Irmgard Gettinger ist bei aller Freundlichkeit eine durchsetzungsstarke Person: „Ich habe immer schon Speak-up-Kultur gelebt, weil ich aufstehe und sage, wenn etwas nicht gut läuft.“ Und genau das hat die Betriebsratsvorsitzende im Wiener Regionalzentrum von Boehringer-Ingelheim für Mittel- und Osteuropa auch bei der EU-Wahl vor:
„Es geht um Solidarität! Der EU-Rechtsrahmen bietet Arbeitnehmer:innen und Betriebsräten gute Möglichkeiten. Aber das Wahlergebnis entscheidet, ob die Chance auf Solidarität weiter besteht, aus- oder abgebaut wird.“ Und darum wollen AK und ÖGB mit ihrer Kampagne „Stimme für Demokratie“ die Arbeitnehmer:innen zur EU-Wahl bewegen.
Stimme für Demokratie. WIR BRAUCHEN DICH!
Hilf mit, die Arbeitnehmer:innen zur EU-Wahl zu bewegen! Du bist als Betriebsrat ihr direkter Draht zu Mitbestimmung und Demokratie. Mach mit bei der AK-ÖGB-Kampagne „Stimme für Demokratie“ und stärke die Stimme der Arbeitnehmer:innen im EU-Parlament.
Die wichtigsten Themen für Arbeitnehmer:innen zur EU-Wahl, Material für Social Media sowie spannende Veranstaltungen findest du auf der Kampagnen-Website.
Irmgard Gettinger, Boheringer-Ingelheim-Betriebsrätin
Die Möglichkeiten des EU-Rechts weiß Irmgard Gettinger gemeinsam mit ihren Kolleg:innen in den anderen Ländern gut zu nutzen: Am European Forum der 39 Arbeitnehmervertreter:innen aus 27 europäischen Ländern kommt die Unternehmensspitze des Pharmakonzerns nicht vorbei. „Laut EU-Recht muss uns das Management über strukturelle Änderungen erst informieren und unsere Stellungnahme dazu einholen, bevor sie eingeführt werden“, sagt Gettinger, die als Co-Vorsitzende des europäischen Betriebsrats wichtige Akzente setzt.
Und auch die Vernetzung untereinander bringt viel: „Wenn in einem Land etwa ein neues Mitarbeiterbewertungs-System ,getestet‘ wird, erfahren wir das ein, höchstens zwei Tage später. Mein Kollege aus Deutschland, Carsten Henning, hat eine gute Gesprächsbasis mit dem Vorstandsvorsitzenden Hubertus von Baumbach. Der schätzt umgekehrt uns, weil er so erfährt, was an der Basis passiert. Mir gefällt dieser kooperative Stil, auch wenn wir unterschiedliche Interessen vertreten.“
Auf kooperativen Stil und gesetzliche Regelungen hat Gettinger gesetzt, um die Lohn- und Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern in ihrem Betrieb zu schließen: „Der verpflichtende Einkommensbericht hat in Österreich wirklich etwas bewegt. Die Schere liegt am Standort Österreich heute nur mehr bei sieben Prozent.“
Eva-Maria Burger, Leiterin der AK Abteilung Frauen und Familie, findet die EU-Richtlinie zur Lohntransparenz sogar noch besser: „Die Richtlinie bringt einen Kulturwandel – weg vom Tabu ums Geld und hin zu mehr Respekt und Fairness. Der Einkommensbericht muss zukünftig von mehr Unternehmen – auch kleineren – als bisher erstellt werden. Und auch die variablen und ergänzenden Bestandteile, also auch Boni und Prämien, müssen eingerechnet werden.“
Die Richtlinie wurde 2023 beschlossen und muss jetzt in nationales Recht umgesetzt werden. Burger: „Die Arbeitnehmer:innen geben bei der EU-Wahl ihren Regierungen das Signal dafür, wie wichtig es ihnen ist, Frauen und den Respekt für ihre Arbeit zu stärken.“
Ja, bei dieser Wahl wird viel entschieden. Über Lohn- und Sozialdumping zum Beispiel. „Das Problem ist doch, dass wir so unterschiedliche Sozialstandards haben. Auch diese Schere müssen wir schließen. Wir brauchen europaweit Mindeststandards. Das wünsche ich mir als Betriebsrätin und Europäerin“, sagt Irmgard Gettinger.
Die Wahl zum Europäischen Parlament auf einen Blick
Am 9. Juni wählen die Österreicher:innen ihre Vertretung zum EU-Parlament. Das sind 20 von insgesamt 720 EU-Parlamentssitzen. Und für jede Bundesregierung ist die Wahlbeteiligung in Österreich ein wichtiges Signal, wie ernst die Menschen das nehmen, was sich in Europa tut. Denn die Regierung bestimmt im EU-Rat bei jedem Gesetz auf EU-Ebene gemeinsam mit EU-Parlament und EU-Kommission mit.
Valentin Wedl, AK Wien
Valentin Wedl leitet die Abteilung für EU und Internationales der AK Wien. Er meint: „In dieser Legislaturperiode ist in der EU einiges weitergegangen. Gleich, ob es die Mindestlohnrichtlinie betrifft oder die Richtlinie zur Plattformarbeit, von der Millionen an Beschäftigten profitieren sollten: Das Europäische Parlament war stets ein starker Verbündeter von uns. Vom Ausgang der Wahl wird es abhängen, ob bei zentralen arbeitsrechtlichen Fragen unserer Zeit weitere Schritte erfolgen werden.
Wir denken an EU-weite Regeln zum Schutz vor unfairen Arbeitsvertragsklauseln oder an wirksame Maßnahmen gegen Scheinselbstständigkeit. Europaweit geltende Mindeststandards sind der beste Schutz gegen Wettbewerb auf Kosten der Arbeitnehmer:innen.“ Und mithilfe des Lieferkettengesetzes bietet die Kaufkraft der europäischen Konsument:innen einen Hebel, sogar global grundlegende Rechte für Arbeitnehmer:innen und Klimaschutzstandards durchzusetzen.
Apropos Klimaschutz: Der wird ja gerne als Hindernis für die Wirtschaft gesehen. Doch das globale Wettrennen um die fortschrittlichste grüne Technologie hat längst begonnen. Ein Wettrennen, das viele europäische Länder auf sich gestellt wohl kaum bestreiten könnten. Doch auf der internationalen Bühne hat das vereinte Europa hier eine starke Stimme.
„Vieles wird auf globaler Ebene entschieden, sowohl in der Politik als auch in Unternehmen“, sagt Betriebsrätin Irmgard Gettinger. „Es ist oft zu spät, erst dann etwas anders zu wollen, wenn die Dinge schon lokal umgesetzt werden. Man muss gleich mitreden. Mir als Betriebsrätin geht es bei dieser EU-Wahl ganz konkret um einen stärkeren Schutz meiner Betriebsrats-Kolleg:innen in den Ländern, die nicht so ein starkes Arbeitsrecht haben wie wir in Österreich. Ich kann nur wiederholen: Es geht um Solidarität!“