Neue Betriebsratsmitglieder, Fernrohr © beast01 - stock.adobe.com


Weitblick

Neue Betriebsratsmitglieder: 
Wer kandidiert – und warum (nicht)?

Im Betriebsrat stellt sich die Nachwuchs­frage. Doch es ist derzeit nicht einfach, neue Mitglieder zu gewinnen. Worauf es beim Recruiting ankommt und wie man Bedenken nimmt – wir haben nachgefragt.

Delna Antia-Tatić
25.08.2025

Das Wort Betriebs­rat klingt für manche vielleicht altbacken“, erklärt Jakob Luger und schmunzelt. Der Referats­leiter im Österreichischen Gewerkschafts­­bund (ÖGB) weiß, wovon er spricht. Immerhin hat er maßgeblich an erfolgreichen Kampagnen zur Aktivierung von neuen Betriebsrats­mitgliedern beigetragen. Was aber macht die Arbeit im Gremium attraktiv – und wie gewinnt man Nachwuchs?

Diese Frage drängt auch deshalb, weil es in den nächsten Jahren zu einem Generationen­wechsel kommen wird. Die Babyboomer gehen bald in Pension – und damit werden auch viele Betriebs­rät:innen ihre Funktionen zurücklegen. Es braucht permanent neue Personen, die sich für das Amt begeistern. Doch das ist gar nicht so einfach. Zum einen, weil man nicht mit Ruhm, Geld oder Karriere­chancen locken kann. Zum anderen sind die aktuellen Zeiten nicht die einfachsten, erklärt Luger, der das ÖGB-Referat Organisation, Koordination, Service leitet.

Keine „Held:innen-Motive“ für die Betriebsratskandidatur

„In Phasen, in denen es wirtschaftlich schwierig ist, haben Menschen mehr Sorgen um ihren Arbeitsplatz und ihre Existenz.“ Allerdings führt ein prekäres Leben dazu, dass Betroffene sich oftmals aus Angst zurückziehen. Gleichzeitig haben sich die Arbeits­verhältnisse verändert. „Durch Homeoffice-Regelungen gerade im stark wachsenden Dienst­leistungs­bereich sehen die Menschen einander weniger. Es fehlt an echten Begegnungs­räumen.“ Mit Folgen für den Gemein­schafts­sinn: Wer sich seltener sieht und spürt, wird sich auch nicht so oft gemein­schaftlich organisieren.


Jakob Luger, Leiter des ÖGB-Referats Organisation, Koordination, Service © Wallentin
Jakob Luger, Leiter des ÖGB-Referats Organisation, Koordination, Service © Wallentin

Die Leute werden nicht deshalb Betriebs­rats­mitglied, weil sie die Welt im Allein­gang retten wollen. Sondern weil sie ihren Kolleg:in­nen im Betrieb ganz konkret helfen möchten.


Jakob Luger, ÖGB

Doch genau darum geht es: um die Motivation, für andere Probleme zu lösen. „Das hat unsere Forschung gezeigt. Meistens sind es konkrete Gründe, warum sich Personen für eine Kandidatur als Betriebsrätin oder Betriebsrat entscheiden“, weiß Luger. „Trotz der widrigen Umstände ist der Wunsch nach politischer Partizipation bei vielen Menschen ungebrochen stark. Dem ÖGB und den Gewerk­schaften gelingt es jährlich, neue Betriebe zu organisieren.“ Ein Erfolg. Doch „Held:innen-Motive“ spielen dabei eine über­schaubare Rolle. „Die Leute werden nicht deshalb Betriebs­rats­mitglied, weil sie die Welt im Alleingang retten wollen. Sondern weil sie ihren Kolleg:innen im Betrieb ganz konkret helfen möchten. Sie wollen sich für andere einsetzen und die starke Stimme für ihre Kolleg:innen sein“, erklärt Luger.

