Kerstin Jerchel: Wir haben dazu den § 119 im Betriebsverfassungsgesetz. Er sieht Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vor und gilt für die Behinderung oder Beeinflussung von Betriebsratswahlen, die Behinderung oder Störung von Tätigkeiten des Betriebsrats sowie die Benachteiligung oder Begünstigung von Mitgliedern des Betriebsrats. Das klingt möglicherweise beeindruckend, aber der Paragraph erweist sich in der Realität leider meist als zahnloser Tiger.
Kerstin Jerchel: Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. Viele trauen sich nicht, den eigenen Arbeitgeber anzuzeigen. Geschieht das doch, schleppen sich die Ermittlungsverfahren oft über lange Zeit. Oder sie werden bei den Staatsanwaltschaften von Strafrechtler:innen bearbeitet, die zu wenig vom Arbeitsrecht verstehen und ohnedies mit anderen Dingen überlastet sind. In der Praxis werden die meisten Verfahren wegen Geringfügigkeit ohne weitere Sanktionen eingestellt. Arbeitsminister Hubertus Heil möchte das Gesetz dahingehend ändern, dass die Behinderung von Betriebsratswahlen bzw. der Betriebsratsarbeit ein sogenanntes Offizialdelikt wird, das heißt künftig von Amts wegen, ganz ohne Anzeige, verfolgt werden soll. Das begrüßen wir. Zusätzlich braucht es auch mehr und adäquate Ressourcen. Wir verlangen die Bildung von personell gut ausgestatteten Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften. Hier müssen auch immer Arbeitsrechtler:innen dabei sein, die speziell für diese Fälle sachverständig sind und sie als Expert:innen dann rasch bearbeiten.
Kerstin Jerchel: Theoretisch könnte eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe verhängt werden. Praktisch erfolgt das selten. Wenn man da an die möglichen Geldbußen denkt, die nach der Datenschutzgrundverordnung bei Datenschutzverletzungen vorgesehen sind, nämlich bis zu 20 Millionen Euro, sieht man, dass tatsächlich noch sehr viel Luft nach oben ist. Wichtiger als Geldstrafen halte ich aber den Imageverlust, den Unternehmen erleiden, wenn ihre Störmanöver gegen Betriebsräte bzw. Betriebsratsgründungen publik werden, medial diskutiert und in Schranken gewiesen werden. Deshalb unsere Forderung nach der Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft und der Ausgestaltung des § 119 als Offizialdelikt.
Kerstin Jerchel: Wir erleben immer wieder, dass Unternehmen, die keine Betriebsräte haben wollen, nicht so schnell aufgeben. Erst versucht man, den Beschäftigten die Gründung eines Betriebsrats „auszureden“, auch indem der Arbeitgeber oft Leute aus dem eigenen Umfeld vorschiebt, die dann lautstark unter den Beschäftigten kundtun „einen Betriebsrat brauchen wir nicht.“ Lässt sich die Belegschaft davon nicht beirren, wird versucht, mit allen denkbaren Mitteln die Wahl selbst zu verhindern. Ein aktuelles Beispiel dafür ist hier bei uns die Ryanair-Tochter Malta-Air. Kommt es trotzdem zur Betriebsratswahl, werden unlautere Gerüchte über die Mitglieder des Betriebsrats gestreut, sie werden mürbe gemacht. Oder sie werden widerrechtlich gekündigt. Derartiges haben wir bei der Schuhladenkette Foot Locker erlebt.
Kerstin Jerchel, ver.di
Kerstin Jerchel: Ja, die Verabschiedung des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes, so heißt das Gesetz, war pandemiegetrieben. Wir waren froh, dass der Gesetzgeber endlich Bewegung in die Sache brachte und der Stillstand der letzten Jahrzehnte in Sachen Mitbestimmung beendet war. Aber das Gesetz blieb deutlich hinter unseren Erwartungen zurück.
Kerstin Jerchel: Die Verfahren zur Wahl eines Betriebsrats wurden teils vereinfacht und die Anfechtungsmöglichkeiten der Wahl erschwert. Initiator:innen von Betriebsratswahlen sind nun etwas besser vor Kündigungen geschützt als bislang. Aber sie haben noch immer keinen umfassenden Kündigungsschutz. Arbeitgeber können nach wie vor Initiator:innen von Betriebsratswahlen aus – gegebenenfalls vorgeschobenen - betriebsbedingten Gründen kündigen. Positiv an dem Gesetz ist, dass sich Betriebsräte nun bei der Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz im Unternehmen einfache externe Sachverständige organisieren können, die vom Arbeitgeber bezahlt werden müssen. Virtuelle Sitzungen des Betriebsrats, die zunächst nur für die Zeit der Pandemie eingeführt wurden, sind nun ins Dauerrecht übernommen worden. Allerdings haben Präsenzsitzungen immer noch den Vorrang. Was mobile Arbeit anbelangt, so ist im Gesetz nun festgelegt, dass der Betriebsrat bei der Ausgestaltung mitbestimmen kann. Nach wie vor nicht mitbestimmen kann der Betriebsrat aber bei der Frage, ob mobile Arbeit im Unternehmen überhaupt eingeführt wird oder nicht.
Kerstin Jerchel: Vielen Mitarbeiter:innen in betriebsratslosen Betrieben ist gar nicht bewusst, dass es in jedem Betrieb mit mindestens fünf Beschäftigten eigentlich eine gesetzliche Pflicht ist, einen Betriebsrat zu wählen. Daraus ist die Idee entstanden, Arbeitgeber zu verpflichten, die Beschäftigten zu informieren, dass ein Betriebsrat gewählt werden soll. Zusätzlich ist es wichtig, die Wahl eines Betriebsrats so einfach und schnell wie möglich zu gestalten und alle, die an einer Wahl beteiligt sind, umfassend vor Kündigungen und Schikanen zu schützen Das sind die Ziele, die wir erreichen wollen.