Das Wort Betriebsrat klingt für manche vielleicht altbacken“, erklärt Jakob Luger und schmunzelt. Der Referatsleiter im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) weiß, wovon er spricht. Immerhin hat er maßgeblich an erfolgreichen Kampagnen zur Aktivierung von neuen Betriebsratsmitgliedern beigetragen. Was aber macht die Arbeit im Gremium attraktiv – und wie gewinnt man Nachwuchs?
Diese Frage drängt auch deshalb, weil es in den nächsten Jahren zu einem Generationenwechsel kommen wird. Die Babyboomer gehen bald in Pension – und damit werden auch viele Betriebsrät:innen ihre Funktionen zurücklegen. Es braucht permanent neue Personen, die sich für das Amt begeistern. Doch das ist gar nicht so einfach. Zum einen, weil man nicht mit Ruhm, Geld oder Karrierechancen locken kann. Zum anderen sind die aktuellen Zeiten nicht die einfachsten, erklärt Luger, der das ÖGB-Referat Organisation, Koordination, Service leitet.
„In Phasen, in denen es wirtschaftlich schwierig ist, haben Menschen mehr Sorgen um ihren Arbeitsplatz und ihre Existenz.“ Allerdings führt ein prekäres Leben dazu, dass Betroffene sich oftmals aus Angst zurückziehen. Gleichzeitig haben sich die Arbeitsverhältnisse verändert. „Durch Homeoffice-Regelungen gerade im stark wachsenden Dienstleistungsbereich sehen die Menschen einander weniger. Es fehlt an echten Begegnungsräumen.“ Mit Folgen für den Gemeinschaftssinn: Wer sich seltener sieht und spürt, wird sich auch nicht so oft gemeinschaftlich organisieren.
„Die Leute werden nicht deshalb Betriebsratsmitglied, weil sie die Welt im Alleingang retten wollen. Sondern weil sie ihren Kolleg:innen im Betrieb ganz konkret helfen möchten.“
Jakob Luger, ÖGB
Doch genau darum geht es: um die Motivation, für andere Probleme zu lösen. „Das hat unsere Forschung gezeigt. Meistens sind es konkrete Gründe, warum sich Personen für eine Kandidatur als Betriebsrätin oder Betriebsrat entscheiden“, weiß Luger. „Trotz der widrigen Umstände ist der Wunsch nach politischer Partizipation bei vielen Menschen ungebrochen stark. Dem ÖGB und den Gewerkschaften gelingt es jährlich, neue Betriebe zu organisieren.“ Ein Erfolg. Doch „Held:innen-Motive“ spielen dabei eine überschaubare Rolle. „Die Leute werden nicht deshalb Betriebsratsmitglied, weil sie die Welt im Alleingang retten wollen. Sondern weil sie ihren Kolleg:innen im Betrieb ganz konkret helfen möchten. Sie wollen sich für andere einsetzen und die starke Stimme für ihre Kolleg:innen sein“, erklärt Luger.
Auch Verena Kollars kann das bestätigen. Die Sozialwisseschaftlerin hat 2024 in ihrer Masterarbeit die Motive für eine Kandidatur untersucht. „Es gibt zwei Hauptfaktoren: Eigeninitiative und Recruiting.“ Wer sich aus Eigeninitiative zur Wahl stellt, kommt oft schon aus einem gewerkschaftlich geprägten Haushalt, so Kollars. „Da war der Vater Betriebsrat oder man war schon als Kind beim Maiaufmarsch. Manche wollen auch einfach ein konkretes Problem im Betrieb lösen.“ Es sind meistens Männer, die sich aus eigener Motivation zur Wahl stellen, so Kollars. Über gezieltes Recruiting erreicht man andere Personen, gerade Gruppen, die im Betriebsrat oft unterrepräsentiert sind: Frauen, Migrant:innen und Beschäftigte unter 30 Jahren.
„Es gibt zwei Hauptfaktoren für eine Kandidatur für den Betriebsrat: Eigeninitiative und Recruiting.“
Verena Kollars, Sozialwissenschaftlerin
„Andere Leute motivieren Leute!“, weiß auch Jakob Luger. „Wenn jemand noch nicht kandidiert hat, liegt das an erster Stelle daran, dass sie oder er noch nicht gefragt wurde.“ Gerade bei Frauen zeigt sich, dass die Hemmschwelle viel größer ist. „Natürlich spiegelt das auch gesellschaftliche Probleme wider: Frauen übernehmen mehr unbezahlte Care-Arbeit und haben es dadurch schwerer, ein zusätzliches Amt zu übernehmen“, so der Experte.
Verena Kollars hat das in ihren Forschungsinterviews oft erlebt. „Eine Betriebsrätin erzählte mir, dass sie viermal gefragt wurde, bevor sie erstmals zusagte.“ Dranzubleiben lohnt sich also. Denn Frauen stellen sich vermehrt Fragen wie: Habe ich genug Zeit? Genug Kompetenz? Und genug Wissen? Hier Sorgen zu nehmen, sei wichtig. Aber auch das Potenzial heauszustreichen: Wer selbst in Teilzeit die Vereinbarkeit mit Job und Kindern jonglieren muss, kann besser auf Beschäftigte in ähnlichen Situationen eingehen.
In ihrer Untersuchung fand Kollars zudem heraus, dass es beim Recruiting von Migrant:innen oder jüngeren Beschäftigten oft hilft, auf Bedenken wie mangelnde Sprachkompetenz oder geringe Berufserfahrung einzugehen. Gerade Migrant:innen sind häufig ein Sprachrohr zu Beschäftigten, die sonst nur schwer erreicht werden.
Wie in jeder Führungsverantwortung geht es also auch im Betriebsrat darum, den Nachwuchs gezielt aufzubauen. „Das schaffe ich nicht über Anreize wie Geld, Macht oder Ansehen, sondern indem ich die Leute intrinsisch motiviere: Du kannst jemand sein, der oder die sich für andere einsetzt“, weiß Luger. Immerhin ist die Betriebsratsarbeit ein Ehrenamt – und das im wahrsten Sinne des Wortes.