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Recht klar

Gewalt am Arbeitsplatz:
„Jeder Übergriff ist einer zu viel“ 

Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz werden oft als „Berufsrisiko“ verharmlost. Doch ein neues Überein­kommen könnte Österreichs Rechtslage und den Schutz verbessern.

Delna Antia-Tatić
20.10.2025
in diesem Artikel


    „Gewalt nimmt zu, auch am Arbeitsplatz.“ Die Aggressions­bereitschaft ist in Österreich gestiegen, weiß Adriana Mandl, Expertin aus der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien. Ob im Zug, im Kranken­haus oder im Supermarkt – Übergriffe gehören in diesen Arbeitsumfeldern beinahe zum Alltag. So hat etwa fast jede zweite Handels­angestellte Gewalt­erfahrungen gemacht. Meistens sind hier Frauen betroffen – sie werden angeschrien, beleidigt, bedroht oder belästigt. Die Ergebnisse einer Umfrage der GPA, die heuer veröffentlicht wurde, sind erschreckend.

    Gewalt im Job hat viele Facetten

    „Gewalt und Belästigung sind sehr facetten­reich“, sagt Mandl. Sie reichen von körperlicher Gewalt über psychische Gewalt und Mobbing bis hin zu sexueller Gewalt und Belästigung. Eine genaue Abgrenzung ist oft schwierig. „Auch Poster von Pin-ups am Arbeits­platz fallen unter Belästigung.“ Zudem kann Gewalt von Kund:innen ausgehen, genauso wie von den Kolleg:innen oder vom Vorgesetzten. Das macht die Lage komplex. Für die Betroffenen heißt das meist: Erfahrungen mit Gewalt oder Belästigung werden als individuelles Problem degradiert – oder als „Berufsrisiko“ verharmlost.

    Neues Übereinkommen gegen Gewalt am Arbeitsplatz

    Doch seit dem 11. September dieses Jahres sorgt das Übereinkommen Nr. 190 der Internationalen Arbeits­organisation (ILO) über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt für Hoffnung. „Das Besondere daran ist, dass erstmals eine international geltende Definition zu diesen Themen vorliegt. Gewalt und Belästigung umfassen alle Arten von inakzeptablen Verhaltensweisen – egal, ob einmalig oder wiederholt.“ 187 Mitgliedstaaten haben das Abkommen beschlossen, Österreich hat es bereits ratifiziert. 

    Das Recht auf einen gewalt- und belästigungs­freien Arbeits­platz wird damit deutlich gestärkt. Nun muss es in nationales Recht umgesetzt werden. Doch was heißt das konkret? „Der Gesetzgeber hat zu prüfen, wo es Anpassungsbedarf gibt“, erklärt die Juristin Mandl. „So hat Österreich zwar weltweit gesehen einen hohen Schutz­standard, doch vieles kommt in der Praxis bei den Betroffenen nicht an – und bietet zu wenig effektiven Schutz.“ Mit dem ILO-Überein­kommen müssen Arbeitgeber ihre Fürsorge­pflicht stärker als bisher wahrnehmen.


    Adriana Mandl, AK Wien © Markus Zahradnik
    Adriana Mandl, Juristin in der Abteilung Sozialpolitik, AK Wien © Markus Zahradnik

    Grundsätzlich hat Österreich einen hohen Schutz­standard, doch vieles kommt in der Praxis bei den Betrof­fenen nicht an.


    Adriana Mandl, AK Wien

    So ist etwa neu, dass alle Beschäftigten in den Schutz­bereich fallen, auch Praktikant:innen und freie Dienstnehmer:innen. Auch Arbeitswege gehören geschützt. „Man denke an eine Reinigungs­kraft, die am frühen Morgen, wenn es noch dunkel ist, ganz allein ihren Dienst verrichten muss, oder an eine Kellnerin, die am Abend allein arbeitet. Hier sind nun angemessene Maßnahmen gefordert, um vor Gewalt und Belästigung zu schützen.“

    Eine Chance für Betriebsräte

    Doch wie kann das in der Praxis aussehen? „Klar ist, das ist nicht nur Sache des Betriebs, auch der Gesetzgeber ist gefragt.“ Es braucht also Sensibilisierung und Schulungen für Führungskräfte in den Unternehmen, genauso wie Leitlinien durch die Interessen­vertretungen der Arbeit­geber­seite, mit Fokus auf besonders betroffene Berufe und Branchen.

    Aktuell haben 55 Prozent aller Betriebe in Österreich kein Schutzkonzept, wie die aktuelle Europäische Unternehmenserhebung über neue und aufkommende Risiken (ESENER) zeigt. „Wenn ich in so einem Betrieb arbeite, weiß ich als Arbeit­nehmer:in nicht, ob, wann und wie mir geholfen wird.“ Mandl empfiehlt daher Betriebsvereinbarungen oder verpflichtende interne Leitlinien zum Schutz und zur Prävention. „Eine erste Ansprechstelle einzurichten und Schulungen durchzuführen, sind die ersten wichtigen Schritte – als Teil eines Präventions­konzeptes.“

    Für Betriebsrats­mitglieder birgt das ILO-Übereinkommen eine Chance, weil Betriebs­vereinbarungen grundsätzlich gestärkt werden. „Wichtig wäre, dass der Betriebsrat frühzeitig und aktiv alle infrage kommenden Maßnahmen für die Beschäftigten auch durchsetzen kann. Hier ergeben sich in der Praxis aber oft Abgrenzungs­probleme und Defizite“, so die Expertin.

    Das fordert die Arbeiterkammer

    Fehlt ein solches Konzept, fordern Arbeiter­kammer und ÖGB, dass Arbeitgeber im Fall einer Belästigung Schaden­sersatz von mindestens 5.000 Euro an Betroffene leisten müssen. Zur Abschreckung – denn oft scheuen die Betroffenen den Gerichtsprozess. „Einerseits wollen sie sich einem jahrelangen Verfahren nicht psychisch aussetzen, andererseits hat der zugesprochene Schadens­ersatz zur Symbolwirkung“, so Mandl. 

    Ein Gewaltschutz­konzept verbessert das Arbeits­umfeld unter den Kolleg:innen und stärkt die Bindung zwischen Beschäftigten und Unternehmen. Mandl: „Letztlich profitieren alle, denn jeder Übergriff ist einer zu viel.“

    gut zu wissen

    Gewalt und Belästigung: Was zählt dazu?

    • Körperliche Gewalt
      • Angriffe wie Schubsen, Ohrfeigen, Schlagen oder das Werfen von Gegenständen

    • Psychische Gewalt und Belästigung
      • Mobbing wie Anschreien, Drohen, Ausgrenzen, jede Form von verbalem Missbrauch
      • Verspotten, Sticheleien oder übermäßige Fehlerzuschreibung, auch aufgrund von Stereotypen 
      • Absichtliches Zurückhalten von Informationen, um bestimmten Personen zu schaden
    • Sexuelle Gewalt und Belästigung
      • Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Stalking, Exhibitionismus
      • Unerwünschter Körperkontakt und obszöne Kommunikation
      • Beleidigungen oder Witze über Geschlechtsidentität
      • Bitten um sexuellen Gefallen im Austausch für Beförderung
      • Versenden von sexuell eindeutigen Nachrichten 
      • Pornografische Poster etc.


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