens scheint für sie nicht nur ein Job verloren gegangen zu sein. Wer ihr zuhört, erfährt von einem Arbeits­umfeld in familiärer Stimmung, von Zusammen­halt unter Kolleg:innen und von viel Trauer, Wut und Enttäuschung zuletzt.


Emotionale Verbundenheit

Auch am Rathaus­platz in St. Pölten wird diese emotionale Verbunden­heit sichtbar. Vor 115 Jahren hatte der „Leiner-Moment“ hier seinen Ursprung und drei weiße Gänse wurden zum Markensymbol einer österreichischen Erfolgs­geschichte. Ein Abschiedsbrief klebt an den Schaufenstern des einstigen Bettwaren­geschäfts und rührt die Stadt: „Wir suchten damals einen Job und fanden eine große Familie und Freunde! Vielen Dank und Auf Wiedersehen! Ihre ehemalige Belegschaft von Kika und Leiner.“ 

Martina Plöz, ehemalige Leiner-Betriebsrätin © Markus Zahradnik
Martina Pölz, ehemalige Kika/Leiner-Betriebsrätin © Markus Zahradnik

Bis zum Ende hat keiner von uns glauben können, dass Schluss ist.


Martina Pölz, AK NÖ, war Betriebsrätin bei Kika/Leiner


Die Kika/Leiner-Insolvenz ist eine von 7.085 Insolvenzen im letzten Jahr in Österreich. In über 3.000 Fällen waren davon auch Arbeit­nehmer:innen betroffen. „Wir erleben aktuell eine regelrechte Insolvenzwelle“, erklärt Daniel Holzer, Jurist in der Abteilung Insolvenzschutz der AK Wien. „Viele traditionelle, aber auch neue Betriebe haben Schwierigkeiten, zahlungsfähig zu bleiben.“ Ist die Liquidität eines Unternehmens nicht mehr gegeben, kommt es in Folge meist zu einer Insolvenz. Das bedeutet, dass vom Gericht ein:e Insolvenz­verwalter:in bestellt wird, um etwa zu eruieren: Wie viel Geld ist vorhanden, wie viele Schulden bestehen und ist eine Sanierung möglich – oder wird das Unter­nehmen geschlossen und vorhandenes Vermögen auf die Gläubiger:innen aufgeteilt.


Warnzeichen für eine drohende Insolvenz waren da

Martina Pölz kannte das Prozedere schon. Immerhin war Kika/Leiner schon einmal insolvent, damals, im Jahr 2023, wurden 23 Filialen geschlossen. Die gesamte Unternehmens­historie liest sich turbulent – vor allem seit der Signa-Übernahme durch René Benko. „Wir haben ja mehrere Betrieb­übergaben überstanden, also dachten wir: Auch das überleben wir.“ Der Schock über das endgültige Aus sei dann „einfach hardcore“ gewesen. „Wir haben alles gegeben, viele sind sogar mit ihren Stunden runtergegangen.“ Doch die Warnzeichen waren da – Pölz hat sie hautnah mitbekommen. „Wir mussten zum Schluss Bestellungen wie neue Drucker­toner oder Briefkuverts freigeben, andere Dinge wurden total gesperrt. In der Post­abteilung habe ich selbst die offenen Rechnungen, Mahnungen und Inkassoschreiben gesehen.“


Jacqueline Mayerhofer, Referentin in der  Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien © Lisi Specht
Jacqueline Mayerhofer, Referentin in der Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien © Lisi Specht

Im Handel zählen wachsende Lagerstände oder wenig Verkauf zu den Warnzeichen einer Insolvenz.


Jacqueline Mayerhofer, Referentin in der Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien



Für AK Referentin Jacqueline Mayerhofer sind das typische Frühwarn­zeichen einer drohenden Insolvenz. Die Wirtschafts­pädagogin arbeitet in der Abteilung Betriebs­wirtschaft der AK Wien und bietet Betriebsrät:innen eine kostenlose Analyse des Jahresabschlusses ihres Unternehmens. „Bei diesem ,Gesundheitscheck‘ können Umsatz­einbrüche oder schrumpfende Gewinne bereits auf eine wirtschaftliche Verschlechterung hinweisen.“ Eine Insolvenz kommt selten aus dem Nichts. „Gerade im Handel zählen wachsende Lagerstände oder wenig Verkauf zu den Warn­zeichen.“ Spätestens, wenn Gehälter nicht mehr pünktlich ausbezahlt werden, sollte man alarmiert sein.


Erfolgsmodell ISA

Doch was passiert mit dem Geld der Arbeit­nehmer:innen im Insolvenzfall? „Sobald es dazu kommt, treten wir als Arbeiterkammer proaktiv mit den Arbeit­nehmer:innen in Kontakt, beraten sie und machen Ansprüche geltend“, erklärt AK Insolvenzschutz-Experte Holzer. Arbeitnehmer:innen sind in Österreich weitgehend abgesichert. Sie können ihr Geld bei der IEF-Service GmbH fordern. 

Der Insolvenz-Entgelt-Fonds wird überwiegend durch Beiträge der Arbeitgeber finanziert. Doch so einfach kommt es nicht zur Auszahlung durch die Behörde, weiß der Experte. Der Insolvenzschutz der AK springt hier helfend ein und übernimmt die kostenlose Vertretung. Das passiert im Rahmen des Insolvenzschutzverbands (ISA), einem gemeinsamen Verein der Arbeiterkammern und des ÖGB, der 1997 extra dafür gegründet wurde. 


