Jugendvertrauensraetinnen © Cardes Production
Interview

Jugend­vertrauens­rätinnen: „Wir wer­den immer mehr Mit­glieder“

Zum Inter­na­tio­nalen Frauen­tag holen wir drei Jugend­vertrauens­rätinnen vor den Vor­hang. Was ist ihre Auf­gabe im Betrieb? Zu dieser und an­deren Fra­gen haben wir mit Tugba Ünal, Chiara-Alena Lintner und Tina Phillippovitsch gesprochen.
Heike Hausensteiner
06.03.2023

AKtuell: Wer oder was hat euch dazu bewogen, Ju­gend­vertrauens­rätin zu werden?

Tugba: Ich (22) bin für Wiener Netze im Büro tätig und wollte gar keine Jugend­vertrauens­rätin sein. Ich wusste nicht, was meine Auf­gaben wären, und war als Lehrling schüchtern. Zwei Kollegin­nen, die das bereits gemacht hatten, haben mich mit 19 davon über­zeugt – und ich habe mich darauf eingelassen. Mein Arbeits­alltag hat sich seitdem komplett verändert, von Semi­naren zu Sitzungen und Veranstal­tungen bis hin zu Demos. 

Tina: Bei mir in der Firma ist der Jugend­vertrauensrat (JVR) zum ersten Mal gegrün­det worden. Ich (21) habe vor zwei Jahren die Tischler-Lehre bei Neudörfler Büro­möbel abge­schlossen. Man ist auf mich zugekommen, als ich noch Lehrling war; ich wollte zuerst infor­miert werden und nicht gleich ein­steigen. Dann dachte ich mir, das ist genau das Rich­tige, weil ich mich für Jugend­liche schon immer ein­setzen wollte. Das ist durch die ersten Seminare und Erfah­rungen immer besser gewor­den. Ich bin jetzt die dritte Periode Jugend­vertrauens­rätin. 

Chiara-Alena: Bei mir war es auch so, dass ich da hineingerutscht bin. Ich (23) schließe gerade eine Lehre für Mecha­tronik und Fer­tigungs­technik bei der AUA ab. Als ich ange­fangen habe, sind die anderen Lehrlinge mit Fragen zu mir ge­kommen. Ich war so etwas wie eine Ansprech­person. Vor der JVR-Wahl 2020 habe ich mir gedacht: Wenn ich das selbst wäre, hätte ich mehr Freiheiten. Wenn wer Hilfe braucht, kann man das in der Arbeits­zeit machen. Und man hat eine andere Argu­men­tations­grund­lage, als wenn man Kolleg:innen vor­schicken muss. Jetzt ist es meine zweite Periode. 

Jugendvertrauensraetinnen Tugba Uenal, Tina Phillippovitsch  © Cardes Production
© Cardes Production
Die Jugendvertrauensrätinnen Tugba Ünal und Tina Phillippovitsch (vlnr) bei der Jubiläumsveranstaltung "50 Jahre Jugendvertrauensgesetz".

AKtuell: Was muss der JVR generell tun und was konkret konntet ihr schon erreichen?

Tugba: Wir konnten im letzten Jahr Dienst­handys für Lehrlinge durchsetzen – und das Top-Jugend-Ticket. Das ist eine erhebliche Erleich­terung. Super war, dass uns dabei der Betriebs­rat unterstützt hat. Wenn’s einem Lehr­ling nicht gut geht in einer Ab­teilung, können wir mithelfen, eine Lö­sung zu finden. Lehrlinge werden nicht alleingelassen, weil wir eine Art Schutz­funktion haben. Wichtig ist, dass sich die Lehr­linge beim JVR wohl fühlen, damit sie offen ansprechen, was sie bedrückt – ohne dass es Konse­quenzen gibt. 

Chiara-Alena: Man ist einerseits Sprach­rohr für Lehr­linge, die ein Pro­blem haben. Durch die Gewerk­schafts­kurse kennen wir uns vielleicht bes­ser aus als Lehr­linge, die diese Kur­se nicht besuchen. Oder wir erkun­digen uns für sie beim Betriebs­rat. Anderer­seits sind wir oft Zuhörer:innen. Zum Bei­spiel wenn ein Lehr­ling mit 15 zum ersten Mal im Inter­nat ist und Heim­weh hat. Das ist schon fast Mentor-Arbeit. In heikleren Fällen, wenn jemand Zwei­fel hat, ob es die geeignete Aus­bildung ist, wenn jemand Schwierig­keiten mit Vor­gesetzten oder Arbeits­kolleg:innen hat – dann muss man zur höheren Instanz gehen.

