Vor hundert Jahren hat die Gewerkschaftskommission die Zeitschrift „Der Betriebsrat“ gegründet. Im Geleitwort der ersten Ausgabe heißt es: „Die Arbeit der Betriebsräte ist harte Tagesarbeit“. Umso wichtiger ist es, die Wirkung dieses Einsatzes zu eruieren.
Die Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) hat sich dieser Aufgabe gewidmet und nun die Daten des europaweiten European Working Conditions Survey (EWCS) ausgewertet.
Im Rahmen der EWCS-Erhebung 2015 wurden in Österreich 660 Beschäftigte aus der Privatwirtschaft mit und ohne Betriebsrat zu ihren Arbeitsbedingungen befragt. Einer der Studienautor:innen, Georg Adam von FORBA, und die Mitbestimmungsexpertin der AK, Ursula Filipič, nehmen im Interview zu den Ergebnissen der Studie Stellung.
Ursula Filipič, Mitbestimmungsexpertin AK Wien
Adam: Die Daten belegen, dass Betriebe mit Betriebsrat tendenziell besser bezahlen, eher ihren Beschäftigten eine Weiterbildung finanzieren und auch tendenziell längere Arbeitszeiten anbieten. Aus der Sekundärliteratur, die wir in unserer Studie zusätzlich berücksichtigt haben, geht hervor, dass Betriebe mit Betriebsrat tendenziell auch innovativer und produktiver sind und die Fluktuation geringer ist.
Adam: Betriebe mit Betriebsrat sind produktiver, weil durch die Einbindung des Betriebsrats die Beschäftigten adäquater eingesetzt werden. Motivierte Beschäftigte bringen ihr Know-how besser ein, die Leistung steigt. Dazu kommt die klassische Kontrollfunktion. Der Betriebsrat schaut darauf, dass die Einstufung korrekt ist und das Unternehmen adäquat bezahlt.
Zudem geht die Einführung eines Leistungslohnsystems nur mit Betriebsrat, ebenso braucht es teils Betriebsvereinbarungen bei der Einführung von Prämien und Bonuszahlungen. Und dann gibt es im Hochlohnsektor oft noch eine informelle zweite Lohnrunde unter Mitwirkung des Betriebsrates.
Filipič: Hier kommt eine Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, in der die hundert größten Konzerne Europas analysiert wurden, zu dem Ergebnis, dass die Einkommensspreizung zwischen den Manager:innengagen und den durchschnittlichen Einkommen der Beschäftigten in Unternehmen mit Betriebsrat geringer ist. Der Betriebsrat hat hier eine egalisierende Funktion.
Adam: Bei den Daten zu den hard facts, von der Einkommenshöhe bis zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sind die Ergebnisse ganz eindeutig. Sie belegen den Vorteil der Existenz eines Betriebsrats.
Bei den weicheren Faktoren sind die Ergebnisse weniger eindeutig und schwieriger zu interpretieren. Offenbar löst die Existenz eines Betriebsrats in manch traditionellem Familienbetrieb Irritation aus. Da gibt es teils Vorbehalte, nach dem Motto, ein Betriebsrat sei ein Indiz für Konflikte.
Hier gibt es Lernbedarf bei manchen Chefs. Denn die hard facts zeigen, dass die Existenz eines Betriebsrats eher ein Zeichen eines gut funktionierenden, transparenten Umgangs miteinander ist.
Filipič: Mich hat an den Ergebnissen des EWCS, aber auch bei anderen Studien überrascht, wie stark die positiven Auswirkungen des Betriebsrats sind. Und zwar auf alle Faktoren, die für „gute Arbeit“ wichtig sind. Von den höheren Einkommen über die größere Autonomie der Beschäftigten bis zum besseren Arbeitsschutz.
Der Betriebsrat in seiner Schutz- und Kontrollfunktion wacht über die Einhaltung der Gesetze. Zugleich sind Betriebsrät:innen wichtige Akteur:innen von Solidarität. Die Studienergebnisse zeigen: Gemeinsam erreicht man mehr als wenn jeder nur auf sich schaut.
