Imagebild Arbeitnehmerschutz © Stefan Hasenhuendl - stock.adobe.com


Gesunder Arbeitsplatz

Arbeit­neh­mer:in­nen­schutz: Pa­tient Arbeits­­platz

Eine Bestands­auf­nahme zeigt: Der Arbeit­nehmer:in­nen­schutz ist in Österreich noch immer mangel­haft. Woran liegt das?

Delna Antia-Tatić
04.10.2024

Das Firmenyoga wird die Situation kaum retten. Und der hübsche Obstkorb auch nicht. Wer in Österreich arbeitet, läuft Gefahr, krank zu werden – körperlich und/ oder psychisch. Über 86 Prozent aller Erwerbs­tätigen sind mindestens einem Risiko­faktor am Arbeits­platz ausgesetzt. Trotz Sonnengruß via Teams und einem Apfel nach dem Mittag­essen. 


Viele Baustellen beim Arbeitnehmer:innenschutz

Die Krankmacher-Palette ist breit: Von krebserzeugenden Arbeits­stoffen und Arbeit mit schweren Lasten über psychischen Druck im Job. Bis zur Pension gesund und sicher durchs Arbeitsleben zu kommen, wird zunehmend zur Heraus­forderung. Wie kann das sein? Immerhin gilt in Österreich seit 30 Jahren das ASchG – das Arbeit­nehmerInnen­schutzgesetz. Damit stehen Arbeitgeber:innen gesetzlich in der Fürsorgepflicht. Sprich, sie sind verpflichtet, für die Sicherheit und Gesundheit ihrer Beschäftigten am Arbeits­platz zu sorgen. Und zwar präventiv. 

Doch eine neue FORBA-Studie, im Auftrag der AK und mit Unterstützung des ÖGB, zeigt: Seit 1994 hat sich viel verbessert, gut ist die Situation aber auch 2024 nicht. „Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz ist eine große Errungenschaft für die Beschäftigten in Österreich“, erklärt Johanna Klösch im Gespräch. Sie ist Expertin für Sicherheit, Gesundheit und Arbeit der AK Wien.

Mit dem ASchG wurden Arbeitgeber:innen zur Evaluierung ihrer Arbeitsplätze verpflichtet. Das beinhaltet auch Schutzmaßnahmen, wenn Gefahren für Sicherheit und Gesundheit erfasst wurden. „Jedoch zeigt unsere Studie, dass es noch viele Baustellen gibt und dass viele Arbeitgeber:innen bei ihren Schutzverpflichtungen säumig sind.“

webtipp

Tipp Symbolbild © AK Wien

FORBA-Studie: Arbeit­nehmer:in­nen­schutz

Die Studie „Arbeit­nehmer:innen­schutz in Österreich: Eine Bestands­aufnahme – mit Zukunft“ (Juni 2024) findest du hier.

„Ein guter Arbeit­neh­mer:in­nen­schutz hängt an der Mit­wir­kung des Be­triebs­rats.


Johanna Klösch, AK Wien

Johanna Klösch, AK Wien © Markus Zahradnik
© Markus Zahradnik
Johanna Klösch, AK Wien

„Ein Yoga­kurs ist nett. Aber tat­säch­lich brau­chen wir ein Sys­tem, das nicht krank macht und gesund er­hält.


Dorottya Kickinger, ÖGB

Dorottya Kickinger, ÖGB © privat
© privat
Dorottya Kickinger, ÖGB

Homeoffice selten evaluiert 

Das macht vor allem die Befragung unter Betriebs­rats­vor­sitzenden deutlich. So würde in fast 30 Prozent der Betriebe keine regelmäßige Ermittlung körperlicher oder psychischer Belastungen statt­finden. Und wer nichts erhebt, kann auch nichts verbessern. Kleinere Betriebe evaluieren sogar noch seltener. Die Befragung zeigt auch, dass gerade einer der beliebtesten Arbeits­plätze nur höchst selten unter die Lupe genommen wird: „Homeoffice“ wird in 79 Prozent der Betriebe nicht evaluiert.

