Wenn Monika Keltanoski über ihre Arbeit erzählt, leuchten ihre Augen. „Ich gehe gern ins Werk“, sagt sie. Die Endvierzigerin kam als Jugendliche mit ihrem Vater aus Serbien nach Wien. Nach dem „Poly“, dem neunten Schuljahr, begann sie bald in einem Industriebetrieb als Hilfsarbeiterin. 1995 folgte der Wechsel zur Siemens AG, der sie bis heute die Treue hält. „Ich arbeite im Schichtbetrieb in der Produktion von Netzgeräten für die Elektroindustrie. Bestücken, löten, visuelle Kontrolle, Montage, Verpackung, das sind meine Aufgaben“, sprudelt es aus ihr heraus. Umtriebig ist sie auch, wenn es um die Vertretung ihrer Kolleg:innen geht.
Seit 2018 ist Monika Keltanoski Mitglied im Arbeiter:innen-Betriebsrat. Es sind sehr unterschiedliche Fragen, mit denen sich die Beschäftigten in der Werkshalle an sie wenden. Gut vernetzt und mit Wissen ausgestattet, weiß die Betriebsrätin meist Rat. Ihr Know-how hat sie sich in Kursen der Gewerkschaft PRO-GE und in der Sozialakademie von AK und VÖGB erarbeitet. Was sie zur Betriebsratsarbeit führte? „Mir hat imponiert, wie mir eine Betriebsrätin geholfen hat, als ich nach der Geburt meiner Tochter Elternteilzeit beantragen wollte.“ Der Antrieb seither: „Ich will auch anderen, die sich nicht so gut auskennen und nicht so gut Deutsch sprechen, helfen.“
Betriebsrät:innen mit Migrationshintergrund agieren oft als Brückenbauer:innen für eine Belegschaft, die selbst immer diverser zusammengesetzt ist. Doch viele Betriebsratsteams bilden die Diversität in ihrem Gremium noch nicht ausreichend ab. Gerade 14 Prozent der Betriebsrät:innen haben Migrationshintergrund, zeigt die Mitbestimmungsstudie von IFES im Auftrag von AK und ÖGB. Seit 2006 dürfen Arbeitnehmer:innen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft für den Betriebsrat kandidieren.
Doch Beschäftigte mit Migrationshintergrund haben es meist schwerer, ihren Job mit einem Engagement im Betriebsrat und dem Privatleben zu vereinbaren. Sie verfügen im Schnitt über ein geringeres Haushaltseinkommen, arbeiten häufiger auf unteren Hierarchieebenen und in instabilen Arbeitsverhältnissen. Die schlechtere Positionierung lässt sich nur teilweise auf unterschiedliche Bildungsabschlüsse zurückführen. Auch die Diskriminierung auf verschiedenen Ebenen des Arbeitsmarktes ist – trotz gesetzlichen Verbots – Realität.
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Franjo Markovic, AK Wien
Das österreichische Gleichbehandlungsgesetz verbietet jede Form der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung im Arbeitsleben. Bei Verletzung steht den Arbeitnehmer:innen unter anderem Schadenersatz zu. „Die Verantwortung dafür, dass keine Diskriminierung stattfindet, trägt der Arbeitgeber. Er sollte präventiv Strukturen und Instrumente erarbeiten“, erklärt Franjo Marković, Jurist in der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der AK Wien.
Manche Unternehmen haben dafür eine:n Beauftragte:n für Gleichstellung, an den/die sich Betroffene vertraulich wenden können. Sinnvoll seien zudem Antirassismus-Schulungen, gerade auch auf Führungsebene. Als Betriebsrat aktiv die Gleichstellung zum Thema machen kann man zum Beispiel durch den Abschluss einer Antidiskriminierungs-Betriebsvereinbarung mit dem Arbeitgeber. Darin lässt sich ein innerbetriebliches Verfahren bei Verstößen festlegen – samt Sanktionen; ebenso Präventionsmaßnahmen, Ziele und konkrete Aktivitäten zum Vorantreiben der Gleichstellung im Betrieb.
Wie aber gelingt es, Beschäftigte, die noch nicht so lange in Österreich leben oder auf den unteren Hierarchieebenen arbeiten, zu ermutigen, Missstände aufzuzeigen und sich dem Betriebsrat anzuvertrauen? „Indem man sich für sie Zeit nimmt“, sagt Franjo Marković. Über interkulturelle Kompetenz zu verfügen, ist für diese Aufgabe genauso wichtig wie sich rechtlich fit zu halten. „Asylberechtigte etwa haben ein unbefristetes Aufenthaltsrecht und unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Doch einige Arbeitgeber wissen das nicht und werfen die Beschäftigten raus, sobald ihre blaue Aufenthaltsberechtigungskarte abläuft. Das ist in etwa so, wie wenn der Chef einen Österreicher rauswirft, weil der Reisepass abgelaufen ist“, erinnert sich Marković an Fälle aus der AK Beratung. Betriebsrät:innen, die über die Rechtslage Bescheid wissen, können dazu beitragen, derartige Kündigungen zu verhindern.
„Die Beschäftigten haben manchmal übergroßen Respekt vor der Geschäftsführung und denken, es lässt sich nichts ändern. „Ich erkläre ihnen, dass wir gemeinsam vieles mitgestalten können“, erzählt Omid Hosseiny, der als Jugendlicher mit seinem Bruder wegen politischer Verfolgung aus dem Iran flüchten musste. Er ist Facharzt für Neurologie im Krankenhaus Göttlicher Heiland und Mitglied im Betriebsrat. Als Arzt steht Omid Hosseiny weit oben in der Hierarchie – und nutzt dies, um den Zusammenhalt zu festigen. Die Beschäftigten im Göttlichen Heiland kommen aus vielen verschiedenen Nationen und Berufsgruppen – das spiegelt sich auch im Betriebsratsteam wider. „Als mich unser Betriebsratsvorsitzender gefragt hat, ob ich für den Betriebsrat kandidieren will, war für mich klar, ich bin dabei. Ich schätze die Mitgestaltungsmöglichkeiten, die es hier gibt“, sagt Omid Hosseiny.
Monika Keltanoski, Omid Hosseiny und viele andere Betriebsrät:innen machen Demokratie erlebbar. Durch ihren Einsatz wird den Arbeitnehmer:innen bewusst, dass ihre Stimme zählt. „Betriebliche Mitbestimmung stärkt die Demokratie, weil sie gerade jenen wirksame Beteiligung ermöglicht, die sonst oft nicht gehört werden“, schreibt Demokratieforscherin Martina Zandonella von SORA dazu in einem Beitrag am A&W-Blog. Bei Wahlen im Betrieb geben viele Kolleg:innen mit ausländischem Pass zum ersten Mal ihre Stimme ab.
Auch Lehrlinge und österreichische Staatsbürger:innen im unteren Einkommensdrittel wählen hier oft zum ersten Mal, so Zandonella weiter. Monika Keltanoski stimmt dieser Aussage zu: „Bei uns ist allen klar, wie wichtig ein Betriebsrat ist. Wir haben auch bei der letzten Betriebsratswahl eine hohe Wahlbeteiligung erzielt.“ Auch bei der AK Wahl können alle Arbeitnehmer:innen unabhängig vom Pass ihr Stimmrecht nutzen. Bei Siemens werden Monika und das gesamte Betriebsratsteam dafür sorgen, dass alle die Möglichkeit haben, ihre Stimme abzugeben. Keltanoski dazu: „Wir richten im Betrieb ein Wahllokal ein. Das ist fix.“