2024 hat der ISA österreich­weit 32.492 Arbeit­nehmer:innen vertreten und die Auszahlung von rund 267 Millionen Euro erwirkt. Das bedeutet auch für Gerichte und die IEF-Service GmbH eine enorme Erleichterung. „Ein österreichisches Erfolgs­modell! Bei Vorträgen werden deutsche Verwalter:innen immer ganz neidisch“, weiß das Team der Insolvenz­schutzabteilung der AK Wien. Der ISA vertritt etwa 96 Prozent der betroffenen Beschäftigten.


INFO

Tipp Symbolbild © AK Wien

Hilfe bei der Insolvenz des Unter­nehmens

Du erreichst das ISA-Büro der AK Wien per E-Mail unter: isa@akwien.at

Beschleunigungsfaktor Betriebsrat in der Insolvenzphase

Im Fall von Kika/Leiner wurde sogar ein eigenes ISA-Büro am Standort in St. Pölten zur Verfügung gestellt. Dadurch war die Arbeit­nehmer:innenvertretung vor Ort greifbar. „Gerade die Zusammen­arbeit zwischen der AK Niederösterreich und dem Betriebsrat verlief hier außer­ordentlich gut“, lobt Holzer und erklärt: „In der Praxis macht ein eingerichteter Betriebsrat einen enormen Unterschied. Weil er für Orientierung im Ausnahme­zustand sorgt.

Gerade am Anfang kann der Betriebsrat die die drängendsten Fragen und Sorgen aus der Belegschaft für die Expert:innen der AK sammeln und als Sprachrohr rasche Aufklärung bewirken: Was bedeutet die Insolvenz? Muss ich noch zur Arbeit kommen? Was passiert mit meinem Geld? Immerhin hat eine Insolvenz­eröffnung keinerlei Auswirkung auf den Bestand des Arbeits­verhältnisses. Im Gegenteil: Wer nicht mehr zur Arbeit kommt, könnte entlassen werden.


Daniel Holzer, Jurist in der Abteilung Insolvenzschutz  der AK Wien © Markus Zahradnik
Daniel Holzer, Jurist in der Abteilung Insolvenzschutz der AK Wien © Markus Zahradnik

In der Praxis macht ein einge­richteter Betriebsrat einen enormen Unter­schied. Weil er für Orientierung im Ausnahme­zustand sorgt.


Daniel Holzer, Jurist in der Abteilung Insolvenzschutz der AK Wien



Zusätzlich hat der Betriebsrat als Kontrollorgan die rechtlichen Möglich­keiten, wichtige Informationen zu beschaffen. „Je besser Daten zugänglich und vorbereitet sind, je besser eine Lohn­verrechnung geführt und laufende Aufzeichnungen gemacht werden, umso besser können wir unsere Arbeit machen“, erklärt Holzer. Das heißt, umso schneller kann es zu Auszahlungen kommen. Der Betriebsrat wird hier zum Beschleunigungsfaktor. Gerade im Handel, wo viele alleinerziehende Frauen in Teilzeit­beschäftigung arbeiten, kann ein Gehaltsausfall durch einen insolventen Arbeitgeber existenzbedrohend sein. Bei Kika/Leiner lag der Frauenanteil bei 55 Prozent.

Martina Pölz war während der Insolvenz­phase rund um die Uhr im Einsatz. Sie kümmerte sich als Informations­quelle, als Kontakt­vermittlerin und natürlich als Trostspenderin. Denn eine Insolvenz löst bei den Betroffenen vor allem eines aus: Angst um die Zukunft. „Schlimm war es, wenn langjährige Kolleg:innen mich fragten: Martina, wer wird mich noch brauchen?“ Für die eigenen Existenz­ängste blieb da keine Zeit.

Doch sie hatte Glück. Seit Anfang März geht es für Martina Pölz in der AK Niederösterreich weiter – dafür ist sie dankbar. „Ich hätte für meinen alten Job alles getan“, erklärt sie. „Ohne diese neue Chance wäre ich in ein Loch gefallen.“

gut zu wissen

Insolvenz:
Auf den Betriebsrat kommt es an!

  • Frühwarnsignale erkennen: Rechnungen werden nicht bezahlt, Lagerstände steigen, solche Warnzeichen ernst nehmen. Grund­sätzlich hat der Betriebsrat Anspruch auf Wirtschafts­gespräche mit der Geschäfts­führung, um Fragen zu stellen: vier Mal jährlich, auf Verlangen monatlich. 

  • „Gesundheitscheck“ machen: Die AK bietet Betriebsrät:innen an, den Jahres­abschluss zu analysieren und gemeinsam Fragen zu entwickeln, falls Zahlen in den vorgelegten Unterlagen bzw. Berichte kritisch erscheinen. 

  • Vorbereitung ist alles: Deutet sich eine Insolvenz an oder wird das Insolvenzverfahren eröffnet, kommt es auf Zeit und Daten an: Wie schnell können Informationen zugänglich gemacht werden und wie gut sind diese aufbereitet? Dazu zählen insbesondere Daten aus der Buchhaltung, der Lohn­verrechnung, Dienstzettel, Arbeits­aufzeichnungen.

  • Transparent und präsent: In Kooperation mit AK und Gewerk­schaft geht es im Fall des Falles darum, auch die Beschäftigten schnell zu informieren, ihre Anliegen verantwortungs­voll zu vertreten und bei Sorgen und Ängsten da zu sein.


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