Diversität © Markus Zahradnik
Diversität

Diversität: Wie die Demokratie auflebt

Betriebs­rät:in­nen mit Migra­tions­hinter­grund sind in den Gre­mien stark unter­repräsen­tiert. Wie lässt sich ihr Anteil, und damit Diver­sität, im Betriebs­rat er­höhen?

Martina Fassler
17.11.2023

 

Infografik Diversitaet im BR © AKtuell, Quelle: IFES
© AKtuell, Quelle: IFES

Wenn Monika Keltanoski über ihre Arbeit erzählt, leuchten ihre Augen. „Ich gehe gern ins Werk“, sagt sie. Die End­vierzigerin kam als Jugendliche mit ihrem Vater aus Serbien nach Wien. Nach dem „Poly“, dem neunten Schuljahr, begann sie bald in einem Industrie­betrieb als Hilfs­arbeiterin. 1995 folgte der Wechsel zur Siemens AG, der sie bis heute die Treue hält. „Ich arbeite im Schich­tbetrieb in der Produktion von Netz­geräten für die Elektro­industrie. Bestücken, löten, visuelle Kontrolle, Montage, Verpackung, das sind meine Aufgaben“, sprudelt es aus ihr heraus. Umtriebig ist sie auch, wenn es um die Vertretung ihrer Kolleg:innen geht.

Seit 2018 ist Monika Keltanoski Mitglied im Arbeiter:innen-Betriebsrat. Es sind sehr unter­schiedliche Fragen, mit denen sich die Beschäftigten in der Werkshalle an sie wenden. Gut vernetzt und mit Wissen aus­gestattet, weiß die Betriebs­rätin meist Rat. Ihr Know-how hat sie sich in Kursen der Gewerk­schaft PRO-GE und in der Sozial­akademie von AK und VÖGB erarbeitet. Was sie zur Betriebs­rats­arbeit führte? „Mir hat imponiert, wie mir eine Betriebsrätin geholfen hat, als ich nach der Geburt meiner Tochter Eltern­teil­zeit beantragen wollte.“ Der Antrieb seither: „Ich will auch anderen, die sich nicht so gut auskennen und nicht so gut Deutsch sprechen, helfen.“

Hürden im Alltag

Betriebs­rät:innen mit Migrations­hinter­grund agieren oft als Brücken­bauer:innen für eine Belegschaft, die selbst immer diverser zusammen­gesetzt ist. Doch viele Betriebs­rats­teams bilden die Diversität in ihrem Gremium noch nicht ausreichend ab. Gerade 14 Prozent der Betriebs­rät:innen haben Migrations­hinter­grund, zeigt die Mit­bestimmungs­studie von IFES im Auftrag von AK und ÖGB. Seit 2006 dürfen Arbeit­nehmer:innen mit nicht-österreichischer Staats­bürgerschaft für den Betriebsrat kandidieren. 


Doch Beschäftigte mit Migrations­hintergrund haben es meist schwerer, ihren Job mit einem Engagement im Betriebs­rat und dem Privat­leben zu vereinbaren. Sie verfügen im Schnitt über ein geringeres Haushalts­ein­kommen, arbeiten häufiger auf unteren Hierarchie­ebenen und in instabilen Arbeits­ver­hältnissen. Die schlechtere Positionierung lässt sich nur teilweise auf unter­schiedliche Bildungs­abschlüsse zurückführen. Auch die Diskrimi­nierung auf ver­schiedenen Ebenen des Arbeits­marktes ist – trotz gesetzlichen Verbots – Realität.

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Cover Ratgeber Umgang mit Vielfalt und Diskriminierung in der Arbeitswelt © VÖGB

Ratgeber

Umgang mit Vielfalt und Diskriminierung in der Arbeitswelt. 

Hier findest du den Ratgeber zu Diversität kostenlos zum Download.

Franjo Markovic, AK Wien © AK Wien
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Franjo Markovic, AK Wien
"Ar­beit­ge­ber sollen prä­ven­ti­ve Struk­tu­ren und In­stru­men­te ge­gen Dis­kri­mi­nie­rung er­ar­bei­ten."

