Susanne Haslinger und Reinhold Binder, PRO-GE © Markus Zahradnik
Arbeitskräfteüberlassung

„Es geht sch­ließ­lich um Men­schen“

Das Thema Arbeits­kräfte­über­las­sung sorgt regel­mäßig für Schlag­zeilen. Warum? Rein­hold Binder und Susanne Has­linger von der Gewerk­schaft PRO-GE im Gespräch.
Andreas  Rauschal
16.04.2024

AKtuell: Begin­nen wir mit dem Begrif­flichen: Ar­beits­kräfte­über­las­sung wird auch als Leih­arbeit oder Zeit­arbeit be­zeichnet. Welcher Begriff ist korrekt?

Susanne Haslinger: Der gesetzliche Terminus lautet Arbeitskräfte­überlassung. Jeder andere Begriff offenbart bereits einen gewissen Fokus. Zeitarbeit hat etwa den Touch, dass das etwas Vorüber­gehendes ist – was unserer Idee widerspricht, die Verstetigung von Arbeits­verhältnissen zu fördern. Nach­voll­ziehbarer­weise ist auch der Begriff Leiharbeit eher unerwünscht, weil er etwas Abwertendes hat. Es geht schließlich um Menschen und nicht um Gegenstände, die man verleiht. 

Reinhold Binder: Wesentlich ist in erster Linie zu verstehen, dass wir es mit Beschäftiger- und Überlas­sungs­betrieben zu tun haben – sowie mit Arbeit­nehmer:innen, die in Beschäftiger­betrieben tätig sind und mit Arbeitnehmer:innen, die Arbeits­kräfte­überlas­sungs­mitarbeiter:innen sind. In diesem Spannungs­verhältnis gibt es unterschiedliche Betrof­fenheiten bei arbeitsrechtlichen Ansprüchen, kollektiv­vertraglicher Gestaltung und Mitbestimmung.

Susanne Haslinger © Markus Zahradnik
© Markus Zahradnik
„Das Feld ist auf jeden Fall enger geworden“: Susanne Haslinger ist Juristin und in der sozialpolitischen Abteilung der Produktionsgewerkschaft PRO-GE tätig.

AKtuell: Bei der Arbeits­kräfte­überlas­sung handelt es sich um eine Form atyp­ischer Besch­äftigung

Reinhold Binder: … und die Gewerkschaft PRO-GE hat im Jahr 2002 den europaweit ersten Kollektiv­vertrag für Arbeits­kräfte­überlas­sung durchgesetzt. Das 20. Jubiläum war deshalb ein wirklicher Grund zum Feiern, denn dem Kollektivvertrag sind jahrelange Debatten innerhalb der Gewerkschafts­bewegung vorausgegangen. Vor gut zwanzig Jahren haben wir für 30.000 Beschäftigte in der Arbeits­kräfte­überlas­sung gekämpft. Heute sind es rund 100.000, die kollektiv­vertraglich abgesichert sind.

 

AKtuell: Wo kann die Arbeits­kräfte­überlas­sung auch Vorteile bieten? Und wo lauern die Nachteile?

Reinhold Binder: Für viele bedeutet sie durchaus eine Chance, in der Beschäftigung anzukommen, in gewisse Branchen und Tätigkeiten hinein­zuschnup­pern. Was auch eine Besonderheit ist, ist der Sozial- und Weiterbildungsfonds (SWF) in der Arbeits­kräfte­überlas­sung, – der dafür sorgt, dass Arbeit­nehmer:innen länger in Beschäftigung bleiben und das mit Qualifikation und Ausbildung.

Die Nachteile schlagen etwa im Zuge der aktuellen Teuerungs­entwicklung voll durch. Und ganz großes Thema: Wenn man als Arbeits­kräfte­überlassungs­mitarbeiter:in zur Bank geht und einen Kredit möchte, ist man ganz schnell nach ganz hinten gereiht. Das ist sehr, sehr negativ. Und es hat mit mangelndem Respekt vor Beschäftigten zu tun, wenn etwa Schicht­arbeiter:innen, die sehr hart arbeiten, noch zusätzlich gegeißelt werden.

Reinhold Binder © Markus Zahradnik
© Markus Zahradnik
„Ein Grundübel bei vielen Betrieben und Konzernen liegt in der Bilanzierung“: Reinhold Binder, Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft PRO-GE.

AKtuell: Manche Stimmen sehen die Arbeitskräfteüberlassung am Rande zur modernen Sklaverei. Haben sie recht?

Susanne Haslinger: Das kommt wahrscheinlich auf den Betrieb an … Grundsätzlich gibt es in der Branche mehr schwarze Schafe als anderswo. Unternehmen, die ihre Gewinn­marge durch Preis­dumping gestalten. Dabei ist das Feld auf jeden Fall enger geworden. Etwa hat auch die EU-Leih­arbeits­richtlinie zu mehr Ansprüchen für Beschäftigte geführt.

Reinhold Binder: Je mehr Beteiligte mit der Leistung einer Arbeitskraft verdienen wollen, je mehr Sub­unternehmer dazwischen­geschaltet sind, desto problem­atischer wird es. Deshalb ist es auch so wichtig, dass es den KV gibt, den wir jedes Jahr neu verhandeln. So können wir überprüfen, ob das Zusam­menspiel passt. Es muss jedenfalls mehr Kontrolle her, um Ausbeuterei abzuschaffen. Wohin wir uns entwickeln wollen, ist eine seriöse Arbeits­kräfte­überlas­sung mit einem guten Zusammenspiel. Arbeit­nehmer:innen müssen in die Abläufe eingebettet sein und von den Sozial­leistungen der Beschäftiger­betriebe mitprofitieren können.

