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Soziale Arbeit

Baustelle Soziale Arbeit

Seit Jahrzehnten ringen Sozial­pädagog:innen und Sozial­arbeiter:innen um ein ein­heitliches Berufs­recht, das ihre Kompetenzen festschreibt. Gerade in diesem vulnerablen Klient:innen-Bereich und angesichts des Fachkräfte­bedarfs wäre das dringend notwendig, meint AK Juristin Silvia Rosoli.

Heike Hausensteiner
06.07.2023
in diesem Artikel

    In den Jugendbetreuungseinrichtungen ist nur etwa die Hälfte des Personals adäquat ausgebildet. Die fremdbetreuten Kinder und Jugendlichen kommen aus sehr belasteten Familien und haben psychische Verletzungen und Traumatisierungen hinter sich. Eskalationen machen häufig Polizeieinsätze notwendig, oft kommt es auch zu Psychiatrieeinweisungen. Ein Horrorszenario? Keineswegs. Es ist Ergebnis einer Kontrolle der sozialpädagogischen Wohneinrichtungen in Österreich durch die Volksanwaltschaft. Die Gründe: zu wenig und nicht ausreichend qualifiziertes Personal im Bereich Soziale Arbeit.



    Silvia Rosoli, Leiterin der Abteilung Gesundheitsberufe und Pflegepolitik in der AK Wien © Lisi Specht
    © Lisi Specht
    Silvia Rosoli, Leiterin der Abteilung Gesundheitsberufe und Pflegepolitik in der AK Wien

    Alle, die wollen, können in die Soziale Arbeit 

    Ein – einheitliches – Berufsrecht für Sozial­arbeiter:innen und Sozial­pädagog:innen auf Bundesebene könnte diese und ähnliche Situationen spürbar verbessern. Doch seit Jahrzehnten kann sich Österreich darauf nicht verständigen. Die Folgen: Jeder und jede kann sich Sozial­arbeiter:in nennen, da keine formalen Voraus­setzungen dafür existieren. Zudem ist nicht genau bekannt, wie viele in diesem Bereich arbeiten. Der Österreichische Berufs­verband der Sozialen Arbeit (obds) schätzt die Gesamtzahl aufgrund der Ausbildungs­zahl auf 44.000. Im Feld tätig sind wahr­scheinlich noch mehr. Ähnlich groß ist eine andere Beschäftigten­gruppe im Gesundheitsbereich, nämlich die der Ärzt:innen (ca. 48.000). Undenkbar, dass sie ohne Berufsrecht arbeiten.

    „Sie haben kein Gesetz, das ihre Kompe­tenzen, Rechte und Pflichten, Aus- und Weiter­bildung regelt oder wenn jemand aus dem Ausland zu uns arbeiten kommt. Andere (Gesundheits-)Berufe haben sehr wohl Berufsrechte“, bringt es Silvia Rosoli auf den Punkt. Sie leitet die Abteilung Gesundheitsberuferecht und Pflegepolitik der AK Wien. Diese befür­wortet eindeutig ein Berufs­recht für Soziale Arbeit. Dafür gibt es einen Beschluss der Bundesarbeits­kammer, der dieses Jahr verabschiedet wurde.


    Vulnerable Gruppe

    „Gerade Menschen, für die Sozial­arbeit not­wendig ist, sind eine vulnerable Gruppe und brauchen auch eine Sicherheit in der Qualität, mit wem sie es zu tun haben, wer wie ausgebildet ist, wer was tun darf usw.“ Nicht nur für die Klient:innen, sondern auch für die Beschäftigten wäre es wichtig, Rechts­sicherheit und Qualitäts­sicherheit zu haben. Als drittes Argument pro Berufs­recht nennt AK Expertin Rosoli den momentanen Fachkräfte­bedarf: „Es wäre ein Ansporn, in diesen Beruf zu gehen.“


