Tugba: Ich (22) bin für Wiener Netze im Büro tätig und wollte gar keine Jugendvertrauensrätin sein. Ich wusste nicht, was meine Aufgaben wären, und war als Lehrling schüchtern. Zwei Kolleginnen, die das bereits gemacht hatten, haben mich mit 19 davon überzeugt – und ich habe mich darauf eingelassen. Mein Arbeitsalltag hat sich seitdem komplett verändert, von Seminaren zu Sitzungen und Veranstaltungen bis hin zu Demos.
Tina: Bei mir in der Firma ist der Jugendvertrauensrat (JVR) zum ersten Mal gegründet worden. Ich (21) habe vor zwei Jahren die Tischler-Lehre bei Neudörfler Büromöbel abgeschlossen. Man ist auf mich zugekommen, als ich noch Lehrling war; ich wollte zuerst informiert werden und nicht gleich einsteigen. Dann dachte ich mir, das ist genau das Richtige, weil ich mich für Jugendliche schon immer einsetzen wollte. Das ist durch die ersten Seminare und Erfahrungen immer besser geworden. Ich bin jetzt die dritte Periode Jugendvertrauensrätin.
Chiara-Alena: Bei mir war es auch so, dass ich da hineingerutscht bin. Ich (23) schließe gerade eine Lehre für Mechatronik und Fertigungstechnik bei der AUA ab. Als ich angefangen habe, sind die anderen Lehrlinge mit Fragen zu mir gekommen. Ich war so etwas wie eine Ansprechperson. Vor der JVR-Wahl 2020 habe ich mir gedacht: Wenn ich das selbst wäre, hätte ich mehr Freiheiten. Wenn wer Hilfe braucht, kann man das in der Arbeitszeit machen. Und man hat eine andere Argumentationsgrundlage, als wenn man Kolleg:innen vorschicken muss. Jetzt ist es meine zweite Periode.
Tugba: Wir konnten im letzten Jahr Diensthandys für Lehrlinge durchsetzen – und das Top-Jugend-Ticket. Das ist eine erhebliche Erleichterung. Super war, dass uns dabei der Betriebsrat unterstützt hat. Wenn’s einem Lehrling nicht gut geht in einer Abteilung, können wir mithelfen, eine Lösung zu finden. Lehrlinge werden nicht alleingelassen, weil wir eine Art Schutzfunktion haben. Wichtig ist, dass sich die Lehrlinge beim JVR wohl fühlen, damit sie offen ansprechen, was sie bedrückt – ohne dass es Konsequenzen gibt.
Chiara-Alena: Man ist einerseits Sprachrohr für Lehrlinge, die ein Problem haben. Durch die Gewerkschaftskurse kennen wir uns vielleicht besser aus als Lehrlinge, die diese Kurse nicht besuchen. Oder wir erkundigen uns für sie beim Betriebsrat. Andererseits sind wir oft Zuhörer:innen. Zum Beispiel wenn ein Lehrling mit 15 zum ersten Mal im Internat ist und Heimweh hat. Das ist schon fast Mentor-Arbeit. In heikleren Fällen, wenn jemand Zweifel hat, ob es die geeignete Ausbildung ist, wenn jemand Schwierigkeiten mit Vorgesetzten oder Arbeitskolleg:innen hat – dann muss man zur höheren Instanz gehen.
Tina: Der JVR ist genauso jugendlich wie die Lehrlinge, du kommunizierst auf der gleichen Ebene miteinander. Ein großes Thema war bei uns zu Beginn der Corona-Zeit die Frage der Kurzarbeit: Viele kannten sich damit nicht aus. Es gab Gerüchte unter Lehrlingen, dass sie statt Kurzarbeit regelmäßig Urlaub nehmen sollten…
Tina: Überhaupt nicht! Aber zwei Lehrlinge haben mich angesprochen, hatten Angst – ich hab‘ versucht, sie zu beruhigen, „macht euch keinen Kopf“, habe bei meinen Kontakten Erkundigungen eingeholt und sie informiert.
Der Jugendvertrauensrat ist die Interessenvertretung von Lehrlingen und jungen Arbeitnehmer:innen. Seit 1972 gibt es das Jugendvertrauensrätegesetz, in dem alle Rechte und Pflichten, aber auch die Details zur Wahl oder Funktionsperiode geregelt sind.
Mehr Infos findest du bei der ÖGJ (Österreichische Gewerkschaftsjugend). Hier kannst du auch das Handbuch "How 2 JVR" kostenlos herunterladen.
Tugba Ünal, Jugendvertrauensrätin, Wiener Netze
Tugba: Unser Konzern versucht bewusst, junge Frauen für eine technische Lehre anzuwerben und das attraktiv zu machen.
Chiara-Alena: Wir sind von insgesamt 30 Lehrlingen fünf Mädchen, die sehr gefördert werden. Wir schauen, dass wir den JVR beliebt machen und stellen uns spätestens am zweiten Tag der Lehre vor und erklären, was wir tun.
Tina: Im JVR habe ich seit der letzten Periode tatsächlich eine Stellvertreterin. Die Burschen haben uns den Vortritt gelassen. Wir sind sechs Frauen inklusive der Lehrlinge – und es interessieren sich immer mehr Mädchen für unseren Beruf.
Tina: Wir werden immer mehr Mitglieder, das wird für die Jugendlichen immer interessanter. Daher glaube ich, dass es den JVR auf jeden Fall in zehn Jahren noch geben wird. Ich bin auch seit eineinhalb Jahren Betriebsratsmitglied, weil man mich überzeugt hat, dass ich für die Jungen eine wichtige Vertreterin bin.
Tugba: Der JVR hat bewiesen, wie wichtig es ist, dass es ihn auch in Zukunft gibt. Er ja so etwas wie das Pendant zum Betriebsrat. Ein Lehrling mit 15 wird sich eher an jemanden wenden, der altersmäßig in der Nähe ist.
Chiara-Alena: Den JVR wird es definitiv weiterhin geben. Erstens ist die Unterstützung durch die Gewerkschaften groß. Und Jugendliche sind immer besser informiert: Sobald sie sehen, ihr Unternehmen hat keinen JVR, wollen sie einen gründen. Verbesserungsbedarf gibt es beim Übergang zum Betriebsrat. Die Perioden sind unterschiedlich lange. Wir haben gute Leute als Jugendvertrauensrät:innen aufgebaut, da sind Erfahrung, Wissen und Kontakte vorhanden. Viele werden in einer Warteposition gehalten, weil sie nicht gleich in den Betriebsrat kommen, verlieren das Interesse und sind nicht mehr einzufangen. Das ist ein irrsinniger Verlust an Potenzial – auch damit sich die Betriebsräte weiterentwickeln, jünger und dynamischer werden.
(Mitarbeit: Theresa Goisauf)
Spielst du mit dem Gedanken, selbst einen Jugendvertrauensrat in deinem Betrieb zu gründen? Hier findest du kompakte Infos, wie das funktioniert, und wo du dir Unterstützung holen kannst.