Imagebild Politische Mitbestimmung: Motoren der Demokratie © AJay – stock.adobe.com


Interview

Po­li­ti­sche Mit­bestim­mung: Mo­toren der Demo­kratie

Ilkim Erdost, Leiterin des Be­reichs Bil­dung in der AK Wien, weiß, wie man die Be­geiste­rung für Mit­bestim­mung verbes­sern kann.

Theresa Goisauf
20.06.2024
Infografik Einschätzung politische Wirksamkeit © AKtuell
© AKtuell

AKtuell: Unsere Stadt bewegt sich in Rich­tung einer „Zwei­drittel-Demo­kratie“, so die neue Studie des Instituts Fore­sight, „Mehr zusam­men­bringen“. Was bedeutet das? 

IIkim Erdost: Je geringer Einkom­men, Bildung und sozialer Status, desto eher wenden sich Menschen von demo­kratischen Prozessen ab. Oder waren nie Teil davon. Das betrifft – nicht nur in Wien – das untere Einkom­mens­drittel, das sich zunehmend nicht an Wahlen beteiligt und sich von Politik immer häufiger nicht vertreten fühlt. Umgekehrt sind es vor allem sozial Besser­gestellte, die merken: Ich kann mitbe­stimmen. Die Politik hört auf mich. 

AKtuell: Jede:r zweite Wiener:in denkt, dass er:sie mit poli­tischer Be­teili­gung nichts bewirken kann … 

IIkim Erdost: Die wachsende soziale Un­gleichheit ist wesentliche Ursache für den Trend zur „Zwei­drittel-Demokratie“. In Österreich kommt das restriktive Staats­bürgerschafts­gesetz hinzu, das Menschen Steine in den Weg legt, ihre demo­kratischen Rechte in Anspruch zu nehmen. Immer mehr Kinder und Jugendliche, die hier aufwachsen, besitzen keine öster­reichische Staats­bürgerschaft. Wenn man von klein an nicht lernt, über Politik zu sprechen, seine:ihre Eltern nie zu Wahlen begleitet bzw. nie mit­bekommt, dass sie wählen gehen, muss man sich den Zugang selbst erarbeiten. Umso wichtiger ist es, dass alle im Betrieb und bei der Arbeiter­kammer mitwählen können.


 

Ilkim Erdost, AK Wien © Lisi Specht
© Lisi Specht
Ilkim Erdost, Bereichsleiterin Bildung, Kommunalpolitik, Konsument:innen, AK Wien
„So­ziale Gleich­heit ist die bes­te Si­che­rung von de­mo­kra­tischer Gleich­heit.“  

Ilkim Erd­ost, AK Wien

AKtuell: Was hindert so viele Menschen daran, sich poli­tisch zu be­teiligen?

IIkim Erdost: Soziale Hürden und politische Ent­täuschungen, besonders bei jenen, die um ihre Jobs fürchten, die sich teure Nach­hilfe für ihre Kinder nicht leisten können und merken, dass der Druck überall steigt, nur nicht bei Ver­mögenden. Je stärker die soziale Un­gleichheit zunimmt, desto mehr nimmt auch die demo­kratische Un­gleichheit zu. Wir haben in den letzten Jahren den Trend gemerkt, dass sich Macht, Geld und Vermögen in den Händen von wenigen anhäufen. Hingegen bekom­men die Vielen, die Be­schäftigten, weniger vom Kuchen.

AKtuell: Welchen Beitrag leistet der Betrieb­srat?

IIkim Erdost: Um die politisch wirksame Be­teili­gung zu erhöhen, muss eine Sprache gesprochen werden, die alle verstehen. Der Betrieb­srat nimmt eine Schlüssel­rolle ein, denn er spricht die Sprache der Beschäftigten. Täglich übersetzen Betriebs­rats­mitglieder politische Vorgänge, komplexe Aushandlungen und halten die Be­schäftigten informiert. Allein diese Brücken­funktion schafft für viele Berührungs­punkte, die andern­falls fehlen.

AKtuell: Was muss in den Betrieben pas­sieren, damit wieder mehr Men­schen mit­sprechen?

IIkim Erdost: Es braucht eine positive Kultur im Betrieb, dass gerade Betriebs­wahl­körper­schaften nicht als Störung wahr­genommen werden, sondern als integrierter Bestand­teil des Betriebs­alltags. Das muss vom Arbeit­geber entsprechend ermöglicht werden. Leider ist das nicht immer der Fall. Außerdem sollte der Betriebs­rat möglichst divers sein, indem etwa auch Frauen vertreten sind, die selbst mehr­sprachig sind.

AKtuell: Wie kann der Betriebs­rat für Mit­bestim­mung begeistern?

IIkim Erdost: Beteili­gung muss dort möglich sein, wo sich die Menschen bewegen: Neben der unmittelbaren Wohn­umgebung ist der Arbeits­platz Dreh- und Angel­punkt. Wenn Be­schäftigte im Betrieb mitbestimmen können, finden sie am demo­kratischen Geschehen besser Anschluss. Betriebs­rats­mitglieder können das Vertrauen, das ihnen die Kol­leg:innen ent­gegen­bringen, dafür nutzen, sie für Politik zu begeistern. Wenn es gelingt, das Vertrauen hoch­zuhalten, gewinnt die Demo­kratie insgesamt. Dort, wo es aktive Betriebs­rätinnen und Betriebs­räte gibt, gehen die Kolleg:innen verstärkt zu anderen Wahlen. Betriebs­rats­mitglieder sind daher absolute Motoren der Demokratie.

AKtuell: Auch die Arbeiter­kammer leistet einen wich­tigen Beitrag …

IIkim Erdost: Die Arbeiter­kammer hilft allen Mit­gliedern, unab­hängig von ihrer sozialen Stel­lung und ihrem Reisepass, zu ihren Rechten zu kommen. Wir setzen uns für soziale Gleich­stellung ein, denn soziale Gleichheit ist die beste Sicherung von demo­kratischer Gleichheit.


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