An der Kassa der Buchhandlung stehen sieben Kund:innen in der Warteschlange. Die Verkäuferin hinter dem Schalter kassiert rasch, lächelt genervte Blicke weg und sortiert nebenbei Bücher. Zum Einräumen der neuen Lieferung bleibt keine Zeit. Es ist 17:30 Uhr und im Restaurant nebenan wird die Punschbar für drei Firmenfeiern aufgebaut. Die Bar versperrt einem Kleintransporter den Weg, der Fahrer hupt und schüttelt den Kopf – alle Pakete bis 19 Uhr auszuliefern, geht sich ohnehin nicht mehr aus. Oh du fröhliche Weihnachtszeit!
Ob im Handel, in der Gastronomie, im Logistikbereich oder in der Pflege – rund um Weihnachten herrscht im Dienstleistungssektor Ausnahmezustand. In jeder Branche sieht das etwas anders aus, es folgt aber denselben Mustern: zu wenig Personal, zu viele Arbeitsstunden, zu hohe Erwartungen. Für die Belegschaftsvertretung heißt das: Präsenz zeigen, Mitarbeiter:innen über ihre Rechte aufklären, sie schützen oder einfach nur zuhören.
Martin Müllauer, Betriebsratsvorsitzender der Morawa Buch und Medien GmbH, sagt: „Früher waren vier Vollzeitkräfte in der Warenübernahme, heute machen zwei Halbtagskräfte dieselbe Arbeit.“ Dazu kommen verlängerte Öffnungszeiten, die Betreuung von Weihnachtsausstellungen und fehlende Pausen.
„Im Dezember wird sechs Tage die Woche durchgearbeitet“, so Müllauer. Auch in anderen Branchen steigen die Belastungen. „Das kennen wohl viele, dass alles noch vor Weihnachten fertig werden muss. Besonders betroffen ist die Logistik- und Zustellbranche“, sagt Bianca Schrittwieser, Leiterin der Abteilung Arbeitsrecht der AK Wien.
„Bitte nichts unterschreiben, von dem man nicht sicher ist, was es bedeutet!“
Bianca Schrittwieser, AK Wien
Die Feiertagswochen sind auch rechtlich sensibel. Viele Anfragen in der arbeitsrechtlichen Beratung der Arbeiterkammer Wien drehen sich etwa um das Thema Weihnachtsgeld: Wann wird es fällig? Und: In welcher Höhe? Der Anspruch ergibt sich aus dem Kollektivvertrag. Bei Unsicherheit hilft ein Anruf bei der AK. Gleiches gilt bei Fragen zu Arbeitszeit, Überstunden und Urlaub.
„Am 8. Dezember ist niemand verpflichtet zu arbeiten, das ist freiwillig“, erinnert Müllauer die Belegschaft alle Jahre wieder. Der Anspruch auf Auszahlung der Stunden und die zusätzliche Freizeit ist für einige ein Anreiz, am Feiertag zu arbeiten. Der Betriebsrat kontrolliert die Höchstarbeitszeit und schaltet bei Bedarf die Geschäftsführung oder das Arbeitsinspektorat ein. Schrittwieser rät außerdem, Arbeitszeiten und Pausen selbst zu dokumentieren. Nur so lassen sich Ansprüche beweisen.
„Das Wichtigste ist Zuhören“, sagt Müllauer. „Durch die Personalknappheit sind die im Verkauf beschäftigten Kolleg:innen im Weihnachtsgeschäft besonders gefordert. Oft muss man sie vor sich selbst schützen und ihnen dabei helfen, Prioritäten zu setzen – und auch klar sagen: Wenn du krank bist, bleib zu Hause.“
Bianca Schrittwieser ergänzt: Betriebsratsmitglieder haben Mitbestimmungs- und Kontrollrechte, etwa bei Arbeitszeiten. Sie können Pausenregelungen einfordern, auf faire Dienstpläne drängen und bei Konflikten vermitteln. Kleine Gesten helfen zusätzlich, die Stimmung zu halten – von gesponserten Weihnachtskeksen bis hin zu persönlichen Besuchen in den Filialen. Müllauer setzt sich auch gegenüber der Geschäftsleitung dafür ein, „den Druck von oben zu nehmen. Wenn das Geschäft nicht gleich anläuft, ist Panik der falsche Ton. Vor allem in Zeiten, wo Beschäftigte Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben.
Im Stress werden Grenzen schneller überschritten. Laut der Gewerkschaft GPA nehmen etwa Übergriffe und Beschimpfungen auch im Handel zu. Martin Müllauer schätzt den Buchhandel dennoch als gemäßigter ein. Kund:innen zeigen meist Verständnis, verlassen das Geschäft aber oft frustriert, wenn etwas länger dauert. Anders sieht es bei den Kolleg:innen im Online-Handel aus: „Am Telefon oder per Mail werden Kund:innen schneller ausfällig als im persönlichen Gespräch“, sagt Müllauer.
„Ich sage meinen Kolleg:innen immer: Der Stress hat ein Ablaufdatum.“
Martin Müllauer, Betriebsratsvorsitzender
Schrittwieser erinnert daran, dass Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht haben. Schutzmaßnahmen und Präventionskonzepte gegen Belästigung und Gewalt gehören dazu. „Vor allem rund um Weihnachtsfeiern häufen sich leider Fälle der sexuellen Belästigung – sowohl firmenintern als auch gegenüber Dienstleister:innen. Gastronomie und Handel sind hier besonders betroffen“, schildert Bianca Schrittwieser.
Arbeiterkammer und GPA sehen deshalb u. a. ein Recht auf Supervision im Handel als notwendig an – nach dem Vorbild der Sozialwirtschaft, wo solche Gespräche bereits als Arbeitszeit gelten und auch vom Arbeitgeber bezahlt werden.
„Ich sage meinen Kolleg:innen immer: Der Stress hat ein Ablaufdatum“, erzählt Martin Müllauer. Auch wenn das erst weit nach Weihnachten der Fall ist. Nach den Feiertagen folgen Umtauschaktionen, Gutscheine, Abverkäufe, Remissionen (also die Rücksendung nicht verkaufter Ware) und Inventuren. „Man kann fast von sechs bis sieben Wochen Dauerstress sprechen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende von Morawa.
Viele Beschäftigte von Firmen, in denen es keinen Betriebsrat gibt, wenden sich erst zu Jahresbeginn an die Arbeiterkammer: Zusteller:innen oder Saisonkräfte merken im Jänner, dass Überstunden fehlen, Löhne nicht stimmen oder sie gar nicht richtig angemeldet waren.
Juristin Schrittwieser rät daher: „Bitte nichts unterschreiben, von dem man nicht sicher ist, was es bedeutet!“ Und generell gilt: „Wenn jemand drängt, sofort zu unterschreiben, dann stimmt meist etwas nicht.“
Der Stress zum Jahresende hin lässt sich nicht abschaffen – er lässt sich aber besser gestalten. Durch klare Regeln, offene Kommunikation und Zusammenhalt wird die Hochsaison erträglicher.
„Wir als Betriebsrat sind der mahnende Finger und schauen, dass alles im rechtlichen Rahmen bleibt. Außerdem sind wir immer für die Belegschaft da“, so Müllauer. Er hat zum Abschluss noch eine Bitte an alle Kund:innen, die etwa auch für Gäste, Patient:innen und Paketempfänger:innen gilt: „Mehr Geduld. Und mehr Empathie. Die Menschen, die da arbeiten, geben ihr Bestes.“
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