Bei den Arbeitsbedingungen mitreden zu können, wer will das nicht? Julius-Jürgen Mayer, Betriebsratsvorsitzender der Arbeiter:innen beim Tiernahrungsproduzenten Royal Canin in Bruck an der Leitha, bindet die Beschäftigten ein. Zuhören, was den Arbeiter:innen wichtig ist, Verhandlungsergebnisse diskutieren und die Belegschaft über verschiedene Vorschläge in geheimer Wahl abstimmen lassen: So arbeitet das Betriebsratsteam. Auf diese Weise wurde für die rund 300 Arbeiter:innen ein neues Arbeitszeitmodell mit verkürzter Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich eingeführt. Dem Unternehmen ermöglicht es die Produktion rund um die Uhr in fünf Schichten. Per Wahl entschieden wurde auch die Ausgestaltung der generellen Regelung für den Urlaubsverbrauch. „Jetzt können alle im Sommer zumindest zwei Wochen am Stück Urlaub nehmen. Zuvor gab es öfters Unstimmigkeiten.“ Wählen wirkt – das wird hier schon auf betrieblicher Ebene für alle Beteiligten greifbar.
Michael Trinko, ÖGB
Doch viele Unternehmen signalisieren den Beschäftigten, dass sie jegliche Form der Mitbestimmung ablehnen. „Gerade bei Betrieben, die noch keinen Betriebsrat haben, verbreitet die Geschäftsführung oft die Grundstimmung: Ihr könnt von mir alles haben, aber einen Betriebsrat will ich nicht“, sagt Philipp Brokes, stellvertretender Leiter der Abteilung Sozialpolitik in der AK Wien. Verfehlen die Signale ihre Wirkung, greift so manches Unternehmen in die Trickkiste. Im XXXLutz-Zentrallager in Zurndorf kündigte der Arbeitgeber wenige Stunden nach Bekanntmachung einer Betriebsversammlung zur Gründung eines Betriebsrats einen der Initiatoren der Betriebsratsgründung. Am Tag der geplanten Betriebsversammlung wurde die Belegschaft per „verfrühtem Dienstschluss“ kurzfristig nach Hause geschickt.
Für die Vorfeldinitiator:innen einer Betriebsratsgründung fehlt ein wirksamer Kündigungsschutz. „Da braucht es nur eine dünne Wand, durch die der Arbeitgeber mitbekommt, dass jemand die Gründung eines Betriebsrats andenkt, und schon kommen die Störmanöver in Gang: Einschüchtern, zermürben, kündigen“, sagt Brokes. Das Arbeitsverfassungsgesetz sieht die Gründung eines Betriebsrats ab fünf Arbeitnehmer:innen vor. Doch in den allermeisten Fällen bleibt der vom Betriebsinhaber ausgehende Boykott einer Betriebsratsgründung folgenlos. „Strafrechtlich belangen könnte man den Arbeitgeber im Falle einer Nötigung. Dazu müsste er die Betriebsratsgründung mit Gewalt verhindern, und wir wissen, dass das meist viel subtiler abläuft“, so Brokes.
Bei Wahlen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene ist es anders: „Hier gibt es klare strafrechtliche Sanktionen. Jeder weiß, dass es strafbar ist, wenn ich bei diesen Wahlen den Zugang zum Wahllokal versperre oder Wahlkarten unterschlage“, so Brokes. Diese Bestimmungen des Strafgesetzbuches finden im Übrigen auch bei der AK-Wahl Anwendung. Sie beziehen sich auf die Wahlbehinderung ebenso wie auf die Täuschung, die Bestechung, die Fälschung, das Verbreiten falscher Nachrichten bei einer Wahl, die Verletzung des Wahlgeheimnisses oder die Verhinderung der Wahl. „Jeder Betrieb, der aktiv dazu bei- Strafrechtsbestimmung als Offizialdelikt auszuträgt, dass die Abhaltung der AK-Wahl behindert wird, muss damit rechnen, dass das eine Relevanz strafrechtlicher Natur haben könnte“, sagt Brokes.
Auch in Deutschland kommt es immer wieder zur Verhinderung von Betriebsräten durch Unternehmen. Doch im Nachbarland ist das ein Strafdelikt, das mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe sanktioniert werden kann. „Die Strafrechtsbestimmung gilt für die Behinderung von Betriebsratswahlen, ebenso für die Behinderung oder Störung der Tätigkeit des Betriebsrats“, erklärt Kerstin Jerchel, Bereichsleiterin Mitbestimmung bei der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Allerdings, so Jerchel, wird die Tat nur auf Antrag verfolgt. „Viele trauen sich nicht, den eigenen Arbeitgeber anzuzeigen.“ Geschieht dies doch, schleppen sich die Ermittlungsverfahren oft über lange Zeit oder werden von Strafrechtler:innen bearbeitet, die zu wenig vom Arbeitsrecht verstehen.
Martin Behrens von der deutschen Hans-Böckler-Stiftung bringt das Problem in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt: Staatsanwälte seien mit Morden oder Einbrüchen zu ausgelastet, um die minder schweren Betriebsratsfälle zu verfolgen. Kerstin Jerchel plädiert für die Bildung einer Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft, bestehend aus Arbeitsrechtler:innen, die speziell für diese Fälle geschult werden und sie als Expert:innen rasch bearbeiten. Rückenwind für die Betriebsräte kommt in Deutschland von der Bundesregierung. Sie plant die bestehende Strafrechtsbestimmung als Offizialdelikt auszugestalten. Störmanöver gegen Betriebsratsgründungen und die Betriebsratsarbeit müssten dann von Amts wegen verfolgt werden, ganz ohne Anzeige.
Michael Trinko, Arbeitsrechtsexperte im ÖGB, wünscht sich ähnliche strafrechtliche Schutzbestimmungen für Österreich. Zusätzlich, so Trinko, brauche es für Vorfeld-Initiator:innen von Betriebsratswahlen den umfassenden Kündigungsschutz, wie er für Betriebsrät:innen gelte – sprich: Eine Kündigung oder Entlassung soll nur mit Zustimmung des Arbeitsgerichts möglich sein.
Wer im Unternehmen merkt, dass seine Stimme zählt, beteiligt sich auch eher an anderen Wahlen. Doch die Anforderungen an die Betriebsratsteams werden immer komplexer. „Egal, ob man nun 80 Beschäftigte vertritt oder 150: Wenn man nicht im stillen Kammerl sitzt, sondern die Mitbestimmung im Betrieb aktiv lebt, ist das ein Riesenaufwand“, sagt Betriebsratsvorsitzender Julius-Jürgen Mayer. Demokratie erfordert Zeit und Ressourcen. „Wir verlangen deshalb das Recht auf mehr Freistellungen für Betriebsratsmitglieder, und auch bei geringeren Beschäftigtenzahlen“, legt ÖGB-Experte Trinko nach.
Mach dich stark als Betriebsrat. Bilde Macht!
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