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Digitalisierung

Hat die Corona-Pandemie die Betriebsratsarbeit verändert?

Mit der Pandemie ging ein Digitalisierungsschub einher – zugleich entstanden neue Konfliktlinien durch Homeoffice und Co, zeigt eine Studie von FORBA. Wir haben Studienautor Hubert Eichmann und AK-Experten Bernhard Leubolt befragt, welche Herausforderungen und Chancen sich daraus für die Betriebsratsarbeit ergeben.
Martina Fassler
26.08.2022
in diesem Artikel

    Interview: Wie Corona die Betriebsratsarbeit durch Digitalisierung, Homeoffice & Co verändert hat 


    AKtuell: Die Corona-Pandemie traf nicht alle Beschäftigten in gleicher Weise. Was sind die Ergebnisse der FORBA-Studie?

    Hubert Eichmann: Man kann von einer Vierteilung der Beschäftigten sprechen. Zum einen die Systemerhalter:innen, die trotz Lockdown vor Ort sein mussten und Mehrfachbelastungen ausgesetzt waren. Dann die Arbeiter:innen in Produktionsbetrieben, die durchgehend weitergearbeitet haben. Beide Gruppen hatten keine Einkommensverluste, aber höhere Gesundheitsrisiken.

    Dann gibt es Beschäftigte, die massiv von Lockdown und Kurzarbeit betroffen waren, etwa in der Gastronomie und Beherbergung, in der Luftfahrt und im Kulturbereich. Da waren die finanziellen Auswirkungen das große Problem, vor allem, wo es zu Kündigungen kam und die Einkommensverluste nicht durch Kurzarbeit abgemildert wurden. Und im Angestelltenbereich fanden sich viele Beschäftigte plötzlich im Homeoffice.

     „Home­office verursacht Kon­flikte. Das fordert den Betriebs­rat als Schieds­richter.“

    Bernhard Leubolt, AK-Experte

    Bernhard Leubolt: Dabei arbeiteten weniger Beschäftigte von zuhause als vielfach angenommen. In den Hochphasen der Pandemie waren es 39 Prozent. Homeoffice verursachte Konflikte, die die Betriebsrät:innen als Schiedsrichter forderten.

    In manchen Produktionsbetrieben gab es Spannungen zwischen den Arbeiter:innen vor Ort und den Angestellten im Homeoffice. Auch unter jenen, die theoretisch von zuhause arbeiten können, gab es Zwist. Zwischen Beschäftigten mit beengten Wohnverhältnissen, oftmals noch doppelbelastet durch Job und kleine Kinder, und Beschäftigten der Gruppe 45 plus mit einem eigenen Arbeitszimmer daheim.

    Hubert Eichmann: Trotz aller Ambivalenzen und Risken ist Homeoffice aber bei vielen beliebt und wird bleiben. In einer Umfrage aus Deutschland meinte ein Betriebsrat dazu: „Würde die Interessenvertretung versuchen, das Homeoffice zu beschränken oder durch Regulierung erschweren, ‚dann würden mich die Beschäftigten erschlagen.‘“


    Homeoffice bleibt ein Aufreger?

    Hubert Eichmann: Eine Aufgabe der nächsten zehn Jahre der Interessen­vertretung wird sein, Varianten zu entwickeln, die differenziert genug sind, damit es für alle passt. Der Betriebsrat sollte auch darauf schauen, ob es Gruppen gibt, die ins Homeoffice gezwungen werden und dem entgegenwirken.

    Umgekehrt sollte man manchen Beschäftigten, die ausschließlich von zuhause arbeiten wollen, vermitteln: „Pass auf, wenn du gar nicht im Betrieb bist, ist das für deine Karriere nicht gut.“

    Aus der Praxis gibt es für diese „Kulturkämpfe“ in den Unternehmen noch keine Studien. Wichtig ist Toleranz, nicht die eine oder andere Gruppe abwerten, sondern alle gleichrangig behandeln und als Stabilitätsanker wirken.


    Wie kann der Betriebsrat die unterschiedlichen Gruppen alle erreichen?

    Bernhard Leubolt: Aus den Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre mitnehmen kann man: Wenn es um reine Information geht, sind auch in der Kommunikation des Betriebsrats mit der Belegschaft kürzere Online-Besprechungen und andere Formen der digitalen Kommunikation durchaus geeignet. Die kann man auch öfter einsetzen. Dann bleibt bei der Betriebsversammlung vor Ort mehr Zeit für die Interaktion.

