Bei einem Facharbeiter der belgischen Eisenbahngesellschaft HR Rail SA wurde während der Probezeit ein schweres Herzleiden diagnostiziert. Der Mann bekam einen Herzschrittmacher, danach war es ihm aufgrund der elektromagnetischen Felder, die in Gleisanlagen auftreten, nicht mehr möglich, seinen Beruf weiter auszuüben. Seitens der Behörde wurde eine Behinderung anerkannt. Nachdem eine arbeitsmedizinische Beurteilung ergab, dass der Arbeiter die Tätigkeit, für die er eingestellt worden war, nicht mehr ausüben kann, wurde er im Unternehmen als Lagerist eingesetzt.
Einige Monate später wurde das Arbeitsverhältnis aus diesem Grund durch HR Rail SA beendet. Der Mann beschritt den Rechtsweg und begehrte, die Entscheidung über seine Entlassung für nichtig zu erklären. Der Fall ging bis zum EuGH, der ihm schließlich Recht gab.
„Das Unternehmen hat keine angemessenen Vorkehrungen getroffen, um den Arbeiter weiter im Unternehmen einzusetzen. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses war daher diskriminierend und unzulässig“, sagt Martina Chlestil, Juristin der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer Wien, im Gespräch mit AKtuell.
„Die dauerhafte Einschränkung seiner Fähigkeiten, die auf eine körperliche Beeinträchtigung zurückzuführen ist, können den Arbeitnehmer in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmer:innen, hindern“, erläutert Chlestil unter Verweis auf den EuGH. „Eine Behinderung kann daher auch bei einer längerdauernden Erkrankung vorliegen.“
Martina Chlestil, Juristin Abteilung Sozialpolitik AK Wien
Nach § 6 Abs. 1a Behinderteneinstellungsgesetz haben Arbeitgeber:innen die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Beschäftigung und die Ausübung des Berufes zu ermöglichen.
Durch wirksame und praktikable Maßnahmen soll der Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend eingerichtet werden: entweder durch die Gestaltung der Räumlichkeiten, die Anpassung des Arbeitsgeräts, der Arbeitsmittel oder des Arbeitsrhythmus, etwa der Arbeitszeiten, der Pausen etc.; auch Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen können darunterfallen.
„Und, wie der EuGH entschieden hat, kann auch die Verwendung an einem anderen Arbeitsplatz eine geeignete Maßnahme darstellen, wenn Beschäftigte aufgrund einer Behinderung die bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben können“, so Chlestil.
Der Arbeitgeber ist aber nicht dazu verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, die ihn „unverhältnismäßig belasten“. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Maßnahmen zu übermäßigen Belastungen führen, sind der mit ihnen verbundene (finanzielle) Aufwand sowie die Größe, die finanziellen Ressourcen und der Umsatz des Unternehmens und die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Zudem setzt laut EuGH die Möglichkeit, Beschäftigte mit Behinderung an einem anderen Arbeitsplatz zu verwenden, auch voraus, dass es eine freie Stelle gibt und die Person die notwendigen Kompetenzen, Fähigkeiten und die Verfügbarkeit aufweist.
Dieses Urteil kann Vorbildwirkung für die weitere Rechtsprechung haben. „Die Prüfung von zumutbaren Maßnahmen hat anhand des konkret vereinbarten Tätigkeitsbereichs, aber jedenfalls auch unter Berücksichtigung sonstiger Einsatzmöglichkeiten des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin zu erfolgen. Eine Beschränkung auf die vereinbarte Tätigkeit widerspricht dem EU-Recht, das der EuGH mit der Entscheidung nun bestätigt“, so Chlestil.