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OGH erteilt Lohndumping eine Absage

Der Oberste Gerichtshof fällte eine wichtige Entscheidung zum Schutz der Leiharbeiter:innen. Der Versuch eines Unternehmens, die strikte Auslegung des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes durch Berufung auf EU-Recht auszuhebeln, scheiterte. AK Arbeitsrechtsexperte Wolfgang Kozak im Interview.
Martina Fassler
21.05.2022
in diesem Artikel

    Der Fall: STRABAG entlohnte Beschäftigte nach falschem Kollektivvertrag

    Die Vorgeschichte: Beschäftigte der STRABAG Property and Facility Services GmbH (kurz STRABAG) kontrollierten und reparierten in der Halle der Brau-Union in Niederösterreich „Wieselburger“-Bügelflaschen. Bezahlt wurden die Beschäftigten nach dem Kollektivvertrag für die Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger – und damit schlechter als die Stammbelegschaft der Brauerei.

    Die AK Niederösterreich zog für die Beschäftigten vor Gericht und bekam in allen Instanzen recht. Die Gerichte urteilten, dass es sich um Leiharbeit handle und die Beschäftigten nach dem Arbeitskräfteüberlassungs-Kollektivvertrag zu entlohnen seien. Auch vor dem OGH holte sich die STRABAG nun eine Abfuhr. Die AK Niederösterreich erstritt für die neun betroffenen Beschäftigten zwischen 3.500 und 19.000 Euro.

    Wir haben AK Arbeitsrechtsexperten Wolfgang Kozak zu den Hintergründen des Rechtsstreits befragt.


    Interview mit Wolfgang Kozak zum Fall

    AKtuell: Wie argumentierte das Unternehmen vor Gericht?

    Wolfgang Kozak: Das Unternehmen erklärte, es handle sich um die Abarbeitung eines Werkvertrages durch einen eigenständigen STRABAG-Betrieb innerhalb der Brauerei. Als Argumente dafür wurde vorgebracht, dass die Beschäftigten ihre Anweisungen nicht von Brauerei-Mitarbeiter:innen bekamen, sondern per Telefon von der STRABAG-Objektleiterin. Die Tische, an denen die Beschäftigten die Flaschen kontrollierten und reparierten, waren anfangs mit einem eigenen STRABAG-Schild gekennzeichnet. Für den Transport der Flaschen innerhalb der Halle hatte die STRABAG einen Stapler von der Brauerei angemietet. Man versuchte formell einen „Inselbetrieb“ innerhalb der Brauerei zu konstruieren. Praktisch lief die Arbeit anders ab.


    Gut zu wissen

    Was gilt als Leiharbeit?

    Der OGH bestätigt die strenge Rechtsprechung der Gerichte für innerösterreichische Fälle. Aufgrund „des klaren Wortlauts“ der gesetzlichen Bestimmung liegt Arbeitskräfteüberlassung bereits vor, wenn EINES der vier Merkmale zutrifft, die in §4 Abs 2 des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (AÜG) festgelegt sind. 

    § 4. Abs. 2 AÜG  
    Arbeitskräfteüberlassung liegt insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen, aber 

    1. kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunternehmer zurechenbares Werk herstellen oder an dessen Herstellung mitwirken oder 
    2. die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des Werkunternehmers leisten oder 
    3. organisatorisch in den Betrieb des Werkbestellers eingegliedert sind und dessen Dienst- und Fachaufsicht unterstehen oder 
    4. der Werkunternehmer nicht für den Erfolg der Werkleistung haftet.

    Wie schaute der Arbeitsalltag aus?

    Aus der Entscheidung des OGH geht hervor, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Beschäftigtengruppen gab. Die STRABAG-Beschäftigten forderten bei den Brau-Union-Mitarbeiter:innen die Paletten mit den Flaschen an, um sie reparieren zu können. Der Stapler in der Halle wurde von beiden Beschäftigtengruppen genutzt, das STRABAG-Schild war schon nach zwei Wochen weg, weil es beim Stapler-Fahren im Weg war.  

    Zudem verrichteten die STRABAG-Beschäftigten dieselbe Arbeit wie einige Brauerei-Beschäftigte, die ebenfalls teilweise Flaschen kontrollierten und reparierten. Ihr Werk bzw. ihre Dienstleistung unterschied sich nicht von jener der Brauerei-Beschäftigten.  

    Folgt man dem Wortlaut des österreichischen Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes ergibt sich klar, dass es sich damit um Arbeitskräfteüberlassung handelt.

    Weshalb zog das Unternehmen dann vor den OGH?

    Ansatzpunkt dafür war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der Fall „Martin Meat“. Er betraf eine grenzüberschreitende Entsendung von ungarischen Beschäftigten in einen österreichischen Schlachtbetrieb. Das EuGH Urteil besagt, dass bei grenzüberschreitenden Entsendungen in einer Gesamtbetrachtung von mehreren, eher formellen Kriterien zu prüfen ist, ob eine Arbeitskräfteüberlassung vorliegt. Dagegen reicht bei innerösterreichischen Fällen nach bestehendem Recht, dass eines der vier im Gesetz definierten Merkmale ausreicht, damit die Beschäftigung als Arbeitskräfteüberlassung bewertet wird. 

    In der Fachjudikatur wird diese Bestimmung und ihre strikte Auslegung durch die Gerichte heftig angegriffen. Vielen Unternehmen ist offenbar daran gelegen, die Löhne möglichst nach unten zu drücken. Der OGH hat den Versuch, die innerösterreichische Regelung und die ihr folgende strikte Rechtsprechung infrage zu stellen, erfreulicherweise abgeschmettert.  

    Was ist dein Tipp an Betriebsrät:innen?

    Wenn das Unternehmen plant, langfristig eine Tätigkeit auszulagern, sollte man sich zum Schutz der Stammbelegschaft und der externen Beschäftigten genau informieren, wie diese Arbeit in Hinkunft erbracht wird. Und ich empfehle, sich von der zuständigen Gewerkschaft beraten zu lassen.

     

    Webtipp

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    Infos für Leiharbeiter:innen und Betriebsrät:innen

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