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Wahlrecht im Betrieb

OGH-Urteil: Leiharbeiter:innen dürfen Betriebsrat wählen

Sind Leiharbeiter:innen bei der Betriebsratswahl wahlberechtigt? Bisher war umstritten, in welchen Fällen sie im Beschäftigerbetrieb mitwählen dürfen. Ein OGH-Urteil hält fest: Leiharbeitskräfte sind wahlberechtigt. AK-Experte Hannes Schneller im Interview.
Martina Fassler
31.05.2022
in diesem Artikel

    Der Fall: Produktionsbetrieb wollte Betriebsratswahl für ungültig erklären lassen

    Im Frühjahr 2019 wählten die Arbeiter:innen in einem Produktionsbetrieb ihren Betriebsrat neu. In diesem Betrieb gab es neben der Stammbelegschaft viele überlassene Arbeitskräfte. Der Wahlvorstand kam unter Einrechnung der Leiharbeitskräfte auf 603 wahlberechtigte Arbeitnehmer:innen – und damit auf zehn Betriebsratsmitglieder, die zu wählen waren.  


    Die Wahl fand planmäßig statt, aber der Arbeitgeber wollte die Betriebsratswahl vom Gericht für ungültig erklären lassen; er brachte eine Betriebsrats-Wahlanfechtungsklage nach § 59 Arbeitsverfassungsgesetz ein.

    Interview mit AK-Experte Hannes Schneller zum OGH-Urteil

    AKtuell: Was passte dem Arbeitgeber im konkreten Fall an der durchgeführten Betriebsratswahl nicht?

    Er beanstandete, dass im Verhältnis zur Belegschaftsstärke zu viele Betriebsratsmitglieder gewählt worden seien. Dazu führte er vor Gericht an, dass jene Leiharbeitskräfte, die weniger als sechs Monate im Betrieb waren, nicht mitwählen hätten dürfen. Außerdem war er der Ansicht, dass auch Leiharbeitskräfte, die zwar mehr als ein halbes Jahr im Betrieb waren, aber im Überlasserbetrieb einen Betriebsrat hatten, nicht wahlberechtigt wären.  

    Wie entschied das Gericht?  

    Das Erst- und das Zweitgericht gaben dem Arbeitgeber recht. Mithilfe der Gewerkschaft PRO-GE gelang es dem Betriebsrat aber, den Obersten Gerichtshof einzuschalten. Denn in der Rechtsprechung fehlte eine klare Aussage, unter welchen Voraussetzungen Leiharbeitskräfte im Beschäftigterbetrieb wahlberechtigt sind.  

    In der Fachliteratur gab es einerseits die Einschätzung, dass Leiharbeitskräfte zumindest sechs Monate im Betrieb sein müssen. Mehrheitlich wird in der Rechtswissenschaft aber argumentiert, dass für Leiharbeitskräfte dieselben Voraussetzungen gelten wie für das Stammpersonal, das Faktum der Eingliederung in die Betriebsorganisation sei unabhängig von der Dauer maßgeblich. Denn auch beim Stammpersonal gilt punkto aktives Wahlrecht keine Mindestbeschäftigungsdauer. Der Oberste Gerichtshof schloss sich diesen Rechtsmeinungen an.  

    Webtipp

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    Das OGH-Urteil zum Nachlesen

    Alle Details zum Urteil des Obersten Gerichtshof findest du hier

    Wann sind Leiharbeitskräfte demnach wahlberechtigt?

    Die Wahlberechtigung ist an zwei Stichtage geknüpft, die man in § 52 Arbeitsverfassungsgesetz und in der Betriebsratswahlordnung findet. Dort steht, dass man am Tag der Wahl des Wahlvorstandes im Betrieb beschäftigt sein muss und am Tag der Wahl. Diese beiden Stichtage, die rund vier Wochen auseinanderliegen, sind relevant. 


    Anders gesagt: Wer als Leiharbeitskraft vom ersten der beiden Stichtage bis zum zweiten, dem Tag der Betriebsratswahl, durchgehend im Betrieb arbeitet, ist wahlberechtigt.


    Wie urteilte der OGH in der zweiten Streitfrage?

    Auch hier teilt der OGH die Auffassung der PRO-GE, es ist also unerheblich, ob bereits eine betriebliche Interessenvertretung durch den Überlasser-Betriebsrat besteht. Denn der Beschäftigerbetrieb übernimmt auch bei Leiharbeitskräften gewisse Arbeitgeberfunktionen. 

    Er ist zum Beispiel für den Arbeitnehmer:innenschutz zuständig, ebenso entscheidet er meist über die Arbeitszeit. Folgerichtig vertritt in diesen Angelegenheiten der Betriebsrat des Beschäftigterbetriebs auch die Interessen der Leiharbeitskräfte.  

    Geht es um Angelegenheiten, die der Überlasser verantwortet, wie die Einstufung in den Kollektivvertrag, kommt dagegen der Betriebsrat im Überlasserbetrieb zum Zug. Die Zuständigkeit der zwei Betriebsräte ergänzt sich je nach konkreter Angelegenheit.  

    Daraus folgt: Auch Leiharbeitskräfte und ihre Vertretung verursachen beim Betriebsrat des Beschäftigerbetriebs einen zeitlichen Aufwand. Deshalb sind die Leiharbeitskräfte auch zu berücksichtigen bei der Frage, wie viele Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, erklärt der OGH in seinem Urteil.


    Wie bewertest du das Urteil?

    Das Urteil bringt mehr Schutz für die Leiharbeitskräfte. Noch besser finde ich aber, wenn aus Leiharbeitskräften Stammpersonal wird. Denn Leiharbeit geht häufig mit beruflicher Unsicherheit einher. 


    Wie kann der Betriebsrat da etwas verbessern?

    Der Betriebsrat kann den Arbeitgeber zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung über die Arbeitskräfteüberlassung auffordern und sich notfalls an die Schlichtungsstelle wenden.  

    Es handelt sich dabei um eine erzwingbare Betriebsvereinbarung und ich empfehle, in der Vereinbarung einen Kündigungsverzicht betreffend Stammarbeitnehmer:innen, eine maximale Entleihdauer oder ein Kontrahierungsgebot zu verankern. Das bedeutet, offene Stellen sind vom Entleiher-Arbeitgeber (Beschäftiger) zuerst den Leiharbeitskräften anzubieten, die bereits seit längerem im Betrieb arbeiten. So haben Leiharbeitskräfte die Chance auf mehr berufliche Sicherheit. 


    Zusammenfassung

    Ein richtungsweisendes Grundsatzurteil hat der Oberste Gerichtshof in Zusammenhang mit Leiharbeitskräften gefällt. Sie sind, sofern sie in den Betrieb eingegliedert sind, im Beschäftigerbetrieb aktiv wahlberechtigt. Eine Mindestbeschäftigungsdauer von sechs Monaten ist nicht notwendig. Auch Leiharbeitskräfte mit eigenem Betriebsrat im Überlasserbetrieb sind bei der Betriebsratswahl im Beschäftigerbetrieb aktiv wahlberechtigt.


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