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Klimakrise und Jobs

Klimakrise: Arbeitsrecht anpassen

Hitze, Über­schwem­mun­gen, Strom­ausfälle? Um die Folgen der Erd­erhitzung für die Beschäf­tigten ab­zu­federn, sollen die Er­fah­rungen aus der Pan­demie genützt werden, fordern Expert:innen der AK Wien. 

Heike Hausensteiner
21.06.2023
in diesem Artikel

    Ein Adria-Tief hat wieder zugeschlagen. Nach den enormen Regen­mengen, Über­flutungen und Schlamm­massen von Mitte Mai haben in Mittel­italien viele betroffene Menschen immer noch keine Häuser, Arbeitsstätten oder Schulen, in die sie zurückkehren können. Verkehrs­wege und Bahnver­bindungen sind immer noch beeinträchtigt. Und wer zahlt, wenn deshalb Pendler:innen nicht an den Arbeitsort kommen können?

    Fragen nach der einge­schränkten Mobilität etwa durch Un­wetter poppen auch schon in den AK Rechts­beratungen auf, berichtet Bianca Schrittwieser im Interview. Sie leitet die Abteilung Arbeitsrecht der AK Wien und weiß: „Das Arbeits­recht ist noch nicht fit genug, um angesichts der Klima­krise eine breite Lösung zu haben.“ Was ist etwa im Falle eines Blackouts Beschäftigten in systemrelevanten Berufen wie in Krankenhäusern abzuverlangen?

     

    Bianca Schrittwieser, AK Wien © Ute Bösinger
    © Ute Bösinger
    "Das Arbeits­recht ist noch nicht fit genug, um angesichts der Klima­krise eine breite Lösung zu haben." Bianca Schrittwieser, AK Wien
    Harald-Bruckner, AK Wien © Michael Mazohl
    © Michael Mazohl
    „Wie bei chemischen Werten brauchen wir auch bei der Temperatur eine Ober­grenze." Harald Bruckner, AK Wien

    Punktuelle Regeln 

    In Österreich gibt es punktu­elle Regelungen für Krisen­fälle. So haben etwa Freiwillige bei Hilfs­organisationen wie Feuerwehren und Rettungsdiensten bei einem Großschadens­ereignis seit vier Jahren eine Möglich­keit zur Freistellung: Bei Arbeits­verhinderung haben sie unter bestimmten Voraus­setzungen Anspruch auf Entgeltfortzahlung; das ist im Angestellten­gesetz bzw. im ABGB geregelt. 


    Durch die Erder­wärmung hat die Hitze in Mittel­europa ebenfalls deutlich zugenommen. Sie betrifft alle. In schlecht gedämmten, nicht klimatisierten Werks­hallen, Back­stuben oder Büros leiden im Sommer viele Arbeitende unter den hohen Temperaturen. In der Folge sinkt die Konzentration und das Unfallrisiko steigt. Ausnahme­bestimmungen gibt es in Österreich jedoch bis jetzt lediglich für Beschäftigte der Bau­branche. Sie können ab 32,5 Grad hitzefrei bekommen – eine einseitige Maß­nahme, weil der Arbeit­geber die Entschei­dungs­gewalt hat.


    Harald Bruckner von der Abteilung Sicherheit und Gesund­heit bei der Arbeit in der AK Wien verweist außerdem auf die 400.000 Outdoorworker. Sie arbeiten vorwiegend im Freien und sind zu mindestens 75 Prozent ihrer Arbeitszeit den Sonnenstrahlen sowie Hitze, Staub und Lärm ausgesetzt. Hinzu kommen Extremfälle wie Kranführer in nicht klimatisierten Glaskabinen.


    Obergrenzen und Nachrüsten

    Arbeit­geber haben eine Fürsorge­pflicht gegenüber den Beschäftigten. Etwa in der Arbeitsstätten­verordnung ist aber nur die Mindest­raum­temperatur festgelegt. „Wie bei chemischen Werten brauchen wir auch bei der Temperatur eine Ober­grenze“, so Bruckner. Ab 25 Grad braucht es seiner Ansicht nach verpflich­tende Maß­nahmen wie Beschattung durch Sonnensegel, Außenjalousien, bessere Wärme­dämmung oder Fassaden­begrünung. Wenn es nicht gelingt, die Raum­temperatur dauerhaft unter 30 Grad zu halten, soll über 30 Grad sowie bei Arbeiten im Freien in letzter Konsequenz bezahlt hitzefrei gelten, solange keine kühlere Alternative vom Arbeitgeber angeboten wird, fordert die AK.

    Es geht um Prävention – nicht darum, was Menschen aushalten“, sagt Harald Bruckner. „Wir produzieren jetzt den Hautkrebs der Zukunft.“ Gesetzlich verankerte Detailvorgaben sind zudem notwendig, damit das Arbeitsinspektorat tatsächlich im Sinn des Arbeit­nehmer:innenschutzes einschreiten kann. 

