Blaha, Marterbauer Interview © Markus Zahradnik
Interview

Politik, die Hoffnung macht 

AK-Chefökonom Markus Marterbauer und Barbara Blaha vom Momentum Institut im AKtuell-Interview über Angst und die Bedeutung des Sozialstaats 
Matthias Falter
10.10.2022
in diesem Artikel

    Was sind die Ängste der Menschen? Und welche Funktion hat hier der Sozialstaat?


    Markus Marterbauer: Ängste sind vielfältig und in der Pandemie und der Teuerungskrise wachsen sie: etwa die Angst vor Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Armut. Gleichzeitig wird mit Angst Politik gemacht. Arme, aber auch alle Beschäftigten werden unter Druck gesetzt, für die Vermögenden entstehen neue Gewinnchancen: etwa mit dem konservativen Vorschlag des degressiven Arbeitslosengelds, der Deregulierung des Mietrechts oder auch der Privatisierung der Pensionsvorsorge. Martin Schürz und ich zeigen in unserem Buch, wie Ängste gemildert, Sicherheit gegeben, Hoffnung gemacht werden und dadurch auch Momente der Freiheit entstehen.

    Barbara Blaha und Markus Marterbauer © Markus Zahradnik
    © Markus Zahradnik
    Barbara Blaha (Momentum Institut) und Markus Marterbauer (AK Wien)
    "Der Sozial­staat muss mit Rechten ein­her­gehen und nicht mit Bitt­steller­tum."

    Markus Marterbauer, Leiter der Abteilung Wirtschafts­wissen­schaft und Statistik der AK Wien

    Barbara Blaha: Der Sozialstaat federt Existenzängste ab: Er hebt über eine Million Menschen in Österreich über die Armutsgrenze, durch Familienbeihilfe, Arbeitslosengeld und andere Transferzahlungen. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Sozialstaat Lücken hat. Wir sind mit Kinderarmut konfrontiert. Bei Arbeitslosigkeit rutscht man schnell in die Armut. Altersarmut ist ein großes Problem, das insbesondere Frauen betrifft.

    Hier sagen Menschen zu Recht: „Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet, mich um die Kinder gekümmert und jetzt muss ich schauen, wie ich in den nächsten 20 Jahren über die Runden komme.“ Da entsteht naheliegenderweise eine Frustration. Aber das muss nicht so sein: Der Sozialstaat ist von Menschen gebaut und kann auch entsprechend verändert werden. Das wäre ein politisches Projekt, das sich lohnt.


    Markus Marterbauer: Der Sozialstaat schafft Untergrenzen auf der Einkommensebene, z. B. durch Ausgleichszulage für Pensionen und Mindestsicherung. Aber wir sehen auch, dass die unteren sozialen Netze nicht armutsfest sind. Viele Sozialleistungen erreichen die Menschen auch nicht, die eigentlich Anspruch hätten, wenn wir etwa an die niedrige Take-Up-Rate bei Sozialhilfe und Mindestsicherung denken. Hier gibt es also massive Defizite.

    Außerdem müssen die sozialen Untergrenzen über den Sozialstaat hinausgehen, etwa was Arbeitnehmer:innnenrechte und Mindestlöhne betrifft, die tatsächlich armutsfest werden müssen. Das Ziel des Sozialstaates muss es sein, Furcht zu verhindern und Armut auszuschließen. Der Sozialstaat muss auf Rechten und Ansprüchen aufbauen. Zu oft sehen wir Bittstellertum, wenn wir etwa daran denken, wie Menschen in Einwanderungsämtern oder beim/bei der Chefärzt:in behandelt werden.



    Barbara Blaha vom Momentum Institut im Gespräch © Markus Zahradnik
    © Markus Zahradnik
    „Es braucht Reichtumsobergrenzen, für die Demokratie und das Klima.“ – Barbara Blaha, Leiterin Momentum Institut

     

    „Von 10 Steuer­euros kommen 8 aus Arbeit und Kon­sum.“

    Barbara Blaha, Leiterin des Momentum Instituts

    Wie sieht aktuell die Finanzierung des Sozialstaats aus und wo gibt es Schieflagen?

