Es war ein Betrunkener in der S-Bahn, der Peter Traschkowitsch vor knapp 20 Jahren attackierte. Peter, der gleich nach der Schule 1978 bei den ÖBB in der Verwaltung zu arbeiten begonnen hatte, saß als Fahrgast im Waggon. „Der Betrunkene hat eine Frau angepöbelt. Da habe ich eingegriffen“, erinnert er sich an den Vorfall. Mit einem Schirm verletzte der Mann Peter am Auge so stark, dass trotz mehrerer Operationen dauerhafte Schäden zurückblieben. Der Angreifer wurde verurteilt, Peter bekam Schadenersatz zugesprochen. Und begann, sich systematisch mit dem Thema Gewaltprävention auseinanderzusetzen.
Was haben die Beschäftigten im Verkehrssektor mit jenen in der Gastro gemeinsam? Was mit den Beschäftigten im Krankenhaus? Sie alle müssen mit Vorgesetzten, Kolleg:innen und Kund:innen zurechtkommen, eine schwierige Dreiecksbeziehung. In der Pflege und Betreuung kommt noch der Kontakt mit den Angehörigen dazu. „2006 wurde die Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida gegründet. Umfragen unter den Beschäftigten zeigten uns, dass viele mit Gewalt im Job konfrontiert sind,“ erzählt Peter. Unter der Koordination von Peter Traschkowitsch startete die Gewerkschaft vida deshalb 2009 die Initiative „Tatort Arbeitsplatz“. Auch andere Gewerkschaften und die AK thematisieren das Problem laufend. Trotzdem wird in manchen Betrieben Gewalt im Job weiterhin kleingeredet. „Das ist dein Berufsrisiko“, hören Beschäftigte, die die erlebte oder beobachtete Gewalt im Betrieb anzusprechen wagen.
Isabel Koberwein, GPA
Gewalt am Arbeitsplatz beginnt nicht erst bei körperlichen Angriffen. Sie reicht von Hänseleien über Beschimpfungen und Bedrohungen bis zu physischen Attacken. Auch sexuelle Belästigung sowie Mobbing sind Formen von Gewalt. „Das alles gehört nicht zum Job dazu. Der Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht. Er ist für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz verantwortlich. Dementsprechend müssen Arbeitgeber für den Gewaltschutz im Betrieb sorgen und geeignete Schutzmaßnahmen setzen – und zwar präventiv. Arbeitgeber müssen eruieren und beurteilen, von wem Gewalt ausgehen kann und was die Auslöser dafür sind. So schreibt es das Arbeitnehmer:innenschutzgesetz vor“, sagt Johanna Klösch, Expertin für Arbeitnehmer:innenschutz in der AK Wien.
Handelt es sich um die Kund:innen, die die Angestellte an der Kassa wegen der langen Warteschlange anpöbeln? Oder ist es interne Gewalt, die von Kolleg:innen ausgeht oder gar von einer Führungskraft? Ungünstige betriebliche Rahmenbedingungen wie Personalmangel, mangelhafte Arbeitsorganisation oder eine schlechte Führung erhöhen das Risiko von Gewalt am Arbeitsplatz.
Gut zu wissen ist zudem, dass das Arbeitnehmer:innenschutzgesetz eine klare Rangordnung vorgibt. Technische Maßnahmen, etwa Schutzwände, stehen an erster Stelle. Organisatorische Maßnahmen, zum Beispiel Zutrittsregelungen oder Team- statt Einzelarbeit, folgen als zweites. Personenbezogene Maßnahmen wie Schulungen oder eine persönliche Schutzausrüstung sind erst der dritte Baustein. „Natürlich macht es oftmals Sinn, einen Maßnahmenmix zu wählen. Deeskalationstrainings können sinnvoll sein. Vorrangig ist es aber, kritische Situationen und Gefährdungen schon im Vorhinein zu vermeiden“, erklärt Isabel Koberwein, Expertin für Arbeitnehmer:innenschutz in der GPA.
Ändern sich die Risikopotenziale, muss auch bei den Maßnahmen nachgebessert werden. In der Corona-Hochphase zeigte sich, dass die Schutzmaßnahmen oft nicht mit dem Gewaltrisiko Schritt hielten, als viele Beschäftigte plötzlich dafür zuständig waren, die Maskenpflicht oder die 3G-Nachweise der Kundschaft zu kontrollieren. Corona hat den Stresspegel in unserer Gesellschaft erhöht. Die Energiekrise, die Teuerung und die Tatsache, dass in vielen Betrieben zu wenig Personal zu viel Arbeit leisten muss, sorgen weiter für hohen Druck.
„Die Daten aus unserer Beschäftigtenbefragung zeigen, dass die Gewalt am Arbeitsplatz in den letzten zwei Jahren angestiegen ist. Und das Problem verschwindet nicht von selbst. Die Unternehmen müssen aktiv dagegen vorgehen. Als Betriebsrat gilt es, das einzufordern“, sagt Koberwein. Neben präventiven Maßnahmen sollte es klare Regeln für den Akutfall und die Nachsorge geben. „Wer sind die Anlaufstellen im Betrieb? Gibt es externe, vom Unternehmen bezahlte Hilfe? Welche Sanktionen drohen den Verursachenden von Gewalt? Das alles kann man in einer Betriebsvereinbarung regeln“, fügt Peter Traschkowitsch hinzu.
Im Hanusch-Krankenhaus hat das Betriebsratsteam Gewalt zum Thema gemacht. Ilse Kalb, die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, initiierte das Projekt, das dem Vorkommen von Gewalt – für alle sichtbar – eine klare Absage erteilt. Auf Plakaten und auf Infokarten, die überall im Krankenhaus aufliegen, werden die Beschäftigten ermutigt, Gewalt nicht hinzunehmen, sondern zu melden. Ein QR-Code auf den Plakaten führt direkt auf die Online-Gefahrenmeldung im Intranet. „Die Gefahrenmeldung gab es schon früher, aber versteckt im Intranet. Jetzt können die Beschäftigten mit einem Klick Bescheid geben, wenn es einen Vorfall gibt“, sagt Kalb. Die Zahl der Meldungen hat seither zugenommen. „Die Beschäftigten sehen, es wirkt, gegen Gewalt aufzustehen. Fehlverhalten wird jetzt angesprochen und abgestellt. Auch Patient:innen, die sich im Ton vergreifen, wird klargemacht, dass das so nicht geht“, sagt Kalb. Alle Beschäftigten haben ein Anrecht auf einen wertschätzenden Umgang in der Arbeit. „Und deshalb müssen alle mehr aufeinander schauen.“
Die Website der Gewerkschaft vida mit umfassenden Infos, wie man Gewalt im Job bekämpfen kann, und mit Unterstützungsangeboten für Betriebsrät:innen und Mitglieder. Gleich durchschauen!
Die Themenseite der GPA fasst die rechtlichen Regelungen zusammen und listet Aulaufstellen auf. Eine kompakte Broschüre für Betriebsrät:innen samt Checkliste gibt einen guten Überblick über Handlungsmöglichkeiten.
Berät in Sachen Antidiskriminierung und Gewaltprävention: chancen.nutzen@oegb.at