    „So­zial­ar­bei­ter:in­nen ha­ben kein Ge­setz, das ihre Kom­pe­ten­zen, Rech­te und Pflich­ten so­wie Aus- und Wei­ter­bil­dung re­gelt.“

    Silvia Rosoli, AK Wien

    Mutlose Gesundheitspolitik

    Die Diskussion um das Berufsrecht Soziale Arbeit gibt es seit über 30 Jahren. Denn die Frage fällt in die Zuständig­keit der Bundesländer. Umgesetzt wurde es bisher in keinem Bundesland. Um den schlimmsten Fall von neun verschiedenen Berufsrechten zu vermeiden, wäre es am geschicktesten, eines auf Bundesebene zu haben. Dafür bräuchte es eine Verfassungs­mehrheit im Parlament. Und das schätzt Gesundheits­minister Rauch – früher selbst als Sozial­arbeiter tätig – derzeit als schwer umsetzbar ein. Obwohl es als Vorhaben im Regierungs­programm festgeschrieben ist. „Es sollte wenigstens der Versuch unternommen werden, eine Mehrheit dafür zu bekommen“, findet Silvia Rosoli.


    Soziale Arbeit – Vorbild Aserbaidschan

    Besser spät als nie? In der ehemaligen Sowjet­republik Aserbaidschan ist die Sozial­arbeit dank Verfassungs­änderung berufs­rechtlich längst abgesichert, in den skandinavischen Ländern sowieso. Der Europarat hat von Österreich eine Regelung eingemahnt, die EU-Kommission macht ebenfalls Vorgaben. Die neun Bundes­länder wollen aber ihre Kompetenzen offenbar nicht abgeben. Und die Berufsgruppen selbst waren sich in den vergangenen Jahren auch oft uneinig, wie weit ein Berufs­recht gehen kann. 

    AK Gesund­heitsrechts­expertin Rosoli versucht, die Bedenken zu zerstreuen: „Wir haben ja bei den Gesundheits­berufen überall ein Berufsrecht und es gibt Über­schneidungen von Kompetenzen. Das wäre natürlich bei der Sozialen Arbeit auch der Fall. Jede Profession hat sogenannte Kern­kompetenzen, wo andere Berufs­gruppen nicht hinein­grätschen können, aber Kompetenzen, die andere Berufs­gruppen auch ausüben können. Wir nennen das „Pool­kompetenzen“. Fürchten muss man sich nicht davor, weil konkrete berufs­rechtliche Regelungen in diesen Bereichen auch Rechts­sicherheit geben. Ohne Berufsrecht gibt es zu dieser Fragestellung gar keine Regeln.“


    Keine Mehrkosten

    Unbegründet ist laut AK auch die Sorge, die Soziale Arbeit würde durch ein Berufs­recht teurer werden. Arbeits­rechtliche Probleme wie schlecht bezahlte Kettenverträge aufgrund kurzer Förder­perioden bei den (Länder-)Organisationen, die Sozial­arbeiter:innen und Sozial­pädagog:innen beschäftigen, werden dadurch nicht gelöst, weil das Berufsrecht nicht Arbeits­bedingungen wie Löhne oder Arbeits­zeit regelt. Aufrecht bleibt außerdem die Forderung der Branche, dass die Zahl der Ausbildungs­plätze endlich auf­gestockt wird.

    Der Gesund­heits­minister hat als ersten Schritt so etwas wie einen Titel­schutz versprochen. Also einen Bezeichnungs­schutz für Menschen, die eine Ausbildung für Sozial­arbeit absolviert haben. Diese legistischen Bemühungen gemeinsam mit dem Wissenschafts- und Bildungs­ressort gibt es bereits. 


    WEbtipp

    Tipp Symbolbild © AK Wien

    FAQs – beantwortet vom Öster­rei­chi­schen Sozial­ver­bands der So­zia­len­ Ar­beit (obds)

    Hier findest du eine Sammlung von häufig gestellten Fragen und Antworten zu Ausbildung, Bezeichnungs­schutz, Berufs­gesetz und vielem mehr.


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