    Nicht zuletzt baucht es eine Vier-Tage-Woche mit kürzerer Wochen­arbeits­zeit, wie es in Großbritannien ein Pilot­versuch zeigte. Die beteiligten Unter­nehmen konnten ihre Umsätze steigern und die Zahl der Kranken­stands­tage sank.

    Sybille Pirklbauer, AK Wien © Ute Bösinger
    © Ute Bösinger
    "Es gilt, die Erfahrungen aus der Pandemie zu nutzen und die Antworten darauf weiterzuentwickeln." Sybille Pirklbauer, AK Wien

    Weniger ist mehr

    „Die Weiter­entwicklung des Arbeits­zeit­rechts ist wesentlich. Zwölf-Stunden-Tage sind die falsche Antwort“, sekundiert Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozial­politik in der AK Wien. Eine generelle Verkürzung der Wochen­arbeitszeit würde nicht nur für eine massive gesund­heitliche Entlastung der Beschäftigten sorgen, sondern könnte Teil eines neuen Wohl­stands­modells jenseits von Konsum­orientierung sein.


    „Das Arbeitsrecht ist für den Regelbetrieb gemacht und nicht für den Krisenfall. Hier sind dringend Anpassungen notwendig“, meint Pirklbauer. Die Zunahme der Extremwetter und mögliche Blackouts der Stromversorgung werden für zahlreiche regionale Krisen­­situationen sorgen: Beschäftigte werden ihre Arbeits­leistung nicht erbringen können, weil sie ihren Arbeitsplatz nicht erreichen oder ihn nicht verlassen können, da möglicherweise ihr Zuhause oder das Unter­nehmen nach­haltig beschädigt wurde. Ähnliche Fragen der Dienst­verhinderung und damit Entgelt­fortzahlung, des Daten­schutzes, der Haftung oder des Schaden­ersatzes haben sich bereits in der Corona-Pandemie gestellt. 

    Diese Erfahrungen gilt es zu nutzen und die Antworten darauf weiter­zuentwickeln“, plädiert die AK Expertin. Abseits einer generellen Arbeits­zeit­verkürzung geht es auch um die Gestaltung von Arbeitszeit. Ideen dazu sind: Zu Tageszeiten arbeiten, wo es erträglicher ist, oder eine Jahresarbeitszeit einführen. Damit im Winter mehr und im Sommer weniger gearbeitet werden kann. Umgekehrt wie vor 50 Jahren im eisigen Winter Mitteleuropas.

    Ratgeber: Arbeitsrecht im Wandel des Klimas – was gilt?

    Ein neuer Ratgeber der AK Wien gibt Antworten auf 41 Fragen zum Arbeitsrecht in Zeiten der Klimakrise. Kompakt wird zu jeder der Fragen die geltende gesetzliche Regelung zusammengefasst samt Angabe des konkreten Paragrafen, sodass man rasch einen Überblick erhält. Der Ratgeber unterstützt Betriebsrät:innen dabei, angesichts neuer Herausforderungen im betrieblichen Alltag Orientierung zu erhalten.

    Hier geht es zum Download des neuen Ratgebers der AK Wien.

    FACTBOX


    Arbeitsrecht

    • Im Arbeitsrecht sind die Rechte und Pflichten von Beschäftigten und Arbeitgebern in diversen Gesetzen, Kollektiv­verträgen, Verordnungen u.a. geregelt. Etwa Arbeits­zeit, Teilzeit, Homeoffice oder Kurzarbeit.

    • Das Arbeitszeit­gesetz (AZG) legt Höchstarbeitszeiten von 12 Stunden pro Tag bzw. 60 Stunden pro Woche, inklusive Überstunden, fest. Die Normal­arbeitszeit beträgt acht Stunden pro Tag bzw. 40 Stunden pro Woche – und wurde zuletzt 1975 gesenkt. Viele Kollektivverträge sehen jedoch eine verkürzte Normal­arbeitszeit (z.B. 38,5 Wochenstunden) vor.

    • Das Arbeit­nehmerInnen­schutzgesetz (ASchG) regelt samt seinen Verordnungen die Sicher­heit und Gesund­heit am Arbeitsplatz.

    • Das Bauarbeiter-­Schlecht­wetter­entschädigungs­gesetz (BSchEG) erlaubt, bei Temperaturen über 32,5 Grad Celsius die Arbeit vorübergehend ausfallen zu lassen. Betriebsrät:innen sind in die Entscheidung über einen etwaigen Arbeits­ausfall einzubeziehen.

    • Die Fürsorge­pflicht des Arbeitgebers ist im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) festgeschrieben.

    • Die Arbeits­inspektion ist dem Ministerium für Arbeit und Wirtschaft unterstellt. Bei Gefahr in Verzug können Arbeits­inspektorate Anzeige erstatten und die Arbeit einstellen lassen.

    • Der Betriebsrat kann mit der Unternehmens­leitung eine Betriebs­vereinbarung abschließen, die auch fehlende gesetzliche Rahmen­bedingungen bei Hitze abdeckt.


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