Zwei Hauptfaktoren

Auch Verena Kollars kann das bestätigen. Die Sozialwisseschaftlerin hat 2024 in ihrer Masterarbeit die Motive für eine Kandidatur untersucht. „Es gibt zwei Hauptfaktoren: Eigen­initiative und Recruiting.“ Wer sich aus Eigen­initiative zur Wahl stellt, kommt oft schon aus einem gewerkschaftlich geprägten Haushalt, so Kollars. „Da war der Vater Betriebsrat oder man war schon als Kind beim Maiaufmarsch. Manche wollen auch einfach ein konkretes Problem im Betrieb lösen.“ Es sind meistens Männer, die sich aus eigener Motivation zur Wahl stellen, so Kollars. Über gezieltes Recruiting erreicht man andere Personen, gerade Gruppen, die im Betriebsrat oft unter­repräsentiert sind: Frauen, Migrant:innen und Beschäftigte unter 30 Jahren.


Verena Kollars, Sozialwissenschaftlerin © Fotostudio Wilke
Verena Kollars, Sozialwissenschaftlerin © Fotostudio Wilke

Es gibt zwei Haupt­faktoren für eine Kandi­datur für den Betriebs­rat: Eigen­initiative und Recruiting.


Verena Kollars, Sozialwissenschaftlerin


„Andere Leute motivieren Leute!“, weiß auch Jakob Luger. „Wenn jemand noch nicht kandidiert hat, liegt das an erster Stelle daran, dass sie oder er noch nicht gefragt wurde.“ Gerade bei Frauen zeigt sich, dass die Hemm­schwelle viel größer ist. „Natürlich spiegelt das auch gesell­schaftliche Probleme wider: Frauen übernehmen mehr unbezahlte Care-Arbeit und haben es dadurch schwerer, ein zusätzliches Amt zu übernehmen“, so der Experte.

Dranbleiben lohnt sich

Verena Kollars hat das in ihren Forschungs­interviews oft erlebt. „Eine Betriebs­rätin erzählte mir, dass sie viermal gefragt wurde, bevor sie erstmals zusagte.“ Dranzu­bleiben lohnt sich also. Denn Frauen stellen sich vermehrt Fragen wie: Habe ich genug Zeit? Genug Kompetenz? Und genug Wissen? Hier Sorgen zu nehmen, sei wichtig. Aber auch das Potenzial heaus­zustreichen: Wer selbst in Teilzeit die Verein­barkeit mit Job und Kindern jonglieren muss, kann besser auf Beschäftigte in ähnlichen Situationen eingehen.

In ihrer Unter­suchung fand Kollars zudem heraus, dass es beim Recruiting von Migrant:innen oder jüngeren Beschäftigten oft hilft, auf Bedenken wie mangelnde Sprach­kompetenz oder geringe Berufs­erfahrung einzugehen. Gerade Migrant:innen sind häufig ein Sprachrohr zu Beschäftigten, die sonst nur schwer erreicht werden.

Wie in jeder Führungs­verantwortung geht es also auch im Betriebsrat darum, den Nachwuchs gezielt aufzubauen. „Das schaffe ich nicht über Anreize wie Geld, Macht oder Ansehen, sondern indem ich die Leute intrinsisch motiviere: Du kannst jemand sein, der oder die sich für andere einsetzt“, weiß Luger. Immerhin ist die Betriebsrats­arbeit ein Ehrenamt – und das im wahrsten Sinne des Wortes.

gut zu wissen

Neue Mitglieder für den Betriebsrat motivieren 

  • Wer nicht fragt, der nicht gewinnt: Gerade Personen, die nicht aus Eigeninitiative kandidieren würden, erreicht man durch gezieltes Ansprechen und Ermutigen. 

  • Bedenken nehmen: Zu wenig Zeit, zu wenig Wissen – es gibt viele Sorgen, warum manche Menschen sich nicht im Betriebsrat sehen. Dranbleiben lohnt sich. 

  • Teamplay: Man muss nicht alles können oder wissen, gerade diverse Teams machen das Gremium effektiv.  

  • Auf die richtigen Anreize setzen: Eine starke Stimme für die Kolleg:innen zu sein und bei Problemen konkret zu helfen. Ein wahres „Ehrenamt“!


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