Unter dem Titel „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“ diskutierten Daniela Brodesser von der Gemeinwohlstiftung COMÚN und Karin Heitzmann von der Wirtschaftsuniversität Wien bei der Vollversammlung der AK Wien am 9. November gemeinsam mit den Kammerrät:innen, was es bedeutet arm zu sein.
„Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“ Was Bert Brecht vor rund 90 Jahren dichtete, ist heute wieder deutlicher denn je zu bemerken. Während Hundertausende Menschen nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen, werden einige wenige immer reicher.
Wenn ich hungrig bin, dann esse ich. Wenn mir kalt ist, dann heize ich meine Wohnung ein. Diese scheinbar einfachen Erkenntnisse bereiten 1,5 Millionen Menschen in Österreich regelmäßig Kopfzerbrechen. Sie gelten als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Die aktuell steigenden Preise treiben noch mehr Menschen in die Armutsfalle.
Wer sich dauerhaft das Leben nicht mehr leisten kann, der ist mit zwei persönlichen Herausforderungen konfrontiert. Einerseits macht Armut krank. Menschen bekommen Schlafstörungen, entwickeln eine Konzentrationsschwäche und befinden sich im Dauerstress. Die Gedanken drehen sich um die Stromrechnung, die Miete oder ob das eigene Kind am Schulausflug teilnehmen kann. Andererseits macht Armut stumm. Niemand spricht gerne darüber, arm zu sein. Daniela Brodesser, die selbst in der Armutsspirale war, kritisiert dabei den öffentlichen Diskurs: „Als Armutsbetroffene wirst du in Österreich abgestempelt. Du giltst als arbeitsunwillig oder bemühst dich angeblich nicht genug. Du passt nicht in das Bild der Leistungsgesellschaft.“
Karin Heitzmann (WU) und Daniela Brodesser (COMÚN)
Armutsbetroffene sind damit beschäftigt, wie sie den Alltag meistern können. Für politische Teilhabe oder ehrenamtliches Engagement gibt es da keinen Platz. Abgesehen davon, dass viele aufgrund der fehlenden österreichischen Staatsbürgerschaft von Wahlen ausgeschlossen sind, gibt es von der Politik kaum glaubhafte Angebote an Armutsbetroffene. Das ist demokratiepolitisch gefährlich, da eine Minderheit an reichen Menschen scheinbar überproportional viel politischen Einfluss hat.
Beide Expertinnen sind sich einig, dass der Staat eine stärkere Rolle bei der Armutsbekämpfung spielen muss. Dabei geht es nicht nur um treffsichere Beihilfen und Unterstützungszahlungen, sondern auch um einen Ausbau des sozialen Wohnbaus. Für Heitzmann führt der Weg der Finanzierung über Erbschafts- und Vermögenssteuern. „Diese Steuern sind ein Gebot der Gerechtigkeit. Umfragen in Österreich zeigen, dass eine Mehrheit für Erbschafts- und Vermögenssteuern ist. Allerdings fehlt hier der politische Wille zur Umsetzung.“
„Das macht mich inzwischen richtig zornig. Auf der einen Seite die steigende Armut, auf der anderen Seite dieser enorme, völlig nutzlose Reichtum“, machte auch AK-Präsidentin Anderl in ihrer Rede bei der Vollversammlung kein Hehl aus ihrem Unmut. Denn es nutze ja niemandem, wenn irgendwo Millionen und Milliarden gebunkert seien. Das vierte Auto, die dritte Yacht, die zweite Wochenend-Villa, das sei alles völlig nutzlos. „Dieser nutzlose Reichtum muss sich jetzt endlich nützlich machen.“
Um auf das Problem aufmerksam zu machen, schickte die AK-Präsidentin im Vorfeld der Tagung des AK-Parlaments Post an die hundert reichsten Österreicher:innen. „Ich habe ihnen geschrieben, dass sie gemeinsam so viel Geld haben wie 5,5 Millionen Menschen gemeinsam. Ich fordere sie auf, sich für mehr Steuergerechtigkeit einzusetzen.“ Denn es gehe darum, den Sozialstaat abzusichern und zu verbessern, die Armut zu bekämpfen und die aktuellen Krisen mit Beiträgen aller zu bewältigen.
Wir haben uns bei der AK-Vollversammlung unter den Abgeordneten des AK-Parlaments umgehört und ein paar Stimmen zum Thema Armut und Armutsbekämpfung eingefangen.
„Die hohen Wohnkosten sind alarmierend. Manche Menschen geben bereits 60 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus. Da muss sich etwas ändern.“
Yusuf Uyar von der Liste Perspektive
„Wir sind die Stimme für diejenigen denen Teilhabe nicht möglich ist. Wir müssen anfangen radikaler zu denken und zu fordern.“
Vera Koller von der AUGE/UG
„Für mich ist klar: Um die Armut in Österreich zu bekämpfen, muss der Staat stärker eingreifen.“
Martin Müllauer von der FSG
„Es ist keine Schande zuzugeben, dass man „arm“ ist. Weiters ist es sehr hilfreich unterschwellige Unterstützung anzunehmen, zusätzlich auch die Unterstützungsangebote, um aus der Armut wieder zu entkommen und ein selbstständiges Leben führen zu können. Das führt auch zu einem verstärkten Selbstbewusstsein es geschafft zu haben.“
Esther Perzl von der FCG-ÖAAB