Dabei kann auch Arbeiten in heimeliger Umgebung krank­machen. Ergo­no­mi­sche Probleme belasten hier genauso, wie wenn Arbeits­welt und Privat­leben miteinander verschwimmen. Die befragten Betriebsratsvorsitzenden attestieren, dass 30 Prozent der Betriebe die Arbeit (eher) nicht so gestalten, dass die Beschäftigten sie bis zur Pensionierung sicher und gesund ausführen können.

Was viele nicht wissen: Arbeits­bedingter Krebs ist nach wie vor die häufigste Todes­ursache am Arbeits­platz. Im Vergleich zu Deutschland sind die geltenden Vorschriften zur höchstzulässigen Dosis von krebs­erzeu­genden Stoffen in der Luft ungenügend. Verbindliche Ober­grenzen für das Bewegen von Lasten fehlen ebenso. Und stunden­langes Sitzen und Stehen führt vermehrt zu Muskel-Skelett­erkrankungen. Die Gesundheits­risiken haben sich wie die Arbeits­welt verändert.

broschürentipp

Cover Arbeitnehmer-innenschutz und Gesundheit © AK Wien

Arbeit­nehmer:innen­schutz

Alle wichtigen Infos zu diesem Thema findest du im AK Ratgeber „Arbeitnehmer:innenschutz und Gesundheit. Arbeit darf nicht krank machen“. 

Digitali­sierung belastet Psyche 


„Die Digitali­sierung bringt steigende Anfor­derungen an die Beschäftigten mit sich,“ erklärt Klösch. Als Arbeits­psychologin sieht sie, wie etwa mit der Flut an Benach­richtigungen der Arbeits­druck zunimmt. Ob am Bau, in der Pflege oder im Handel, an Zeitdruck leiden die Arbeit­nehmer:innen überall. Laut Statistik Austria waren 60 Prozent aller Erwerbs­tätigen 2022 zumindest einem psychischen Gesundheits­risiko am Arbeits­platz ausgesetzt. Mit Folgen: Schlaf­störungen, Sucht und Angst­zustände. 

Und ein Blick auf die Zahlen der Invaliditäts- und Berufs­unfähigkeits­pension führt die Konse­quenzen vor Augen: Beinahe die Hälfte, etwa 45 Prozent, beziehen 2022 die Berufs­unfähigkeits­pension aufgrund psychischer Störungen. Als Arbeits­psychologin ist Johanna Klösch auch Expertin für die Arbeits­platz­gestaltung. „Nicht der Mensch ist unser Patient, sondern der Arbeits­platz.“ Es brauche strukturelle Änderungen. Dem Betriebsrat kommt hier eine zentrale Funktion zu. Dort, wo er eingebunden ist, läuft es besser. „Ein guter Arbeit­nehmer:in­nen­schutz hängt an der Mitwirkung des Betriebsrats.“

gut zu wissen


Immer dranbleiben! 
Worauf kann der Betriebsrat achten? 

Tipps von Dorottya Kickinger,
ÖGB-Expertin für Arbeitnehmer:innenschutz: 

  • Regelmäßig evaluieren und Schutzmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit überprüfen. 
  • Arbeits­psycholog:innen einbinden, um psychischen Gefahren vorzubeugen. 
  • Gemeinsam Verein­barungen treffen und als Betriebskultur etablieren. Zum Beispiel „Keine Mails um 22 Uhr beantworten müssen.“ 
  • Gesundheit und Sicherheit sind eine Frage von Information und einer korrekten Unter­weisung. Erklären, warum etwa Sicherheits­handschuhe bei Reinigungs­arbeit wichtig sind. 
  • Gewalt am Arbeitsplatz nimmt zu. Hier aktiv Schutz­maßnahmen setzen! 


Weitere Artikel

Johanna Kloesch, AK und Dorottya-Kickinger, ÖGB © Markus Zahradnik
Interview
Psychische Belastungen: Arbeit ist an Menschen anzupassen
Psychische Belas­tungen der Beschäf­tigten gehören besser abge­federt. Johanna Klösch (AK) und Dorottya Kickinger (ÖGB) im Gespräch.
Imagebild Hochwasser © Rico Loeb - stock.adobe.com
Arbeitsrecht
Dienst­verhin­derung bei Hoch­wasser 
Hoch­wasser und andere Natur­katas­trophen stellen Arbeit­nehmer:innen vor arbeits­rechtliche Fragen. Hier findest du Antworten.