Claudia Neumayer-Stickler, ÖGB © Markus Zahradnik
Berufskrankheiten

Berufskrankheiten: Krankmacher Arbeit

Warum das überarbeitete „Berufskrankheiten-Modernisierungs-Gesetz“ seinen Namen nicht verdient. Zwei Expert:innen klären auf.

Durch Lärm verursachte Schwerhörigkeit war über viele Jahre die am häufigsten anerkannte Berufskrankheit. 2021 wurde sie von Infektionskrankheiten abgelöst. Oftmals erleiden Arbeitnehmer:innen durch ihre Erwerbs­arbeit gesund­heitliche Schädigungen


Wird eine Krankheit als Berufs­krankheit anerkannt, übernimmt die Sozial­versicherung sowohl Heil­behandlung als auch Rehabilitation. Zudem steht den Betroffenen beziehungsweise Hinter­bliebenen unter bestimmten Voraus­setzungen auch finanzielle Entschädigung zu. „Die finan­ziellen Zahlungen sichern die Betroffenen ab“, erklärt ÖGB-Gesundheits­expertin Claudia Neumayer-Stickler. Damit ihnen aber Leistungen aus der Unfall­versicherung zustehen, müssen die berufs­bedingten Erkrankungen ausdrücklich in der Berufskrank­heitenliste im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) geregelt sein. 


 

Neumayer-Stickler, ÖGB © Markus Zahradnik
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„Im Interesse der Arbeit­neh­mer:in­nen pochen wir auf eine wirk­li­che Mo­der­ni­sie­rung der Berufs­krank­hei­ten­liste.“

Claudia Neumayer-Stickler, ÖGB-Gesund­heits­ex­per­tin

Österreich hinkt bei der Anerkennung von Berufskrankheiten nach

In Österreich sind viel zu wenige berufsbedingte Erkrankungen anerkannt – zu Lasten der Arbeitnehmer:innen. Das in März in Kraft getretene Berufskrank­heiten-Modernisierungs-Gesetz, auf das AK und ÖGB seit Jahren drängen, sollte Abhilfe schaffen. „Die aktuelle Anpassung der Berufskrank­heiten­liste ist eine vergebene Chance“, kritisiert Bau-Holz-Gewerkschafter und ÖGK-Obmann Andreas Huss. Die Berufskrank­heitenliste wurde um vier Krankheiten ergänzt – aktuell sind es 56. „In Deutschland werden 80 Berufskrankheiten anerkannt“, betont Neumayer-Stickler. 


Begrüßenswerte Neuerung


Dass mit der Aktualisierung weißer Hautkrebs endlich als Berufskrankheit gilt, ist begrüßens­wert. Zu Recht – denn in Deutschland zählt er zu den am häufigsten anerkannten Berufs­krankheiten. In Anbetracht der steigenden Hitzetage sei das für jene, die überwiegend im Freien arbeiten und oft schon ab März hohen UV-Strahlungen ausgesetzt sind, besonders wichtig, sagt die ÖGB-Expertin.

Doch bei psychischen Erkrankungen sieht es mit der Anerkennung als Berufskrankheit schlecht aus. Zwar trifft Burnout als Folge von chronischem Arbeitsstress immer mehr Beschäftigte: Rund 60 Prozent sind mindestens einem psychischen Risiko – wie starkem Zeitdruck – ausgesetzt. Doch arbeitsbezogene psychische Erkrankungen sind weiter nicht auf der Liste der Berufskrankheiten.


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ÖGB-Podcast: 
Wenn der Job kaputt macht 

Podcast-Folge: Warum Long Covid und Co. in die Liste der Berufs­krankheiten aufgenommen werden müssen.

Andreas Huss, ÖGK © Markus Zahradnik
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„Wir brau­chen ein Ex­pert:in­nen­gre­mium, das sich lau­fend mit ar­beits­be­ding­ten Er­kran­kun­gen be­schäf­tigt.“

Andreas Huss, Obmann ÖGK

 

Von Pflegekräften über Paketzusteller:innen zu Steinmetzen: Eine breite Palette von Arbeit­nehmer:innen kämpft mit Bandscheiben­vorfällen. Erkrankungen des Bewegungs- und Stütz­apparats werden im aktualisierten Gesetz aber weiterhin ignoriert. „Damit Beschäftigte gesund in die Pension kommen, muss man präventiv handeln. Hilfs­konstrukte, Anleitungen und die Minimierung des Arbeitsdrucks können entlasten“, rät Claudia Neumayer-Stickler.


Was es in puncto Berufs­krankheiten noch braucht

„Wir brauchen ein Expert:innengremium, das sich laufend mit arbeits­bedingten Erkrankungen beschäftigt und die Berufskrank­heitenliste ständig an das aktuelle Krankheits­geschehen am Arbeitsplatz anpasst“, fordert Huss. So gelingt es Deutschland, die Liste der Berufs­krankheiten regelmäßig zu ergänzen.

In Österreich ist eine Gesetzes­änderung allein vom politischen Willen abhängig“, kritisiert die Gesundheitsexpertin. Eine weitere Kürzung der Lohn­nebenkosten würde zudem bedeuten, dass die AUVA weiterhin keinen umfassenderen Präventions­auftrag zur Eindämmung von Berufs­krankheiten hätte. „Umso wichtiger ist es, dass wir im Interesse der Arbeitnehmer:innen dranbleiben und auf eine wirkliche Modernisierung der Berufskrankheitenliste pochen“, so Neumayer-Stickler.


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