Johanna Kloesch, AK und Dorottya-Kickinger, ÖGB © Markus Zahradnik
Interview

Psychi­sche Belas­tungen: Arbeit ist an Men­schen anzu­passen

Rund 60 Pro­zent der Beschäf­tigten sind zumin­dest einem psychi­schen Gesund­heits­risiko am Arbeits­platz aus­gesetzt. Die psy­chischen Belas­tungen der Be­schäf­tigten gehören besser ab­gefe­dert.

Heike Hausensteiner
09.10.2023

De­tails dazu er­läu­tern die Ex­pertin­nen von AK und ÖGB, Johanna Klösch und Dorottya Kickinger, im Ge­spräch mit AKtuell.

AKtuell: Laut ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) sind Arbeit­geber:innen seit 2013 explizit für die arbeits­beding­te psy­chische Gesund­heit der Arbeit­nehmer:in­nen ver­ant­wort­lich. Was bedeutet das kon­kret? 

Johanna Klösch: Die psychi­schen Belas­tungen sind klar als Teil der Arbeits­platz­eva­luierung ver­an­kert worden. Die Arbeit­geber:innen müssen arbeits­platz­bedingte psychi­sche Risi­ken erhe­ben und durch qualitäts­geprüfte Ver­fahren beur­teilen. Wenn sich psychische Gefahren heraus­stellen, sind sie durch ursachen­bezo­gene, kollektiv wirk­same Maß­nahmen zu besei­tigen oder zumin­dest zu redu­zieren. 

AKtuell: In 62 Prozent der öster­rei­chi­schen Unter­nehmen gibt es keinen Maß­nahmen­plan gegen arbeits­beding­ten Stress. 

Johanna Klösch: Ja, das hat eine Befra­gung der EU-OSHA, der Europä­ischen Agentur für Sicher­heit und Gesund­heits­schutz am Arbeits­platz, ergeben. Auch aus dem Mikro­zensus der Statistik Austria geht hervor, dass rund 60 Prozent der Beschäf­tigten zumindest einem psychi­schen Gesund­heits­risiko am Arbeits­platz ausgesetzt sind. Markant sind der Zeitdruck, die Arbeits­überlastung, der Umgang mit schwierigen Personen, schlechte Kommunikation, aber auch Mobbing und Gewalt sind Thema. 

Dorottya Kickinger: Dazu kommt, dass mit den Ergeb­nissen der Evaluierung oft nicht weiter­gearbeitet wird. Deshalb wäre es wichtig, dass vermehrt Arbeits­psycholog:innen zur Gestal­tung von psychisch gesunder Arbeit zum Einsatz kommen, damit die Maß­nahmen gemeinsam entwickelt und nach der Umsetzung auf ihre Wirksamkeit überprüft werden – gemeinsam mit den Sicher­heits­vertrauens­personen und mit dem Betriebs­rat.

 

Imagebild Psychische Belastungen am Arbeitsplatz © Marco2811 - stock.adobe.com
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„Gute und ge­sun­de Ar­beit muss mehr ins Zent­rum rücken – und das ist mehr als Yoga.“

Dorottya Kickinger, ÖGB

 






„Es geht um Maß­nah­men, die an Ver­hält­nis­sen an­set­zen, nicht am Ver­hal­ten der Be­schäf­tig­ten.“

Johanna Klösch, AK Wien

AKtuell: Seit die Eva­luie­rung vor­ge­schrie­ben ist, hat sich der Arbeit­sall­tag weiter be­schleu­nigt durch den Boom von Digi­tali­sie­rung und Home­office sowie die hohe Arbeits­kräfte­nach­frage. Brennt nicht schon längst der Hut? 

Johanna Klösch: Auf jeden Fall! Das zeigt auch, dass die Evaluie­rung nicht in dem Sinn umge­setzt wird, wie es vor­gesehen war. Deshalb fordern wir hier Anpassungen und dass im Arbeit­neh­merInnen­schutz­gesetz Arbeits­psycholog:innen, gleich­wertig mit anderen Präventiv­fach­kräften wie Arbeits­mediziner:innen und Sicher­heits­fach­kräften, zu verankern sind. Sonst fehlt einfach die Expertise für psychisch gesunde Arbeits­bedingungen. 

Dorottya Kickinger: Und es gibt immer wieder Miss­verständnisse, weil das Gesetz zu schwammig ist. Wir brauchen eine Durch­führungs­verordnung, damit kon­kretisiert wird, wer das machen darf, wie die Prozess­standards sind, welche Kriterien es für die Evaluierungs­ver­fahren gibt. Ein großer blinder Fleck ist die Wirk­sam­keit der Maß­nahmen – dass die über­prüft werden müssen, wissen auch viele nicht.

AKtuell: Warum ist das Thema gerade jetzt so wichtig? 

Dorottya Kickinger: Betriebe jammern über „Fach­kräfte­mangel“. Aber die Arbeits­bedingungen und ein psychisch gesunder Arbeits­platz werden immer wichtiger. Gute und gesunde Arbeit muss mehr ins Zentrum rücken – und das ist mehr als Yoga. Wenn gute Arbeits­bedingungen herrschen hinsichtlich Arbeits­zeit, Plan­bar­keit, Arbeits­klima und Bezahlung, wird man Beschäf­tigte leichter finden. 

Johanna Klösch: Es geht um Maßnahmen, die an Verhält­nissen ansetzen, nicht am Verhalten der Beschäftigten. Das ist ja zynisch, wenn die Arbeit­nehmer:innen unter extremem Druck stehen und die Arbeitg­eber:innen als Ausgleich einen Yoga­kurs anbieten. Damit man noch leistungs­fähiger wird? Yoga ist gut, keine Frage. Aber ich muss die den Druck aus­lösenden Bedin­gungen in Griff kriegen. Wenn ich weiß, ich habe zu wenig Personal, muss ich dort ansetzen – nicht die Beschäftigten optimieren. Die Arbeit ist an den Menschen anzupassen, nicht der Mensch an die Arbeit! 


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Cover Arbeitnehmer-innenschutz und Gesundheit © AK Wien

Arbeit darf nicht krank machen

Hier findest du – gratis zum Download – alle wichtigen Infos rund um Arbeit­neh­mer:in­nen­schutz und Ge­sund­heit.

AKtuell: Was können Betriebsrät:innen jetzt tun? Eine anonyme Beschwerdebox aufstellen? 

Dorottya Kickinger: Das wäre eine Möglichkeit, aber zu wenig. Sie sollen auf jeden Fall wirksame Schutz­maßnahmen und Expert:innen, also Arbeits­psycholog:innen, für die Evalui­erung einfordern. Es hapert oft an den Strukturen. Da braucht es Änderungen, hier sollen sich die Betriebs­räte ein­bringen. Es geht letztlich um die psychisch men­schen­gerechte, gesunde und sichere Gestaltung von Arbeit. Die Arbeit­geber:innen können sich nicht abputzen und sagen, das liegt alles bei den Arbeit­nehmer:innen – sondern es ist umge­kehrt. Die Verant­wortung für die psy­chisch gesunde Gestaltung von Arbeit liegt bei den Arbeit­geber:innen, nicht bei den Beschäf­tigten. Das muss ein Stück weit in die Köpfe rein.


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Tipp Symbolbild © AK Wien

Prä­ven­tion von psy­chi­schen Be­las­tun­gen

Welche Rahmen­bedin­gun­gen braucht es, um psychischen Belas­tung am Arbeits­platz vorzubeugen? Er­fahre in diesem Video mehr. 

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