    Barbara Blaha: Von 10 Steuereuros kommen 8 aus Arbeit und Konsum, d. h. wir haben eine riesige Schieflage zu Ungunsten des Faktors Arbeit und wir lassen das Vermögen raus aus der Finanzierung des Sozialstaats. Das sagen auch internationale Organisationen wie die OECD oder der Internationale Währungsfonds ganz klar. Hier muss gegengesteuert werden: etwa durch Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer. Das sind keine komplizierten Dinge, die gab es ja auch schon in der Vergangenheit und gibt es in vielen Industrieländern weltweit. Dazu braucht es wirklich nur den politischen Willen. Gerade beim Vermögen gibt es eine extreme Ungleichheit, die auch die Demokratie gefährdet:

    Wenn ich merke, dass die Stimme von Heidi Horten oder Sigi Wolf mehr gilt als meine, dann verliere ich mein Vertrauen in die Demokratie und ziehe mich zurück. Und zurecht, denn dieses Spiel ist dann unfair. Deshalb braucht es Reichtumsobergrenzen, auch aus klimapolitischen Gründen. Es gibt eine planetare Obergrenze. Reiche Menschen stoßen tausendmal mehr CO2 aus als normale Menschen. Da rede ich noch gar nicht von Flügen ins All, nur weil sich Jeff Bezos einbildet, er hat zu viel Geld. Markus hat vorher so schön gesagt, dass der Sozialstaat es geschafft hat, dass wir eine Untergrenze haben. Aber es fehlt die Debatte darüber, über welche Grenze sollte man aus demokratie- und klimapolitischen Gründen nicht gehen.

     

    buchtipp

    Buch von Markus Marterbauer und Martin Schürz © Autoren: Markus Marterbauer und Martin Schürz

    Angst und Angstmacherei

    Für eine Wirtschaftspolitik, die Hoffnung macht

    Markus Marterbauer & Martin Schürz
    Verlag: Zsolnay / 2022 / 384 Seiten
    ISBN: 978-3-552-7311-1 / Euro 26,80

    Hier versandkostenfrei bestellen.

    Markus Marterbauer von der AK Wien im Gespräch © Markus Zahradnik
    © Markus Zahradnik
    „Der Sozialstaat soll Furcht verhindern und Armut ausschließen.“ Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkammer Wien

    Markus Marterbauer: In unserem Buch plädieren wir für Obergrenzen beim Reichtum. Aus drei Überlegungen: Erstens vertragen sich extremer Reichtum und Demokratie nicht. Ein Maximalvermögen ist notwendig, um die Demokratie zu retten. Seine Höhe muss Ergebnis einer gesellschaftlichen Debatte sein. Wir schlagen vor, eine Milliarde als Ansatzpunkt für diesen Diskurs zu nehmen. Davon wären in Österreich etwa 50 Haushalte betroffen. Zweitens müssen wir darüber reden, was Eigentum darf und nicht darf. Eigentumsrechte müssen beschränkt werden.

    Das Forstgesetz von 1975 erlaubt den Leuten, den Wald zu Erholungszwecken zu betreten. Das schränkt die Freiheit der Waldbesitzer:innen ein, aber es erhöht die Freiheit der vielen. Wir brauchen ein weitergehendes Recht auf Natur. Das Dritte sind Steuern auf Vermögen, die zur Finanzierung der Untergrenzen beim Einkommen wichtig sind. Die Begrenzung von Reichtum wird immer drängender. Das zeigt nicht zuletzt Thomas Piketty in seinem neuen, sehr optimistisch stimmenden Buch „Eine kurze Geschichte der Gleichheit“. 

     


    Barbara Blaha vom Momentum Institut  © Markus Zahradnik
    © Markus Zahradnik
    Barbara Blaha vom Momentum Institut und Markus Marterbauer von der AK Wien im Gespräch

    Wie kann man diese Politik der Hoffnung im Kleinen (z. B. im Betrieb) umsetzen? 

    Markus Marterbauer: Angst kann dazu führen, dass sich Menschen zurückziehen und sich nicht mehr für die eigenen Interessen und jene anderer einsetzen. Sie brauchen Sicherheit, um sich engagieren zu können. So kann auch Hoffnung auf ein besseres Leben und eine bessere Welt entstehen. Eine emanzipatorische Politik muss Menschen ermutigen, sich für das Gemeinwesen zu engagieren. Von diesem Engagement leben Demokratie und sozialer Zusammenhalt. Das erfordert neue Möglichkeiten der Beteiligung in der Gemeinde, im Betrieb und in der Gesellschaft.


    Barbara Blaha: Eine Grundbotschaft ist: Bildet euch und informiert euch! Das Buch von Markus und Martin ist auch ein wichtiger Anlass, um über Alternativen zu sprechen. Es hat in den letzten Jahren viele Impulse gegeben, in der Wirtschaftsforschung oder auch wenn wir an die Klimabewegung denken. Da bewegt sich gerade sehr viel.


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    Momentum Institut

    Das Momentum Institut ist die Denkfabrik der Vielen. Es erarbeitet und verbreitet seit 2019 konkrete, konstruktive Vorschläge für eine nachhaltige und gerechtere Gesellschaft. Als wirtschaftspolitischer Think Tank bereiten die Ökonom:innen des Instituts Studien und Analysen im Interesse der breiten Mehrheit der Bevölkerung auf – beispielsweise in der Bugetpolitik, zum Klimaschutz oder zum Arbeitsmarkt. Alle Infos


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