    Hubert Eichmann: Auch die Betriebsratskommunikation wurde durch Corona und die Digitalisierung auf ein neues Level gehoben und die Betriebsrät:innen haben diese Aufgabe gut gemeistert. Dieses neue Level kann und sollte man nicht mehr unterschreiten.

    Nicht alle müssen Techniker:innen sein, aber im Team sollte es jemanden geben, der sich mit den digitalen Tools auskennt. Alles nun über digitale Kanäle zu spielen, wäre der falsche Weg. Wir haben in der Analyse der Umfragen und Studien aus Österreich und Deutschland nicht „das eine best practice“ Beispiel gefunden. Viele haben mit Versuch und Irrtum gearbeitet und das, was gut geklappt hat, in ihren Baukasten aufgenommen.


    Bild von Hubert Eichmann (FORBA) und AK-Experten Bernhard Leubolt © Markus Zahradnik, AK Wien
    © Markus Zahradnik, AK Wien
    Hubert Eichmann (FORBA) und Bernhard Leubolt (AK Wien) im Interview


    Nur analog zu kommunizieren oder ausschließlich digital – egal, worum es geht –, das ist wahrscheinlich nicht der klügste Ansatz?

    Bernhard Leubolt: Die Unternehmen setzen laufend auf eine Ausweitung der digitalen Tools und umwerben und erreichen auch die jungen Menschen damit. Wenn dann der Betriebsrat gar nicht mithalten kann, kommt das bei den jüngeren Beschäftigten nicht gut an.

    Generell muss man aufpassen, dass einem bestimmte Beschäftigtengruppen nicht verloren gehen. Auch wenn die höher gebildeten Beschäftigten in gesicherten Jobs ausschließlich im Homeoffice arbeiten und vom Rest der Belegschaft wenig mitbekommen, gefährdet das den Zusammenhalt – und letztlich auch die Organisations- und Verhandlungsmacht des Betriebsrats.


     „Wenn es ums Mobili­sieren geht, darum Emotional­ität her­zustellen und eine Stimmung zu ver­stärken, sind die Präsenz­veranstaltung und das direkte Ge­spräch die beste Wahl.“

    Hubert Eichmann, FORBA

    Hubert Eichmann: Die neuen digitalen Tools erweitern den Baukasten um zusätzlich Kommunikationskanäle. Der Betriebsrat sollte den geeigneten Kanal je nach der Sache, um die es geht, und um die Beschäftigtengruppe, die er erreichen will, aussuchen.

    In der Produktion ist der Gang durch die Werkshallen oft das geeignetere Mittel. Aber auch für den Angestelltenbereich gilt: Das was wichtig ist, erfährt der Betriebsrat oft erst nebenbei. Im Gespräch am Gang oder in der Kaffeeküche, wenn er die Beschäftigten fragt, wie es ihnen geht. Und wenn es ums Mobilisieren geht, darum Emotionalität herzustellen und eine Stimmung zu verstärken, bleiben die Präsenzveranstaltung und das direkte Gespräch weiterhin die beste Wahl.

    „Die Ver­handlungs­macht gegen­über den Arbeit­geber:innen steigt. Das gilt es zu nutzen“

    Hubert Eichmann, FORBA

    Wie sieht es in der aktuellen Mehrfachkrise – Klima, Pandemie und Krieg – mit der Verhandlungsmacht von Betriebsrat und Gewerkschaft aus?

    Hubert Eichmann: Für die Betriebsrät:innen ist die Kommunikation mit den Beschäftigten aufwändiger geworden. Aber die Chancen sind gestiegen, etwas zu erreichen.

    Die Beschäftigten in den Systemberufen sind selbstbewusster geworden, ihre Proteste für bessere Entlohnung und Arbeitsbedingungen haben zugenommen. In der Produktion schweben nicht mehr Auslagerungen nach China oder anderswohin als permanente Drohung über den Köpfen der Beschäftigten. 

    Durch den demographischen Wandel suchen viele Unternehmen nach Arbeitskräften. Trotz aller Herausforderungen würde ich deshalb sagen: Das Glas ist – zumindest mittelfristig – halb voll. Die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer:innen und ihrer Vertretung steigt. Das gilt es zu nutzen.

    Webtipp

    Tipp Symbolbild © AK Wien

    Die FORBA-Studie zum Nachlesen

    Du willst mehr über die Herausforderungen und Chancen erfahren, die sich durch die Pandemie für die Betriebsratsarbeit ergeben? Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Beschäftigten und auf die (digitalisierte) Betriebsratsarbeit. Eine Literaturstudie der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) im Auftrag von AK und ÖGB. Jetzt downloaden unter: 

    www.arbeiterkammer.at/Auswirkungen-der-Corona-Pandemie

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