Tina: Der JVR ist genauso jugend­lich wie die Lehr­linge, du kommu­nizierst auf der gleichen Ebene mit­einander. Ein großes Thema war bei uns zu Beginn der Corona-Zeit die Frage der Kurz­arbeit: Viele kann­ten sich damit nicht aus. Es gab Gerüch­te unter Lehr­lingen, dass sie statt Kurz­arbeit regel­mäßig Ur­laub nehmen sollten… 


AKtuell: Das wäre arbeitsrechtlich nicht in Ordnung gewesen…

Tina: Über­haupt nicht! Aber zwei Lehr­linge haben mich an­ge­spro­chen, hatten Angst – ich hab‘ ver­sucht, sie zu be­ruhigen, „macht euch keinen Kopf“, habe bei meinen Kon­takten Er­kun­digun­gen ein­ge­holt und sie infor­miert.


gut zu wissen

Cover Handbuch JVR © ÖGJ

Jugendvertrauensrat

­Der Jugend­ver­trauens­rat ist die Inter­essenver­tre­tung von Lehr­lin­gen und jun­gen Arbeit­neh­mer:innen. Seit 1972 gibt es das Jugend­ver­trauens­räte­gesetz, in dem alle Rechte und Pflich­ten, aber auch die Details zur Wahl oder Funktions­periode gere­gelt sind.

Mehr Infos findest du bei der ÖGJ (Österreichische Gewerkschaftsjugend). Hier kannst du auch das Handbuch "How 2 JVR" kostenlos herunterladen.

Jugendvertrauensraetinnen Tina Phillippovitsch + Chiara-Alena Lintner © Cardes Production
© Cardes Production
Die Jugendvertrauensrätinnen Tina Phillippovitsch und Chiara-Alena Lintner (vlnr) bei der Veranstaltung "50 Jahre Jugendvertrauensgesetz".
"Lehr­linge wer­den nicht al­lein­ge­las­sen, weil wir eine Art Schutz­­funk­tion ha­ben."

Tugba Ünal, Jugend­ver­trauens­rätin, Wiener Netze

AKtuell: In Jugend­vertrauens­räten und Betriebs­räten fin­den sich we­nige Frau­en und wenige Be­schäf­tigte mit Mi­gra­tions­hinter­grund. Wie könnte dieses Un­gleich­ge­wicht aus­ge­gli­chen wer­den?

Tugba: Unser Konzern ver­sucht be­wusst, junge Frauen für eine tech­nische Lehre anzu­werben und das attrak­tiv zu machen. 

Chiara-Alena: Wir sind von ins­gesamt 30 Lehr­lingen fünf Mäd­chen, die sehr ge­för­dert werden. Wir schauen, dass wir den JVR beliebt ma­chen und stellen uns spätes­tens am zwei­ten Tag der Lehre vor und er­klä­ren, was wir tun.

Tina: Im JVR habe ich seit der letzten Perio­de tatsächlich eine Stell­ver­tre­terin. Die Bur­schen haben uns den Vor­tritt gelassen. Wir sind sechs Frauen inklusive der Lehrlinge – und es interes­sieren sich immer mehr Mädchen für unseren Beruf.


AKtuell: Der JVR feiert 2023 sein 50-Jahr-Jubiläum. Wird es ihn in zehn Jahren noch ge­ben und was sollte anders werden?

Tina: Wir wer­den immer mehr Mit­glie­der, das wird für die Jugend­lichen immer interes­santer. Daher glaube ich, dass es den JVR auf jeden Fall in zehn Jahren noch geben wird. Ich bin auch seit eineinhalb Jahren Betriebs­rats­mitg­lied, weil man mich über­zeugt hat, dass ich für die Jun­gen eine wich­tige Vertre­terin bin. 

Tugba: Der JVR hat bewie­sen, wie wichtig es ist, dass es ihn auch in Zu­kunft gibt. Er ja so etwas wie das Pen­dant zum Betriebs­rat. Ein Lehr­ling mit 15 wird sich eher an jeman­den wenden, der alters­mäßig in der Nähe ist. 

Chiara-Alena: Den JVR wird es de­fini­tiv weiterhin geben. Erstens ist die Unter­stützung durch die Ge­werk­schaf­ten groß. Und Jugend­liche sind immer besser infor­miert: Sobald sie sehen, ihr Unter­nehmen hat keinen JVR, wollen sie einen grün­den. Ver­besserungs­bedarf gibt es beim Über­gang zum Betriebs­rat. Die Perio­den sind unter­schied­lich lange. Wir haben gute Leute als Jugend­vertrauens­rät:innen auf­ge­baut, da sind Er­fahrung, Wis­sen und Kon­tak­te vorhanden. Viele wer­den in einer Warte­posi­tion ge­hal­ten, weil sie nicht gleich in den Be­triebs­rat kommen, ver­lieren das Inter­esse und sind nicht mehr ein­zu­fangen. Das ist ein irr­sinni­ger Ver­lust an Poten­zial – auch damit sich die Be­triebs­räte weiter­ent­wickeln, jün­ger und dyna­mi­scher wer­den. 

(Mitarbeit: Theresa Goisauf)


WEBtipp

Tipp Symbolbild © AK Wien

Wie grün­det man einen Jugend­vertrauens­rat?

Spielst du mit dem Gedan­ken, selbst einen Jugend­vertrauens­rat in deinem Be­trieb zu grün­den? Hier findest du kompakte Infos, wie das funktioniert, und wo du dir Unter­stützung holen kannst. 

 

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