Ein Adria-Tief hat wieder zugeschlagen. Nach den enormen Regenmengen, Überflutungen und Schlammmassen von Mitte Mai haben in Mittelitalien viele betroffene Menschen immer noch keine Häuser, Arbeitsstätten oder Schulen, in die sie zurückkehren können. Verkehrswege und Bahnverbindungen sind immer noch beeinträchtigt. Und wer zahlt, wenn deshalb Pendler:innen nicht an den Arbeitsort kommen können?
Fragen nach der eingeschränkten Mobilität etwa durch Unwetter poppen auch schon in den AK Rechtsberatungen auf, berichtet Bianca Schrittwieser im Interview. Sie leitet die Abteilung Arbeitsrecht der AK Wien und weiß: „Das Arbeitsrecht ist noch nicht fit genug, um angesichts der Klimakrise eine breite Lösung zu haben.“ Was ist etwa im Falle eines Blackouts Beschäftigten in systemrelevanten Berufen wie in Krankenhäusern abzuverlangen?
In Österreich gibt es punktuelle Regelungen für Krisenfälle. So haben etwa Freiwillige bei Hilfsorganisationen wie Feuerwehren und Rettungsdiensten bei einem Großschadensereignis seit vier Jahren eine Möglichkeit zur Freistellung: Bei Arbeitsverhinderung haben sie unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Entgeltfortzahlung; das ist im Angestelltengesetz bzw. im ABGB geregelt.
Durch die Erderwärmung hat die Hitze in Mitteleuropa ebenfalls deutlich zugenommen. Sie betrifft alle. In schlecht gedämmten, nicht klimatisierten Werkshallen, Backstuben oder Büros leiden im Sommer viele Arbeitende unter den hohen Temperaturen. In der Folge sinkt die Konzentration und das Unfallrisiko steigt. Ausnahmebestimmungen gibt es in Österreich jedoch bis jetzt lediglich für Beschäftigte der Baubranche. Sie können ab 32,5 Grad hitzefrei bekommen – eine einseitige Maßnahme, weil der Arbeitgeber die Entscheidungsgewalt hat.
Harald Bruckner von der Abteilung Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit in der AK Wien verweist außerdem auf die 400.000 Outdoorworker. Sie arbeiten vorwiegend im Freien und sind zu mindestens 75 Prozent ihrer Arbeitszeit den Sonnenstrahlen sowie Hitze, Staub und Lärm ausgesetzt. Hinzu kommen Extremfälle wie Kranführer in nicht klimatisierten Glaskabinen.
Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten. Etwa in der Arbeitsstättenverordnung ist aber nur die Mindestraumtemperatur festgelegt. „Wie bei chemischen Werten brauchen wir auch bei der Temperatur eine Obergrenze“, so Bruckner. Ab 25 Grad braucht es seiner Ansicht nach verpflichtende Maßnahmen wie Beschattung durch Sonnensegel, Außenjalousien, bessere Wärmedämmung oder Fassadenbegrünung. Wenn es nicht gelingt, die Raumtemperatur dauerhaft unter 30 Grad zu halten, soll über 30 Grad sowie bei Arbeiten im Freien in letzter Konsequenz bezahlt hitzefrei gelten, solange keine kühlere Alternative vom Arbeitgeber angeboten wird, fordert die AK.
„Es geht um Prävention – nicht darum, was Menschen aushalten“, sagt Harald Bruckner. „Wir produzieren jetzt den Hautkrebs der Zukunft.“ Gesetzlich verankerte Detailvorgaben sind zudem notwendig, damit das Arbeitsinspektorat tatsächlich im Sinn des Arbeitnehmer:innenschutzes einschreiten kann.
Nicht zuletzt baucht es eine Vier-Tage-Woche mit kürzerer Wochenarbeitszeit, wie es in Großbritannien ein Pilotversuch zeigte. Die beteiligten Unternehmen konnten ihre Umsätze steigern und die Zahl der Krankenstandstage sank.
„Die Weiterentwicklung des Arbeitszeitrechts ist wesentlich. Zwölf-Stunden-Tage sind die falsche Antwort“, sekundiert Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik in der AK Wien. Eine generelle Verkürzung der Wochenarbeitszeit würde nicht nur für eine massive gesundheitliche Entlastung der Beschäftigten sorgen, sondern könnte Teil eines neuen Wohlstandsmodells jenseits von Konsumorientierung sein.
„Das Arbeitsrecht ist für den Regelbetrieb gemacht und nicht für den Krisenfall. Hier sind dringend Anpassungen notwendig“, meint Pirklbauer. Die Zunahme der Extremwetter und mögliche Blackouts der Stromversorgung werden für zahlreiche regionale Krisensituationen sorgen: Beschäftigte werden ihre Arbeitsleistung nicht erbringen können, weil sie ihren Arbeitsplatz nicht erreichen oder ihn nicht verlassen können, da möglicherweise ihr Zuhause oder das Unternehmen nachhaltig beschädigt wurde. Ähnliche Fragen der Dienstverhinderung und damit Entgeltfortzahlung, des Datenschutzes, der Haftung oder des Schadenersatzes haben sich bereits in der Corona-Pandemie gestellt.
„Diese Erfahrungen gilt es zu nutzen und die Antworten darauf weiterzuentwickeln“, plädiert die AK Expertin. Abseits einer generellen Arbeitszeitverkürzung geht es auch um die Gestaltung von Arbeitszeit. Ideen dazu sind: Zu Tageszeiten arbeiten, wo es erträglicher ist, oder eine Jahresarbeitszeit einführen. Damit im Winter mehr und im Sommer weniger gearbeitet werden kann. Umgekehrt wie vor 50 Jahren im eisigen Winter Mitteleuropas.
Ein neuer Ratgeber der AK Wien gibt Antworten auf 41 Fragen zum Arbeitsrecht in Zeiten der Klimakrise. Kompakt wird zu jeder der Fragen die geltende gesetzliche Regelung zusammengefasst samt Angabe des konkreten Paragrafen, sodass man rasch einen Überblick erhält. Der Ratgeber unterstützt Betriebsrät:innen dabei, angesichts neuer Herausforderungen im betrieblichen Alltag Orientierung zu erhalten.
Hier geht es zum Download des neuen Ratgebers der AK Wien.
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