Für Aufsehen sorgte im März 2022 die Nachricht des österreichischen Finanzunternehmens Bitpanda: Alle Beschäftigten dürfen so viel Urlaub nehmen, wie sie wollen. Das Start-up wolle mit diesem Schritt nicht nur flexibler bei der Urlaubsgestaltung, sondern auch attraktiv für neue Mitarbeiter:innen werden. Endlich mehr Urlaub! Die normalen fünf Wochen pro Jahr sind sowieso viel zu knapp. Dennoch kommt man nicht umhin zu fragen: „Wo ist da wohl der Haken?“
Bitpanda ist nicht das erste Unternehmen, das mit unbegrenztem Urlaub experimentiert. Beim Streaming-Dienst Netflix ist diese Praxis schon lange Standard. Das Ergebnis dort ist aber nicht, dass die Mitarbeiter:innen mehr Urlaub nehmen. Im Gegenteil. Aus Angst um den eigenen Karrierefortschritt gehen Beschäftigte sogar weniger auf Urlaub als in Betrieben mit fixem Urlaubsbudget.
In Deutschland gab das Berliner Unternehmen Travis CI dieses Modell schon kurz nach Einführung wieder auf. Die dortigen Angestellten wussten nicht, wie viel Urlaub „in Ordnung“ sei und nahmen daher weniger oder gar keine Urlaubstage.
Der Schmäh mit dem unbegrenzten Urlaub ist in erster Linie ein Marketing-Trick. Die anfängliche Illusion von selbstbestimmter Balance zwischen Arbeit und Freizeit entpuppt sich rasch als ein modernes Werkzeug zur intensiveren Ausbeutung der Arbeitskraft. Der Druck, mehr zu arbeiten, geht nicht mehr unmittelbar von der Chefetage aus, sondern von der Konkurrenz zwischen den Beschäftigten. Wer weniger Urlaub nimmt als die Kolleg:innen könnte möglicherweise bessere Karten bei Gehaltsverhandlungen oder beim Karrierefortschritt haben.
Wenn uns als Gesellschaft die sogenannte Work-Life-Balance, also das Gleichgewicht zwischen Beruf und Freizeit, wirklich am Herzen liegt, dann gibt es bessere Modelle als „unbegrenzter Urlaub“. Die Einführung einer allgemeinen sechsten Urlaubswoche und das schrittweise Senken der Arbeitszeit auf 32 Stunden pro Woche, bei vollem Lohnausgleich, sind meine Favoriten.