Susanne Haslinger: Der gesetzliche Terminus lautet Arbeitskräfteüberlassung. Jeder andere Begriff offenbart bereits einen gewissen Fokus. Zeitarbeit hat etwa den Touch, dass das etwas Vorübergehendes ist – was unserer Idee widerspricht, die Verstetigung von Arbeitsverhältnissen zu fördern. Nachvollziehbarerweise ist auch der Begriff Leiharbeit eher unerwünscht, weil er etwas Abwertendes hat. Es geht schließlich um Menschen und nicht um Gegenstände, die man verleiht.
Reinhold Binder: Wesentlich ist in erster Linie zu verstehen, dass wir es mit Beschäftiger- und Überlassungsbetrieben zu tun haben – sowie mit Arbeitnehmer:innen, die in Beschäftigerbetrieben tätig sind und mit Arbeitnehmer:innen, die Arbeitskräfteüberlassungsmitarbeiter:innen sind. In diesem Spannungsverhältnis gibt es unterschiedliche Betroffenheiten bei arbeitsrechtlichen Ansprüchen, kollektivvertraglicher Gestaltung und Mitbestimmung.
Reinhold Binder: … und die Gewerkschaft PRO-GE hat im Jahr 2002 den europaweit ersten Kollektivvertrag für Arbeitskräfteüberlassung durchgesetzt. Das 20. Jubiläum war deshalb ein wirklicher Grund zum Feiern, denn dem Kollektivvertrag sind jahrelange Debatten innerhalb der Gewerkschaftsbewegung vorausgegangen. Vor gut zwanzig Jahren haben wir für 30.000 Beschäftigte in der Arbeitskräfteüberlassung gekämpft. Heute sind es rund 100.000, die kollektivvertraglich abgesichert sind.
Reinhold Binder: Für viele bedeutet sie durchaus eine Chance, in der Beschäftigung anzukommen, in gewisse Branchen und Tätigkeiten hineinzuschnuppern. Was auch eine Besonderheit ist, ist der Sozial- und Weiterbildungsfonds (SWF) in der Arbeitskräfteüberlassung, – der dafür sorgt, dass Arbeitnehmer:innen länger in Beschäftigung bleiben und das mit Qualifikation und Ausbildung.
Die Nachteile schlagen etwa im Zuge der aktuellen Teuerungsentwicklung voll durch. Und ganz großes Thema: Wenn man als Arbeitskräfteüberlassungsmitarbeiter:in zur Bank geht und einen Kredit möchte, ist man ganz schnell nach ganz hinten gereiht. Das ist sehr, sehr negativ. Und es hat mit mangelndem Respekt vor Beschäftigten zu tun, wenn etwa Schichtarbeiter:innen, die sehr hart arbeiten, noch zusätzlich gegeißelt werden.
Susanne Haslinger: Das kommt wahrscheinlich auf den Betrieb an … Grundsätzlich gibt es in der Branche mehr schwarze Schafe als anderswo. Unternehmen, die ihre Gewinnmarge durch Preisdumping gestalten. Dabei ist das Feld auf jeden Fall enger geworden. Etwa hat auch die EU-Leiharbeitsrichtlinie zu mehr Ansprüchen für Beschäftigte geführt.
Reinhold Binder: Je mehr Beteiligte mit der Leistung einer Arbeitskraft verdienen wollen, je mehr Subunternehmer dazwischengeschaltet sind, desto problematischer wird es. Deshalb ist es auch so wichtig, dass es den KV gibt, den wir jedes Jahr neu verhandeln. So können wir überprüfen, ob das Zusammenspiel passt. Es muss jedenfalls mehr Kontrolle her, um Ausbeuterei abzuschaffen. Wohin wir uns entwickeln wollen, ist eine seriöse Arbeitskräfteüberlassung mit einem guten Zusammenspiel. Arbeitnehmer:innen müssen in die Abläufe eingebettet sein und von den Sozialleistungen der Beschäftigerbetriebe mitprofitieren können.
