Noah ist drei Jahre und besucht den Kindergarten, seit er 17 Monate ist. Seine Eltern, Cornelia und Daniel Kargl, arbeiten beide in Vollzeit bei der ÖBB-Tochter Rail Cargo, wo Daniel auch stellvertretendes Betriebsratsmitglied ist. „Hätten wir nicht so einen flexiblen Arbeitgeber, wäre es nicht möglich, alles so super hinzubekommen“, schildert Cornelia. Verständnisvolle Kolleg:innen und Vorgesetzte sowie die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, sind eine Selbstverständlichkeit in ihrem Betrieb.
Jubelstimmung darüber, wie Beruf und Familie unter einen Hut passen, lässt in Österreich jedoch auf sich warten. „Die Rahmenbedingungen erleichtern Halbe-Halbe nicht unbedingt“, erklärt Karin Zimmermann, Bundesfrauensekretärin des ÖGB. Eva Burger, Leiterin der Abteilung für Frauen und Familie in der AK Wien, stellt fest: „Es gibt eine Trendwende retour, obwohl wir lange daran gearbeitet haben, dass es in die andere Richtung geht.“
Jede zweite Frau in Österreich ist teilzeitbeschäftigt (50,7 Prozent, Zahlen aus 2022). Die Teilzeitquote von Frauen mit betreuungspflichtigen Kindern unter 15 Jahren ist im Zeitraum 1994 bis 2021 von 39 auf fast 73 gestiegen. Ab dem dritten Geburtstag des jüngsten Kindes teilen sich mehr als die Hälfte der Paare ihre Erwerbsarbeit so auf, dass der Vater in Vollzeit arbeitet und die Mutter „dazuverdient“. Hinzu kommt die unbezahlte Arbeit: Frauen übernehmen knapp zwei Drittel der Hausarbeit (64 Prozent), selbst wenn sie in gleichem Ausmaß erwerbstätig sind wie Männer. Das hat die jüngst veröffentlichte Zeitverwendungsstudie ergeben.
Eva Burger, AK Wien
Karin Zimmermann, ÖGB
Alles andere als Fortschritte gibt es auch bei der Beteiligung der Männer an der Kindererziehung: 2016 gingen bei Geburten in rund 15 Prozent der Paare die Papis in Karenz, 2018 waren es 13 Prozent. Bei weiteren fünf Prozent beziehen die Väter zwar Kinderbetreuungsgeld – eine von der Elternkarenz getrennte Leistung. Sie unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit aber nicht. Damit geht bei 82 Prozent der Paare der Mann weder in Karenz noch bezieht er Kinderbetreuungsgeld.
Außerdem fehlen Betreuungsplätze für Kinder – auch in Wien, vor allem aber in ländlichen Gebieten und insbesondere für Kleinkinder unter drei Jahren und für Kinder mit erhöhtem Unterstützungsbedarf. In der Elementarbildung, bei den Kindergärten, herrscht ein Mangel an ganztägigen und ganzjährigen Öffnungszeiten.
Zum Glück gibt es auch positive Praxis-Beispiele, aus Unternehmen ebenso wie auf individueller Ebene. Anita V. ist in einem ausgelagerten Unternehmen tätig, ihr Mann Peter für ein Softwareunternehmen. Beide arbeiten in Vollzeit. Tochter Sarah besucht eine ganztägige Volksschule. Anita schätzt es sehr, im Homeoffice sowie in Gleitzeit arbeiten zu können. „Wir haben keine Oma in Wien, die uns helfen könnte.“
Bei der Statistik Austria sind „geteilte Karenz, Papamonat und Elternteilzeit diskussionslos Teil der gelebten Praxis“, sagt Betriebsratsvorsitzende Judith Falkinger. Eine familienfreundliche Personalpolitik zähle zum Grundverständnis. In den nächsten Jahren soll die Vereinbarkeit noch weiter ausgebaut werden.
Beim ÖAMTC sind selbst bei den Nothilfeaufnahmen „väterfreundliche“ Teilzeit-Dienstpläne möglich, schildert Betriebsratsvorsitzende Nora Pradl. Zum Papamonat gibt es einen zusätzlichen Zuschuss für die Zeit der Freistellung. Für die im Unternehmen beschäftigten Eltern in Karenz gibt es Workshops und Netzwerktreffen.
Manche Unternehmen schaffen es gemeinsam mit dem Betriebsrat, Vätern Maßnahmen anzubieten, die über den gesetzlich geregelten Papamonat hinausgehen. Etwa die Beschäftigten bei Nokia können nach der Geburt eines Kindes bis zu drei Monate bei vollem Gehalt zu Hause bleiben. Den Frauenanteil von 15 Prozent will man durch positive Diskriminierung beheben, so Betriebsratsvorsitzende Elisabeth Kubicek.
Betriebsrät:innen haben bei der Vereinbarkeit von Beruf mit Familie eine wichtige Steuerungsfunktion. Mögliche blinde Flecken im Umgang mit Karenz oder Wiedereinstieg anzusprechen und zum Positiven zu verändern, sei in allen Unternehmensgrößen möglich. Darin sind sich Eva Burger von der AK Wien und Karin Zimmermann vom ÖGB einig.
Unternehmen sind Teil der Gesellschaft, daher sollte Vereinbarkeit etwas ganz Gängiges werden. So können Betriebe ihre Beschäftigten eher halten, gerade in Zeiten von hoher Nachfrage nach Arbeitskräften, sind sich die Expertinnen sicher. Und unterstreichen das Familienarbeitszeitmodell, das ÖGB und AK fordern.
Es sieht einen finanziellen Anreiz für Eltern vor, die jeweils zwischen 28 und 32 Stunden pro Woche arbeiten. Konkret soll es dafür im Anschluss an das Kinderbetreuungsgeld für jedes Elternteil eine Geldleistung von 250 Euro im Monat geben. Frauen könnten dadurch entlastet werden, Männer mehr Zeit für Familie bekommen.
Bei allen Initiativen zur besseren Vereinbarkeit im Betrieb sollen sowohl Frauen als auch Männer aktiv angesprochen werden. Wichtig ist, mit Beschäftigen in Elternkarenz den Kontakt zu halten: Sie zum Beispiel zur jährlichen Unternehmensfeier einzuladen oder zu einem Karenzfrühstück, um über das betriebliche Geschehen und Weiterbildungen zu informieren.
Eva Burger von der AK Wien plädiert für Karenzmanagement in allen Betrieben. Das kann ein Gespräch zur Planung vor der „Karenz-Pause“ zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden sein oder auch ein aktives Begleiten beim Wiedereinstieg.
Auf jeden Fall auch im Betriebsratsgremium soll das Thema aufschlagen, betont Karin Zimmermann vom ÖGB. Denkbar sind Umfragen, um ein Stimmungsbild unter den Beschäftigten hinsichtlich Vereinbarkeit zu bekommen oder den Bedarf von Ferienaktionen auszuloten. Bei Betriebsvereinbarungen unterstützt die zuständige Gewerkschaft.
Wenn Noah schläft, werden Cornelia und Daniel endlich Zeit gefunden haben, diesen Text zu lesen. Manchmal helfen Tante und Opa mit, so dass die berufstätigen Eltern eine kurze Auszeit bekommen.
Die AK Videos rund ums Thema Karenz und Kinderbetreuungsgeld findest du gesammelt in diese Playliste auf YouTube.