Eva Zeglovits: Mit dem Begriff Ehrenamt verbinden viele ein Engagement, das außerhalb der Erwerbsarbeit stattfindet. Dazu kommt, dass Betriebsratsarbeit an sich eine starke Innenwirkung hat. Betriebsrät:innen stehen in der Regel mit ihrer Arbeit nicht im Licht der Medien. Selbst im Betrieb sehen die Kolleg:innen nicht immer, wieviel Arbeit dahintersteckt, etwa wenn die Betriebsrät:innen mit der Geschäftsführung verhandeln. Sie machen Arbeit, die oft keiner sieht.
Eva Zeglovits, IFES-Geschäftsführerin
Eva Zeglovits: Das Engagement hängt stark von den Ressourcen ab, die jemand zur Verfügung hat. Bei einer formellen freiwilligen Tätigkeit wie der Betriebsratsarbeit gehört dazu sicher auch, ob man sich sprachlich gut ausdrücken kann und ob man sich rechtlich gut auskennt. Dabei geht es oft gar nicht so um den tatsächlichen Wissensstand, sondern um die Selbsteinschätzung. Also ob man sich die Aufgabe zutraut. Und natürlich ist Zeit ein wesentlicher Faktor. Zwar ist rechtlich festgelegt, dass die Betriebsratsarbeit innerhalb der Arbeitszeit erfolgen soll, aber wir wissen, dass Betriebsrät:innen oft auch in der Freizeit im Einsatz sind. Für jene, die neben der Arbeit noch zuhause Kinder versorgen müssen oder pflegebedürftige Angehörige, ist es schwieriger, sich zusätzlich im Betriebsrat zu engagieren.
Eva Zeglovits: Da gibt es unterschiedliche Hebel. Zum Beispiel Mentoring-Systeme, um Frauen, Jüngere oder auch Beschäftigte mit Migrationshintergrund zu bestärken, sich diese Aufgabe zuzutrauen. Wichtig ist auch, den Beschäftigten zu verdeutlichen, weshalb die Arbeit des Betriebsrats so wichtig ist, um das Interesse zu wecken. Wenn man klarmacht, dass der Betriebsrat ein Team ist, und auch Beschäftigte mit geringerer zeitlicher Verfügbarkeit willkommen sind, kann dies ebenfalls helfen. Aber solange Frauen den Großteil der unbezahlten Arbeit leisten, ist es für sie strukturell schwieriger, sich noch zusätzlich im Betriebsrat zu engagieren.
Eva Zeglovits: Unsere Sonderauswertung des Arbeitsklimaindex aus 2020 bestätigt dieses Bild. Beschäftigte aus Betrieben mit Betriebsrat gaben bei dieser Erhebung zu einem weit größeren Anteil an, dass sie mit ihrem Einkommen auskommen als Beschäftigte ohne Betriebsrat. Das galt sowohl für Angestellte als auch für Arbeiter:innen.
Eva Zeglovits, IFES-Geschäftsführerin
Eva Zeglovits: Anhand der Erhebungen sieht man, dass die Betriebsräte diese Kontrollfunktion gut erfüllen – und für die Beschäftigten insgesamt offenbar mehr herausholen können als in Betrieben ohne Betriebsrat jede/r Einzelne für sich. Wer einen Betriebsrat hat, kann zudem wesentlich öfter auf betriebliche Sozialleistungen zählen.
Eva Zeglovits: Eine Kantine oder einen Essenszuschlag können 40 Prozent der Beschäftigten mit Betriebsrat nutzen, aber nur 13 Prozent der Beschäftigten ohne Betriebsrat. Auch einen betrieblichen Fahrtkostenzuschlag oder eine betriebliche Altersvorsorge gibt es weit häufiger in Betrieben mit Betriebsrat.
Eva Zeglovits: Bei Unternehmen derselben Größe zeigt sich: Wo es einen Betriebsrat gibt, können die Beschäftigten häufiger auf betriebliche Zusatzleistungen zurückgreifen. Auch bei den kleineren Betrieben mit 20 bis 99 Beschäftigten ist das der Fall.
Eva Zeglovits: Die Ergebnisse aus dem Arbeitsklimaindex von 2020 bestätigen das. Spannend ist, dass dieser Unterschied in Kleinbetrieben mit bis zu 50 Mitarbeiter:innen besonders ausgeprägt ist. In Unternehmen mit Betriebsrat ist die Teilnahme an Weiterbildung zudem egalitärer. Es kommen hier auch Beschäftigte mit formal niedriger Qualifikation zum Zug, während in Unternehmen ohne Betriebsrat bei der bezahlten Weiterbildung oft das Motto herrscht „Wer hat, dem wird gegeben“. In dem Sinne, dass jenen, die ohnedies hoch qualifiziert sind, in Betrieben ohne Betriebsrat häufiger eine zusätzliche Weiterbildung finanziert wird als Beschäftigten mit geringerer formaler Ausbildung.
Eva Zeglovits: Hoher Arbeitsdruck belastet die Beschäftigten in unserer schnell-lebigen Arbeitswelt. Beschäftigte mit Betriebsrat können fünfmal häufiger auf Maßnahmen zurückgreifen, die hier helfen können, zum Beispiel berufliches Coaching, Supervision oder Beratung. Dass der Unterschied derart eklatant ist, hat mich überrascht.
Eva Zeglovits: In Betrieben mit Betriebsrat erhielten Beschäftigte in Kurzarbeit häufiger eine freiwillige Aufzahlung durch den Arbeitgeber als in Betrieben ohne Betriebsrat. Auch beim Thema Home-Office konnten Betriebsräte durch das Aushandeln von Betriebsvereinbarungen für die Beschäftigten im Betrieb gute Regelungen schaffen.
Eva Zeglovits: Unsere Befragungen zeigen, dass in der Krise der Kontakt mit den Geschäftsführungen zugenommen hat – weil es eben Kurzarbeits-Vereinbarungen, Home-Office-Regelungen und Ähnliches auszuhandeln galt. Die Betriebsrät:innen selbst sagen auch, dass sie mit der Digitalisierung gut zurechtkommen. Schwieriger wurde es für sie jedoch, alle Gruppen der Beschäftigten gut zu erreichen. Diese Herausforderung bleibt bestehen, vor allem auch dort, wo Home-Office sehr unterschiedlich gelebt wird. Die einen arbeiten wieder die meiste Zeit im Betrieb, die anderen von zuhause. Die Kommunikation mit den Beschäftigten verläuft jetzt über mehr Kanäle als vor der Pandemie – und das wird auch in Zukunft so bleiben.
Eva Zeglovits: In der Kommunikation mit den Beschäftigten hat sich der Aufwand sicher vergrößert. Auch die Interessen der unterschiedlichen Beschäftigtengruppen im Betrieb sind noch heterogener geworden. Hier gute Lösungen für alle zu finden, ist eine Herausforderung. Zugleich haben viele Beschäftigte in der Krise erkannt, wie wichtig es ist, eine gewählte Vertretung im Betrieb zu haben. Alles verändert sich, eine Krise folgt auf die andere; da gibt es ein großes Bedürfnis, jemanden zu haben, der einem hilft und Lösungen aushandelt. Das wissen auch die Betriebsrät:innen und daher schaut die Mehrheit von ihnen durchaus motiviert und selbstbewusst in die Zukunft.