Ob Urlaubsanspruch oder Mutterschutz, Arbeitszeit oder Mitwirkung und Mitbestimmung im Betrieb – das alles waren Meilensteine in Österreich, die die österreichische Arbeitswelt nachhaltig geprägt haben. Die heute bekannten und bewährten Mitwirkungsrechte von Betriebsrät:innen wurden letztlich im Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) 1974 geregelt. Eine humane Arbeits- und Lebenswelt auf Augenhöhe mit den Interessen der Arbeitnehmer:innen und ihrer Vertreter:innen war dabei das primäre Ziel des Gesetzes.
Die Arbeiterkammern sollten mit den Gewerkschaften und Betriebsräten gemeinsam einen bedeutsamen, demokratisch organisierten wirtschaftlichen Block bilden. Gleichberechtigung durch Mitbestimmung und Selbstverwaltung war der Ansatz, für den lange Zeit gekämpft wurde. So stammt das erste Betriebsräte-Gesetz bereits aus 1919.
Rudolf Mosler, Universität Salzburg
Österreichs Arbeitsverfassung ist denn auch einzigartig in Europa. Um eine „Verfassung“ handelt es sich aus juristischer Sicht im materiellen, nicht im formellen Sinn, so die Präzisierung des Arbeitsrechtsexperten Rudolf Mosler von der Universität Salzburg bei der 50-Jahr-Feier im Bildungszentrum der AK Wien. Dazu zählt etwa das sozialpartnerschaftliche Modell, ähnlich wie in Deutschland, den Niederlanden oder Skandinavien – im Gegensatz zu den konfliktorientierten Modellen Italiens oder Großbritanniens.
Auf überbetrieblicher Ebene hebt Mosler insbesondere die Kollektivverträge mit Normwirkung hervor: Sie wirken wie Gesetze, sind auch einklagbar – und für 98 Prozent der Arbeitnehmer:innen gültig. In Deutschland gelten die Tarifverträge nur für die Hälfte der Beschäftigten. Die Kollektivvertragsfähigkeit liegt in Österreich, im Unterschied zu Deutschland, zentralisiert bei den Gewerkschaften. Ein eindeutiger Vorteil für die Arbeitnehmer:innen.
Der Ratgeber "Arbeitsverfassungsgesetz in Frage und Antwort" erklärt kompakt das zentrale Regelwerk für die Betriebsratsarbeit in Österreich.
Susanne Haslinger, PRO-GE
Auf betrieblicher Ebene kann bereits ab fünf Arbeitnehmer:innen ein Betriebsrat gewählt werden. Die Schwellenwerte liegen in anderen Ländern bei 15, 20 oder hundert Beschäftigten. Den gesetzlich stärkeren Schutz der Betriebsrät:innen, etwa durch Freistellungsansprüche und Kündigungsschutz, wertet Rudolf Mosler so: „Dem Gesetzgeber ist wichtig, dass die gesetzliche Betriebsverfassung funktioniert.“ Im Betriebsdemokratie-Index sieht er daher Österreich mit Dänemark, Deutschland, Finnland, den Niederlanden und Schweden in der Spitzengruppe. „Das ArbVG ist ein kluges, ausgewogenes und bewährtes Gesetz.“ Es sei legistisch gut gemacht, auch wenn die geringfügigen Novellen der letzten paar Jahre hätten besser ausfallen können.
Als Werkzeug taugt das Arbeitsverfassungsgesetz genauso für die Zukunft. Da sieht Mosler eher geringen Änderungsbedarf. Denkbar ist für ihn eine Modernisierung des „Arbeitnehmer:innen“-Begriffs und des „Betriebs“-Begriffs: Dass etwa auch virtuelle Betriebsbeziehungen einbezogen werden. „Es muss kein Gebäude geben.“ Und dass Plattform-Arbeiter:innen wie Essenslieferant:innen in ihrer Arbeitnehmer:innen-Ähnlichkeit ebenfalls von den so wichtigen Mitwirkungsrechten erfasst werden. Werden Betriebsratsgründungen verhindert, kann sich der Arbeitsrechtsexperte außerdem Sanktionen vorstellen. Oder auch Gewerkschaftsrechte zu erweitern und den Kündigungsschutz im Zuge von beabsichtigten Betriebsratsgründungen vorzuverlegen.
Hinzu kommt: „Wir müssen völlig neue Aufgaben mit denselben Instrumenten bewältigen.“ So die Bedenken von Susanne Haslinger von der Gewerkschaft PRO-GE im Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung in den Betrieben. Den Fokus der Betriebsrät:innen sieht sie auf der Mitbestimmung und ortet daher „dringendsten Reformbedarf“. Denn Österreich sei ein Land der internationalen Töchter- und Enkeltöchterunternehmen, verweist sie primär auf die kaum noch überblickbaren Firmenkonstruktionen und die zunehmende Internationalisierung der Unternehmensstrukturen.
Hinsichtlich des gestiegenen Arbeitsdrucks kann sich Verena Spitz, Betriebsratsvorsitzende der BAWAG, sogar „Überlastungsanzeigen“ vorstellen. Diese gibt es bereits in Deutschland oder auch in den Wiener Spitälern. Es sei „eine sinnvolle Maßnahme, die die Mitarbeiter:innen bei Fehlern aus der Haftung nimmt“.
Einen ganz anderen Aspekt betont Martina Zandonella vom Institut SORA. Die Demokratieforscherin befasst sich mit sozialen Fragen von Demokratie und Beteiligung. Insbesondere Lehrlinge profitieren vom Betriebsrat und erkennen, wie wichtig Wahlen sind. Weil bei Betriebsratswahlen – gleich wie bei AK Wahlen – alle Beschäftigten unabhängig von der Staatsbürgerschaft wahlberechtigt sind, unterstreicht Zandonella. So wird aus den Wahlen im Betrieb eine Demokratieschule.