Susanne Haslinger: Dass die Öffentlichkeit die ganzen Kosten getragen hat, verursacht durch vier Subunternehmen, die am Ende insolvent waren. Wir haben hier eine relativ absurde gesetzliche Regelung, dass der Beschäftiger überhaupt keine Löhne oder Sozialversicherungsbeiträge bezahlen muss, wenn der Insolvenz-Entgelt-Fonds den Leuten das Geld erstattet. Das heißt, einige wenige machen Gewinne, am Schluss gehts krachen – und den Schaden haben die Steuerzahler:innen.
Reinhold Binder: Deshalb ist es unser Auftrag, dafür zu sagen, dass die Auftraggeberhaftung an Bedeutung gewinnt, damit die Verursacher derartiger Probleme tatsächlich zur Rechenschaft gezogen werden.
Susanne Haslinger: Eine Geschichte, die uns seit vielen Jahren beschäftigt, ist das Zwischenparken beim AMS. Arbeitskräfte werden gekündigt, wenn ihr Einsatz endet und wenige Wochen später wieder eingestellt. Natürlich würde es aber die gesetzliche Verpflichtung geben, die Stehzeiten auch zu bezahlen. Oft sind außerdem Sprachbarrieren ein Problem: Beschäftigte unterschreiben etwa eine einvernehmliche Auflösung, obwohl sie nicht einmal wissen, was auf dem Zettel steht.
Reinhold Binder: Ein Grundübel bei vielen Betrieben und Konzernen liegt außerdem in der Bilanzierung. Denn Arbeitnehmer:innen, die in Form von Arbeitskräfteüberlassung erwerbstätig sind, sind in der Bilanz des Beschäftigerbetriebes als Sachaufwand angeführt. Wertschätzung gegenüber Arbeitnehmer:innen sieht anders aus.
Susanne Haslinger: Und außerdem bildet es die tatsächlichen Kosten nicht ab.
Reinhold Binder: Für uns als Gewerkschaftsbewegung ist es natürlich wichtig, dafür zu sorgen, dass es Betriebsrät:innen gibt. Denn Arbeitnehmer:innen geht es dort besser, wo Mitbestimmung gelebt wird. Das gilt für Beschäftiger- wie für Überlasserbetriebe gleichermaßen. Dazu kommt der Kampf gegen Lohndumping und für mehr Kontrollen sowie die bereits angesprochene Auftraggeberhaftung.
Susanne Haslinger: Leider wurden im Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz die Strafen stark reduziert – das muss rückgängig gemacht werden. Gemeinsam mit der Arbeiterkammer fordern wir außerdem ein Verbandsklagegesetz, um Missstände in Betrieben kollektiv für Arbeitnehmer:innen einklagen zu können.
Reinhold Binder: Weil die Arbeitnehmer:innen etwa bisweilen in ganz Österreich, in ganz Europa oder auf der ganzen Welt verteilt sind und der Kontakt zum Arbeitgeber möglicherweise nur ein Büro ist oder ausschließlich in der Onlinekommunikation passiert. Dabei ist entscheidend: Wo ist der Arbeitsvertrag begründet? Wo gibt es eine Überlassungsvereinbarung? Und was sind die rechtlichen Folgen? Das ist in diesem Fall doch etwas komplizierter.
Susanne Haslinger: Wir haben sehr dicke Bretter gebohrt, dass die Betriebsrät:innen in den Beschäftigerbetrieben sagen: Hey, das sind unsere Leute, die wir genauso vertreten. Denn das ist ja an sich die Idee des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes, die Stammbelegschaft zu schützen. Die Überlassung soll ja kein Einfallstor für Dumping sein. Leider stoßen Betriebsratsmitglieder aber regelmäßig auf rechtliche Hürden. Indem sie zum Beispiel auf etwas nicht einwirken dürfen, weil der Überlasser der arbeitsrechtliche Vertragspartner ist, der die Grundsituation ändern müsste.