Adam: In Großbetrieben im Dienstleistungssektor arbeiten die Beschäftigten mit Betriebsrat teils deutlich länger. Erklärungen sind schwierig ohne Zusatzinfo. Angesichts der Tatsache, dass im Dienstleistungssektor eher Niedriglohnbranchen mit einem hohen Frauenanteil angesiedelt sind, wäre denkbar, dass es mit Betriebsrat den Beschäftigten eher gelingt, auf ein höheres Stundenausmaß zu kommen, anstatt Teilzeit mit geringem Stundenausmaß zu arbeiten.
Ziel ist ja, dass die Beschäftigten von ihrem Einkommen leben können. Eindeutig sind die Ergebnisse bei der Work-Life-Balance in kleinen und mittleren Unternehmen. Hier zeigen sich die Beschäftigten mit Betriebsrat weit stärker sehr zufrieden als in nicht-mitbestimmten Betrieben.
Filipič: Wo es einen Betriebsrat gibt, wird er auch von den Führungskräften sehr geschätzt. 92 Prozent der befragten Führungskräfte aus Österreich sagen in der Europäischen Unternehmenserhebung, sie vertrauen dem Betriebsrat. Die überwältigende Mehrheit hat erkannt, dass die Einbindung des Betriebsrats zu mehr Engagement und besserer Arbeitsleistung der Beschäftigten führt. Achtzig Prozent lehnen zudem das Vorurteil, der Betriebsrat agiere als Blockierer, ab.
Filipič: Manche Geschäftsführer sagen, dass sie die direkte Kommunikation mit den Beschäftigten bevorzugen. Dabei schließt das eine das andere nicht aus. In puncto Mitbestimmung hat übrigens auch die OECD, die bislang nicht als Verfechterin der Mitbestimmung und des überbetrieblichen sozialen Dialogs galt, umgeschwenkt.
Filipič: In der Studie „Gemeinsam zum Erfolg“ aus 2019 hat die OECD minutiös sozialwissenschaftliche Daten analysiert. Ihre Bilanz lautet, dass zentral koordinierte Kollektivvertragssysteme, kombiniert mit betrieblicher Mitbestimmung zu höheren Beschäftigungsquoten und niedrigerer Arbeitslosigkeit führen. Betriebliche Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft beeinflussen die Beschäftigungsqualität positiv. Die OECD empfiehlt daher eine Ausweitung und Stärkung von Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung.
Adam: Betriebsräte haben vielfältige Aufgaben. Vor allem Fragen rund um die Digitalisierung und technologische Neuerungen sind sehr fordernd. Hier rate ich, sich selbstbewusst externe Unterstützung zu holen, von den Gewerkschaften, der AK oder uns anstatt sich in die Rolle des Fachexperten drängen zu lassen. Denn als Betriebsrat braucht man ausreichend Zeit und Kraft, um abseits von Detailfragen die Interessen der Beschäftigten gut zu vertreten.
Filipič: Die von den Sozialpartnern ausgehandelte und mithilfe der Betriebsräte umgesetzte Kurzarbeit hat bewirkt, dass während der Corona-Krise bis zu 1,3 Millionen Menschen die Arbeitslosigkeit erspart wurde. Sobald die Pandemie medizinisch überwunden ist, wird es darum gehen, wer für die Kosten der Krise aufkommt. Wir brauchen starke Betriebsräte und eine starke Gewerkschaftsbewegung, weil sich die Verteilungsfrage massiv stellen wird. Kollektives und solidarisches Handeln ist wichtiger denn je.
Die Auswertung einer Beschäftigtenbefragung durch FORBA zeigt: Unternehmen mit Betriebsrat zahlen tendenziell höhere Einkommen, investieren mehr in die Weiterbildung ihrer Beschäftigten und ermöglichen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.