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Mitbestimmung

Arbeits­ver­fassungs­ge­setz: Damit
Betriebe funktionieren

Ein hal­bes Jahr­hun­dert alt ist Öster­reichs Arbeits­ver­fassungs­gesetz. Das Betriebs­räte-Gesetz über­nimmt dabei eine führende Rolle.

Heike Hausensteiner
19.02.2024
in diesem Artikel

    Ob Urlaubs­anspruch oder Mutter­schutz, Arbeits­zeit oder Mit­wirkung und Mit­bestimmung im Betrieb – das alles waren Meilensteine in Österreich, die die österreichische Arbeits­welt nachhaltig geprägt haben. Die heute bekannten und bewährten Mitwirkungs­rechte von Betriebs­rät:innen wurden letztlich im Arbeits­verfassungs­gesetz (ArbVG) 1974 geregelt. Eine humane Arbeits- und Lebens­welt auf Augen­höhe mit den Interessen der Arbeit­nehmer:innen und ihrer Ver­treter:innen war dabei das primäre Ziel des Gesetzes. 

    Die Arbeiter­kammern sollten mit den Gewer­kschaften und Betriebs­räten gemeinsam einen bedeut­samen, demokratisch organisierten wirtschaftlichen Block bilden. Gleich­berechtigung durch Mitbestimmung und Selbst­verwaltung war der Ansatz, für den lange Zeit gekämpft wurde. So stammt das erste Betriebsräte-Gesetz bereits aus 1919.

    „Das ArbVG ist ein klu­ges, aus­ge­wo­ge­nes und be­währ­tes Ge­setz.“

    Rudolf Mosler, Uni­ver­sität Salz­burg

    Rudolf Mosler, Universität Salzburg © AK Wien
    © AK Wien
    Rudolf Mosler, Universität Salzburg, bei der 50-Jahr-Feier im Bildungs­zentrum der AK Wien

    Arbeits­ver­fassung: Einzig­artig in Europa

    Öster­reichs Arbeits­ver­fassung ist denn auch einzig­artig in Europa. Um eine „Verfassung“ handelt es sich aus juristischer Sicht im materiellen, nicht im formellen Sinn, so die Präzi­sierung des Arbeits­rechts­experten Rudolf Mosler von der Universität Salzburg bei der 50-Jahr-Feier im Bildungs­zentrum der AK Wien. Dazu zählt etwa das sozial­partner­schaftliche Modell, ähnlich wie in Deutsch­land, den Nieder­landen oder Skandinavien – im Gegen­satz zu den konflikt­orientierten Modellen Italiens oder Groß­britanniens. 

    Kollektivverträge mit Normwirkung

    Auf über­betrieblicher Ebene hebt Mosler insbesondere die Kollektiv­verträge mit Norm­wirkung hervor: Sie wirken wie Gesetze, sind auch einklagbar – und für 98 Prozent der Arbeit­nehmer:innen gültig. In Deutschland gelten die Tarif­verträge nur für die Hälfte der Beschäftigten. Die Kollektiv­vertrags­fähigkeit liegt in Österreich, im Unter­schied zu Deutschland, zentralisiert bei den Gewerk­schaften. Ein eindeutiger Vorteil für die Arbeit­nehmer:innen.



    buchtipp

    Buchcover "Arbeitsverfassungsgesetz in Frage und Antwort" © ÖGB-Verlag

    Rat­geber zum Arbeits­verfassungs­gesetz

    Der Rat­geber "Arbeits­verfassungs­gesetz in Frage und Antwort" erklärt kompakt das zentrale Rege­lwerk für die Betriebs­rats­arbeit in Österreich.

    „Wir müs­sen völlig neue Auf­ga­ben mit den­­sel­ben In­stru­­men­ten be­wäl­ti­gen.“

    Susanne Haslinger, PRO-GE

    Betriebsrat ab fünf Arbeitnehmer:innen

    Auf betrieblicher Ebene kann bereits ab fünf Arbeit­nehmer:in­nen ein Betriebs­rat gewählt werden. Die Schwellen­werte liegen in anderen Ländern bei 15, 20 oder hundert Beschäf­tigten. Den gesetzlich stärkeren Schutz der Betriebs­rät:innen, etwa durch Freistellungs­ansprüche und Kündigungs­schutz, wertet Rudolf Mosler so: „Dem Gesetz­geber ist wichtig, dass die gesetzliche Betriebs­verfassung funktioniert.“ Im Betriebs­demokratie-Index sieht er daher Österreich mit Dänemark, Deutschland, Finnland, den Nieder­landen und Schweden in der Spitzen­gruppe. „Das ArbVG ist ein kluges, ausgewogenes und bewährtes Gesetz.“ Es sei legistisch gut gemacht, auch wenn die geringfügigen Novellen der letzten paar Jahre hätten besser ausfallen können.

    Reformen

    Als Werkzeug taugt das Arbeits­verfassungs­gesetz genauso für die Zukunft. Da sieht Mosler eher geringen Änderungs­bedarf. Denkbar ist für ihn eine Modernisierung des „Arbeit­nehmer:innen“-Begriffs und des „Betriebs“-Begriffs: Dass etwa auch virtuelle Betriebs­beziehungen ein­bezogen werden. „Es muss kein Gebäude geben.“ Und dass Plattform-Arbeiter:innen wie Essens­lieferant:innen in ihrer Arbeit­nehmer:innen-Ähnlichkeit ebenfalls von den so wichtigen Mitwirkungs­rechten erfasst werden. Werden Betriebs­rats­gründungen verhindert, kann sich der Arbeits­rechts­experte außerdem Sanktionen vorstellen. Oder auch Gewerkschafts­rechte zu erweitern und den Kündigungs­schutz im Zuge von beabsichtigten Betriebs­rats­gründungen vor­zuverlegen.

    Fort­schrei­tende Digi­tali­sierung

    Hinzu kommt: „Wir müssen völlig neue Aufgaben mit den­selben Instru­menten bewältigen.“ So die Bedenken von Susanne Haslinger von der Gewerkschaft PRO-GE im Hinblick auf die fort­schreitende Digitali­sierung in den Betrieben. Den Fokus der Betriebs­rät:innen sieht sie auf der Mit­bestimmung und ortet daher „dringendsten Reform­bedarf“. Denn Österreich sei ein Land der inter­nationalen Töchter- und Enkel­töchter­unternehmen, verweist sie primär auf die kaum noch überblickbaren Firmen­konstruktionen und die zunehmende Inter­nationali­sierung der Unter­nehmens­strukturen.

    Hinsichtlich des gestiegenen Arbeits­drucks kann sich Verena Spitz, Betriebs­rats­vorsitzende der BAWAG, sogar „Überlastungs­anzeigen“ vorstellen. Diese gibt es bereits in Deutschland oder auch in den Wiener Spitälern. Es sei „eine sinnvolle Maßnahme, die die Mit­arbeiter:innen bei Fehlern aus der Haftung nimmt“.

    Demo­kratie­schule

    Einen ganz anderen Aspekt betont Martina Zandonella vom Institut SORA. Die Demokratie­forscherin befasst sich mit sozialen Fragen von Demo­kratie und Beteiligung. Insbesondere Lehrlinge profitieren vom Betriebsrat und erkennen, wie wichtig Wahlen sind. Weil bei Betriebs­rats­wahlen – gleich wie bei AK Wahlen – alle Beschäftigten unabhängig von der Staats­bürger­schaft wahl­berechtigt sind, unter­streicht Zandonella. So wird aus den Wahlen im Betrieb eine Demokratie­schule.


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