Johanna Klösch: Die psychischen Belastungen sind klar als Teil der Arbeitsplatzevaluierung verankert worden. Die Arbeitgeber:innen müssen arbeitsplatzbedingte psychische Risiken erheben und durch qualitätsgeprüfte Verfahren beurteilen. Wenn sich psychische Gefahren herausstellen, sind sie durch ursachenbezogene, kollektiv wirksame Maßnahmen zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren.
Johanna Klösch: Ja, das hat eine Befragung der EU-OSHA, der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, ergeben. Auch aus dem Mikrozensus der Statistik Austria geht hervor, dass rund 60 Prozent der Beschäftigten zumindest einem psychischen Gesundheitsrisiko am Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Markant sind der Zeitdruck, die Arbeitsüberlastung, der Umgang mit schwierigen Personen, schlechte Kommunikation, aber auch Mobbing und Gewalt sind Thema.
Dorottya Kickinger: Dazu kommt, dass mit den Ergebnissen der Evaluierung oft nicht weitergearbeitet wird. Deshalb wäre es wichtig, dass vermehrt Arbeitspsycholog:innen zur Gestaltung von psychisch gesunder Arbeit zum Einsatz kommen, damit die Maßnahmen gemeinsam entwickelt und nach der Umsetzung auf ihre Wirksamkeit überprüft werden – gemeinsam mit den Sicherheitsvertrauenspersonen und mit dem Betriebsrat.
Dorottya Kickinger, ÖGB
Johanna Klösch, AK Wien
Johanna Klösch: Auf jeden Fall! Das zeigt auch, dass die Evaluierung nicht in dem Sinn umgesetzt wird, wie es vorgesehen war. Deshalb fordern wir hier Anpassungen und dass im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz Arbeitspsycholog:innen, gleichwertig mit anderen Präventivfachkräften wie Arbeitsmediziner:innen und Sicherheitsfachkräften, zu verankern sind. Sonst fehlt einfach die Expertise für psychisch gesunde Arbeitsbedingungen.
Dorottya Kickinger: Und es gibt immer wieder Missverständnisse, weil das Gesetz zu schwammig ist. Wir brauchen eine Durchführungsverordnung, damit konkretisiert wird, wer das machen darf, wie die Prozessstandards sind, welche Kriterien es für die Evaluierungsverfahren gibt. Ein großer blinder Fleck ist die Wirksamkeit der Maßnahmen – dass die überprüft werden müssen, wissen auch viele nicht.
Dorottya Kickinger: Betriebe jammern über „Fachkräftemangel“. Aber die Arbeitsbedingungen und ein psychisch gesunder Arbeitsplatz werden immer wichtiger. Gute und gesunde Arbeit muss mehr ins Zentrum rücken – und das ist mehr als Yoga. Wenn gute Arbeitsbedingungen herrschen hinsichtlich Arbeitszeit, Planbarkeit, Arbeitsklima und Bezahlung, wird man Beschäftigte leichter finden.
Johanna Klösch: Es geht um Maßnahmen, die an Verhältnissen ansetzen, nicht am Verhalten der Beschäftigten. Das ist ja zynisch, wenn die Arbeitnehmer:innen unter extremem Druck stehen und die Arbeitgeber:innen als Ausgleich einen Yogakurs anbieten. Damit man noch leistungsfähiger wird? Yoga ist gut, keine Frage. Aber ich muss die den Druck auslösenden Bedingungen in Griff kriegen. Wenn ich weiß, ich habe zu wenig Personal, muss ich dort ansetzen – nicht die Beschäftigten optimieren. Die Arbeit ist an den Menschen anzupassen, nicht der Mensch an die Arbeit!
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Dorottya Kickinger: Das wäre eine Möglichkeit, aber zu wenig. Sie sollen auf jeden Fall wirksame Schutzmaßnahmen und Expert:innen, also Arbeitspsycholog:innen, für die Evaluierung einfordern. Es hapert oft an den Strukturen. Da braucht es Änderungen, hier sollen sich die Betriebsräte einbringen. Es geht letztlich um die psychisch menschengerechte, gesunde und sichere Gestaltung von Arbeit. Die Arbeitgeber:innen können sich nicht abputzen und sagen, das liegt alles bei den Arbeitnehmer:innen – sondern es ist umgekehrt. Die Verantwortung für die psychisch gesunde Gestaltung von Arbeit liegt bei den Arbeitgeber:innen, nicht bei den Beschäftigten. Das muss ein Stück weit in die Köpfe rein.
Welche Rahmenbedingungen braucht es, um psychischen Belastung am Arbeitsplatz vorzubeugen? Erfahre in diesem Video mehr.