 

AKtuell: Als Negativ­beispiel, das durch die Medien ging, ist die Causa Hygiene Austria in Erin­nerung. Was war das Spezielle an diesem Fall?

Susanne Haslinger: Dass die Öffentlichkeit die ganzen Kosten getragen hat, verursacht durch vier Sub­unternehmen, die am Ende insolvent waren. Wir haben hier eine relativ absurde gesetzliche Regelung, dass der Beschäftiger überhaupt keine Löhne oder Sozial­versicherungs­beiträge bezahlen muss, wenn der Insolvenz-Entgelt-Fonds den Leuten das Geld erstattet. Das heißt, einige wenige machen Gewinne, am Schluss gehts krachen – und den Schaden haben die Steuerzahler:innen.

Reinhold Binder: Deshalb ist es unser Auftrag, dafür zu sagen, dass die Auftrag­geber­haftung an Bedeutung gewinnt, damit die Verursacher derartiger Probleme tatsächlich zur Rechenschaft gezogen werden.

 

AKtuell: Was sind die gäng­igsten Tricks der Überlasser? 

Susanne Haslinger: Eine Geschichte, die uns seit vielen Jahren beschäftigt, ist das Zwischen­parken beim AMS. Arbeitskräfte werden gekündigt, wenn ihr Einsatz endet und wenige Wochen später wieder eingestellt. Natürlich würde es aber die gesetzliche Verpflichtung geben, die Stehzeiten auch zu bezahlen. Oft sind außerdem Sprach­barrieren ein Problem: Beschäftigte unterschreiben etwa eine einvernehmliche Auflösung, obwohl sie nicht einmal wissen, was auf dem Zettel steht.

Reinhold Binder: Ein Grundübel bei vielen Betrieben und Konzernen liegt außerdem in der Bilanzierung. Denn Arbeit­nehmer:innen, die in Form von Arbeitskräfteüberlassung erwerbstätig sind, sind in der Bilanz des Beschäftiger­betriebes als Sachaufwand angeführt. Wert­schätzung gegenüber Arbeit­nehmer:innen sieht anders aus.

Susanne Haslinger: Und außerdem bildet es die tatsächlichen Kosten nicht ab.

 

AKtuell: Was wären effektive Sanktionen, um dubiose Überlasser in die Schranken zu weisen?

Reinhold Binder: Für uns als Gewerkschaftsbewegung ist es natürlich wichtig, dafür zu sorgen, dass es Betriebsrät:innen gibt. Denn Arbeitnehmer:innen geht es dort besser, wo Mitbestim­mung gelebt wird. Das gilt für Beschäftiger- wie für Überlas­serbetriebe gleichermaßen. Dazu kommt der Kampf gegen Lohn­dumping und für mehr Kontrollen sowie die bereits angesprochene Auftrag­geberhaftung. 

Susanne Haslinger: Leider wurden im Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz die Strafen stark reduziert – das muss rückgängig gemacht werden. Gemeinsam mit der Arbeiter­kammer fordern wir außerdem ein Verbands­klagegesetz, um Missstände in Betrieben kollektiv für Arbeit­nehmer:innen einklagen zu können.

  

AKtuell: Betriebsratsarbeit stößt in Zusam­menhang mit Arbeits­kräfte­überlassung mitunter an Grenzen. Warum?

Reinhold Binder: Weil die Arbeit­nehmer:innen etwa bisweilen in ganz Österreich, in ganz Europa oder auf der ganzen Welt verteilt sind und der Kontakt zum Arbeitgeber möglicherweise nur ein Büro ist oder ausschließlich in der Online­kommunikation passiert. Dabei ist entscheidend: Wo ist der Arbeits­vertrag begründet? Wo gibt es eine Überlassungs­vereinbarung? Und was sind die rechtlichen Folgen? Das ist in diesem Fall doch etwas komplizierter. 

Susanne Haslinger: Wir haben sehr dicke Bretter gebohrt, dass die Betriebsrät:innen in den Beschäftige­rbetrieben sagen: Hey, das sind unsere Leute, die wir genauso vertreten. Denn das ist ja an sich die Idee des Arbeits­kräfte­überlassungs­gesetzes, die Stammbelegschaft zu schützen. Die Überlassung soll ja kein Einfallstor für Dumping sein. Leider stoßen Betriebs­rats­mitglieder aber regelmäßig auf rechtliche Hürden. Indem sie zum Beispiel auf etwas nicht einwirken dürfen, weil der Überlasser der arbeits­rechtliche Vertrags­partner ist, der die Grund­situation ändern müsste.


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Tipp Symbolbild © AK Wien

Alles zur Arbeitskräfteüberlassung

Die Gewerkschaft PRO-GE bündelt alle Infos zum Thema Arbeitskräfteüberlassung auf einer eigenen Website. Das Onlineportal leiharbeiter.at richtet sich an Beschäftigte und gibt auch dir als Betriebsrät:in wichtige Inputs. 

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