Im Roten Bogen, bei der U6-Station Josefstädter Straße in Wien, finden sich täglich Dutzende Fahrradbot:innen (Rider) ein. Dort hat das sogenannte Riders Collective
sein Hauptquartier aufgeschlagen. Die Rider mit ihren bunten Jacken und Rucksäcken haben hier einen Ort für Pausen, zum Informationsaustausch
und für kleine Reparaturen an ihren Fahrrädern. Es ist ein zentraler Ort für gewerkschaftliche Organisation in der Branche.
Bei einer Studienpräsentation zu den Arbeitsbedingungen von Fahrradzusteller:innen (siehe Box) und anschließender Podiumsdiskussion mischten sich auch Forscher:innen und Journalist:innen zwischen die Rider. Neben Vertreter:innen des Riders Collective, des Forschungsinstituts ECSWPR und dem Digi-Fonds der AK Wien diskutierten die Betriebsrät:innen von mjam und Lieferando sowie der Pressesprecher von Lieferando am Podium über die Ergebnisse der Studie.
In der Branche der Fahrradbot:innen sticht eines sofort hervor: die unterschiedlichen Arbeitsverhältnisse – und das sogar von Firma zu Firma unterschiedlich. Während bei einem Unternehmen die Rider durchgängig mit ordentlichem Dienstvertrag beschäftigt sind, arbeiten beim nächsten die Mehrheit als freie Dienstnehmer:innen. Das Problem hierbei ist unterm Strich die unterschiedliche Entlohnung. Der Kollektivvertrag setzt einen Mindestlohn von 9,21 Euro pro Stunde plus Kilometergeld fest. Doch dieser gilt nicht für freie Dienstnehmer:innen. Im Durchschnitt stehen sie, verglichen mit ihren angestellten Kolleg:innen, schlechter da. Ein Angleichen der Arbeitsverhältnisse soll nicht nur eine gerechte Entlohnung für alle Rider schaffen, sondern auch die gewerkschaftliche Vertretungsarbeit verbessern.
Robert Walasinski, Riders Collective
Das Riders Collective ist eine Initiative des ÖGB gemeinsam mit Fahrradbot:innen, um in der Branche die Rider zu organisieren und sie über ihre Rechte zu informieren. Das Kollektiv ist von Montag bis Freitag im Roten Bogen einquartiert, wo Rider sich austauschen und beraten lassen können. www.riderscollective.at
Entgegen der verbreiteten Annahme, die Rider seien hauptsächlich studierende Fahrradfreaks, zeigen die Studienergebnisse ein anderes Bild. Lediglich ein Drittel der Befragten absolviert momentan ein Studium. Mehr als die Hälfte der Fahrradbot:innen steht momentan in keinem Ausbildungsverhältnis, arbeitet bereits mehr als zwölf Monate in der Branche und bezieht den Lohn als Haupteinnahmequelle. Ein Drittel der Rider hat einen österreichischen Pass, ein Drittel kommt aus EU-Mitgliedsländern und ein weiteres Drittel sind Drittstaatsangehörige.
Adele Siegl, Betriebsratsvorsitzende mjam
Einige der Rider haben schon Bekanntschaft mit dem harten Wiener Asphalt gemacht. Die Gefahren im Straßenverkehr sind tägliche Begleiterinnen der Zusteller:innen. Darüber hinaus gehören Drohungen und Beleidigungen ebenso zum Alltag. Speziell weibliche Rider sind vermehrt von sexueller Belästigung und beleidigendem Verhalten betroffen. Hier gibt es noch einigen Verhandlungsbedarf bei den Sozialpartnern, um einen adäquaten Rahmen für Sicherheits- und Gesundheitsthemen zu schaffen.
Die Befragten haben durchwegs ein positives Bild der Gewerkschaft. Sie wird insbesondere bei der generellen Interessenvertretung, bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und den Lohnverhandlungen als zentral angesehen. Dennoch ist für die Gewerkschaft das Gewinnen neuer Mitglieder in der Branche schwierig. Die beiden Hauptgründe, warum Rider noch nicht der Gewerkschaft beigetreten sind, sind vergleichbar mit anderen Branchen: Fehlendes Wissen über und mangelnder Kontakt zu den Gewerkschaften spielen hier bei rund der Hälfte der Befragten die ausschlaggebende Rolle. Das Potenzial für eine stärkere Organisierung der Branche ist demnach durchaus vorhanden.
Toni Pravdic, Betriebsratsvorsitzender Lieferando
In der Studie werden die Ergebnisse
des Forschungsprojekts „Arbeitnehmer*innen-Vertretung in der Gig-Economy – Erfahrungen von Fahrradzusteller*innen in Österreich“ präsentiert. Sie wurde vom AK-Digi-Fonds gefördert und u. a. vom ÖGB, dem Riders Collective und dem ETUI unterstützt.
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