Eva Angerler, GPA; Simone Hudelist, AK © Markus Zahradnik
Interview

Agiles Arbeiten auf dem Vormarsch

Agiles Arbeiten ist im IT-Bereich weit verbreitet. Doch der Betriebs­rat bleibt bei der Um­stel­lung auf die neue Arbeits­wei­se oft außen vor, zeigt eine Be­fra­gung des For­schungs­instituts IFES. Wie ändern? 
Martina Fassler
02.02.2023

AKtuell hat bei Eva Angerler, GPA (rechts im Bild), und Simone Hudelist, AK Wien (links), nachgefragt:


AKtuell: Was bedeutet agiles Arbeiten?

Eva Angerler: Agiles Arbeiten kommt aus dem IT-Bereich und ist eine selbst organisierte Team­arbeitsform, die als Reaktion auf die klassische Projektarbeit entstanden ist. Im „Agilen Manifest“ aus 2001 sind die Prinzipien zusammen­gefasst. Es geht um Entbürokratisierung, flachere Hierarchien. Die Teams ent­scheiden selbst, ohne einen hierarchisch Vor­gesetzten, wann und wie sie die einzelnen Schritte zur Ent­wicklung einer Software erledigen. Flexibilität ist ein wichtiges Prinzip. 

Infografik Agiles Arbeiten © AKtuell. Quelle: ifes-Studie im Auftrag der AK Wien, 2022, 2.026 Befragte
© AKtuell. Quelle: ifes-Studie im Auftrag der AK Wien, 2022, 2.026 Befragte
Simone Hudelist, Abteilung Betriebswirtschaft, AK Wien © Markus Zahradnik
© Markus Zahradnik
„Agiles Arbeiten führt weg vom Einzelkämpfertum im IT-Bereich. Das sollten wir nutzen.“ Simone Hudelist, Abt. Betriebswirtschaft, AK Wien

AKtuell: Wie sehr ist agiles Arbeiten im IT-Bereich angekommen? 

Simone Hudelist: Es ist stark auf dem Vormarsch. Drei Viertel der Befrag­ten sagen, agiles Arbeiten gibt es im Betrieb. In dem Sinne, dass sie entweder selbst agil arbeiten oder andere Teile des Unternehmens diese Arbeits­weise bereits an­wenden. Eingeführt wird die Arbeitsweise meist, weil es dem Unternehmen Nutzen bringt, man schneller reagieren kann. Es geht in erster Linie darum, Kosten und Prozesse zu optimieren und die Zufriedenheit der Kund:innen zu erhöhen, indem diese laufend in den Entwicklungs­prozess eingebunden sind. 


AKtuell: Was ist den Beschäftigten wichtig? 

Eva Angerler: Agiles Arbeiten ist kein Humanisierungsprogramm, das wissen die Beschäftigten. Zugleich steigert das selbst­bestimmtere Arbeiten bei vielen die Motivation. Die Beschäftigten wollen, dass das Team tatsächlich die Ent­schei­dungen trifft und nicht plötzlich wieder aus der Hierarchie Weisungen rein­schneien. Die Teams tragen eine hohe Verant­wortung, die sich nicht immer in der Bezahlung nieder­schlägt. Kritisch wird es, wenn es zu wenig Personal gibt, die Arbeits­zeiten ausufern oder auch die Daten nicht im Team bleiben, sondern damit eine bein­harte Über­wachung und Leistungs­kontrolle erfolgt.


AKtuell: Was halten die Betriebsräte vom agilen Arbeiten? 

Eva Angerler: Rund 20 Prozent sagen, sie haben sich noch gar keine Meinung gebildet. Mehr als die Hälfte sagt, bei der Umsetzung von agilem Arbeiten nicht einge­bunden zu sein. Manche Betriebs­räte unterschätzen diese Arbeitsform, sie denken, das sei eine Management-Methode, die vorbeigehen wird. Doch agiles Arbeiten verändert die Arbeits­organisation und den Arbeitsalltag der Beschäf­tigten. Es wird bleiben und ist bei jungen Beschäftigten beliebt. Wegschauen ist der falsche Weg. 

Simone Hudelist: Agiles Arbeiten heißt Teamarbeit, es führt weg vom Einzelkämpfer, der allein zuhause etwas austüftelt. Das ist für uns Arbeit­neh­mer:in­nen-Vertre­tungen eine Chance, gerade in dieser Branche eine Soli­dari­sierung und einen Zusammenhalt zu erzielen. Denn wie vorteilhaft sich agiles Arbeiten für die Beschäftigten am Ende gestaltet, bleibt eine Machtfrage.

Eva Angerler, Abteilung Arbeit & Technik, GPA © Markus Zahradnik
© Markus Zahradnik
„Es geht darum, Schutzmechanismen vor Stress, Selbstausbeutung und Kontrolle zu verankern“, Eva Angerler, Abteilung Arbeit & Technik, GPA

AKtuell: Wie kann sich der Betriebsrat ins Spiel bringen? 

Eva Angerler: Er sollte als Moderator wirken, mit den Beschäftigten reden, ihnen zuhören. Was läuft gut, was weniger? So kann man gemeinsam Kriterien für ein gutes agiles Arbeiten festlegen, um dann mit dem Arbeitgeber passende Grundsatz­verein­barungen zu treffen. Etwa zu den Leistungs­daten, zur Arbeitszeit und zum Datenschutz. 

Simone Hudelist: Agiles Arbeiten berührt je nachdem, wie umfassend es eingesetzt wird, viele Mitbestimmungsrechte. Dafür gibt es nicht die eine Muster­betriebs­ver­einbarung, aber die Bera­tung durch die Gewerkschaft und die AK. 

Eva Angerler: Ansätze agilen Arbeitens gibt es mittlerweile auch in anderen Bran­chen. Im Bereich der Finanzdienstleistungen, in einzelnen Produktions­be­trieben und auch im Sozial­bereich. Selbst­organisiertes Ar­beiten unter den Beschäf­tigten nimmt zu. Schutz­mechanismen vor Stress, Selbst­ausbeutung und Kon­trolle zu veran­kern ist hier eine wich­tige Aufgabe für den Betriebs­rat.


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Tipp Symbolbild © AK Wien

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