Franjo Markovic, AK Wien

Strukturen aufbauen

Das österreichische Gleich­behandlungs­gesetz verbietet jede Form der Dis­kriminierung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Welt­anschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung im Arbeitsleben. Bei Verletzung steht den Arbeit­nehmer:innen unter anderem Schaden­ersatz zu. „Die Verant­wortung dafür, dass keine Dis­kriminie­rung stattfindet, trägt der Arbeit­geber. Er sollte präventiv Strukturen und Instru­mente erarbeiten“, erklärt Franjo Marković, Jurist in der Abteilung Arbeits­markt und Integration in der AK Wien

Manche Unter­nehmen haben dafür eine:n Beauftragte:n für Gleichstellung, an den/die sich Betroffene vertraulich wenden können. Sinnvoll seien zudem Anti­rassismus-Schulungen, gerade auch auf Führungs­ebene. Als Betriebsrat aktiv die Gleich­stellung zum Thema machen kann man zum Beispiel durch den Abschluss einer Anti­diskriminierungs-Betriebs­vereinbarung mit dem Arbeit­geber. Darin lässt sich ein innerbetriebliches Verfahren bei Verstößen festlegen – samt Sanktionen; ebenso Präventions­maßnahmen, Ziele und konkrete Aktivitäten zum Voran­treiben der Gleich­stellung im Betrieb.

Vertrauen gewinnen

Wie aber gelingt es, Beschäftigte, die noch nicht so lange in Österreich leben oder auf den unteren Hierarchie­ebenen arbeiten, zu ermu­tigen, Miss­stände aufzuzeigen und sich dem Betriebs­rat anzuvertrauen? „Indem man sich für sie Zeit nimmt“, sagt Franjo Marković. Über inter­kulturelle Kompetenz zu verfügen, ist für diese Aufgabe genauso wichtig wie sich rechtlich fit zu halten. „Asyl­berechtigte etwa haben ein unbefristetes Auf­enthalts­recht und unbe­schränkten Zugang zum Arbeits­markt. Doch einige Arbeit­geber wissen das nicht und werfen die Beschäftigten raus, sobald ihre blaue Aufenthalts­berechtigungs­karte abläuft. Das ist in etwa so, wie wenn der Chef einen Österreicher rauswirft, weil der Reise­pass abgelaufen ist“, erinnert sich Marković an Fälle aus der AK Beratung. Betriebsrät:innen, die über die Rechts­lage Bescheid wissen, können dazu beitragen, derartige Kündigungen zu verhindern.

„Die Beschäf­tigten haben manchmal übergroßen Respekt vor der Geschäfts­führung und denken, es lässt sich nichts ändern. „Ich erkläre ihnen, dass wir gemeinsam vieles mitgestalten können“, erzählt Omid Hosseiny, der als Jugend­licher mit seinem Bruder wegen politischer Verfolgung aus dem Iran flüchten musste. Er ist Facharzt für Neurologie im Kranken­haus Göttlicher Heiland und Mitglied im Betriebs­rat. Als Arzt steht Omid Hosseiny weit oben in der Hierarchie – und nutzt dies, um den Zusammenhalt zu festigen. Die Beschäftigten im Göttlichen Heiland kommen aus vielen ver­schie­denen Nationen und Berufs­gruppen – das spiegelt sich auch im Betriebs­rats­team wider. „Als mich unser Betriebs­rats­vor­sitzender gefragt hat, ob ich für den Betriebs­rat kandidieren will, war für mich klar, ich bin dabei. Ich schätze die Mit­gestaltungs­möglich­keiten, die es hier gibt“, sagt Omid Hosseiny.

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Betriebsrät:innen mit Migrationshintergrund, wie Monika Keltanoski, agieren oft als Brückenbauer:innen.

 


Demokratie lebt auf  

Monika Keltanoski, Omid Hosseiny und viele andere Betriebs­rät:innen machen Demo­kratie erlebbar. Durch ihren Einsatz wird den Arbeit­nehmer:innen bewusst, dass ihre Stimme zählt. „Betrieb­liche Mit­bestimmung stärkt die Demo­kratie, weil sie gerade jenen wirksame Betei­ligung ermöglicht, die sonst oft nicht gehört werden“, schreibt Demo­kratie­forscherin Martina Zandonella von SORA dazu in einem Beitrag am A&W-Blog. Bei Wahlen im Betrieb geben viele Kolleg:innen mit aus­ländischem Pass zum ersten Mal ihre Stimme ab.

Auch Lehrlinge und öster­rei­chische Staats­bürger:in­nen im unteren Ein­kommens­drittel wählen hier oft zum ersten Mal, so Zandonella weiter. Monika Keltanoski stimmt dieser Aussage zu: „Bei uns ist allen klar, wie wichtig ein Betriebsrat ist. Wir haben auch bei der letzten Betriebs­rats­wahl eine hohe Wahl­beteiligung erzielt.“ Auch bei der AK Wahl können alle Arbeit­nehmer:in­nen unab­hängig vom Pass ihr Stimm­recht nutzen. Bei Siemens werden Monika und das gesamte Betriebs­rats­team dafür sorgen, dass alle die Möglich­keit haben, ihre Stimme abzugeben. Keltanoski dazu: „Wir richten im Betrieb ein Wahllokal ein. Das ist fix.“

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