Wolfgang Kozak: Wir sind in einer unglaublichen Bewegung, wo darstellenden Künstler:innen das gesetzliche Recht auf Beschäftigung abgesprochen wird. In einem Bereich, wo die Egomanie sowieso schon so unglaublich gelebt wird, gibt es überhaupt keinen Schutz mehr für die Arbeitnehmer:innen. Das ist der ideale Nährboden für Machtmissbrauch und „MeToo“-Fälle! Das alles wird von den Gerichten nicht mitbeachtet. Sie machen eine einseitige Interessenabwägung auf Seiten der Theater-Unternehmen – ohne Kontrollmöglichkeit. Das ist in der heutigen Zeit nicht mehr fassbar.
Wolfgang Kozak, Jurist im Bereich Arbeitsrechtliche Beratung und Rechtsschutz der AK Wien
Wolfgang Kozak: Laut dem Höchstgericht der EU, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), haben hier die Rechtsfolgen die nationalen Gerichte zu entscheiden – und zwar so, dass das Unionsrecht, in diesem Fall die Befristungs-Richtlinie, umgesetzt wird. Demnach sind der Normalfall unbefristete Arbeitsverhältnisse. Alles andere ist Prekariat. Die Mitgliedstaaten müssen entweder eine maximale Dauer oder eine maximale Anzahl befristeter Verträge hintereinander oder einen gleichwertigen Schutz festlegen.
In Österreichs Bühnenrecht haben wir überhaupt keinen Schutz. Die Theater sind bis heute kein Gewerbe. Somit wird das Grundrecht auf Freiheit der Kunst als Totschlagargument – auf der Seite der Theaterunternehmen – verwendet. Das ist unionsrechtswidrig. Der OGH deutet das an und redet sich heraus. Also es gibt ein Recht auf Beschäftigung am Papier, laut Bühnenrecht, die Beschäftigten können es bloß nicht durchsetzen.
Wolfgang Kozak: Diese Austauschkündigungen sind rechtlich gedeckt, die Künstler:innen können sich nicht dagegen wehren. Was wir da in den Kulturbetrieben haben, ist ein Systembruch. Eigentlich müsste die Kulturpolitik sagen: Die neue Direktion hat mit dem bisherigen Ensemble zurecht zu kommen! Eine Bewerbung ist ja freiwillig. Unser Theaterarbeitsgesetz (TAG) und die Judikatur des OGHs prolongieren diese Situation. Mit dieser Urteilslage ein anderes Gesetz zu kriegen, ist unmöglich.
Wolfgang Kozak: Nein. Die Staatsoper ist ein Tendenzbetrieb. Die Plätze des Betriebsrates im Aufsichtsrat wurden minimiert gegenüber dem normalen Arbeitsrecht – aus Angst, dass die Betriebsrät:innen künstlerisch mitsprechen könnten. Die Demokratisierung ist bei unseren Theatern in hundert Jahren noch nicht angekommen. Wir sind traditionell, wir spielen ja auch Musik von vor 300 Jahren.
Wolfgang Kozak: Im Beendigungsrecht keine. Er wird nur verständigt von der Nichtverlängerungserklärung, er kann vielleicht am herkömmlichen Weg noch etwas erreichen. Aber, wie’s im Wiener Lied heißt: „Wenn der Herrgott nicht will, nutzt das gar nichts“ – das ist in diesem Fall das Theaterunternehmen. In der letzten großen Novellierung des TAGs haben wir zumindest erreicht, dass die Nichtverlängerungserklärung nicht gilt, sollte der Betriebsrat nicht vorher informiert worden sein.
Wolfgang Kozak: Man schreibt einen Brief an die EU-Kommission und informiert sie, dass Österreich im Umsetzungsdefizit ist. Die zweite Möglichkeit ist: auf Staatshaftung klagen (auf Entschädigungszahlung vom Staat, Anm.). Weil jemand einen Schaden daraus hat, wogegen sich die Person nicht wehren kann.
Wolfgang Kozak: So wie der OGH hier entschieden hat, ist es am Boden des Unionsrechtes. Weil es der EuGH den nationalen Gerichten ja freistellt, ob sie über die nationale Gesetzgebung hinweggehen. Der OGH lässt die Regel unangewendet. Und Österreich hat Unionsrecht nicht umgesetzt. Die Befristungsrichtlinie ist schon relativ alt, aus den 1990er Jahren. Österreich ist hier säumig – und argumentiert: Wir können über unseren Sittenwidrigkeitsparagrafen 879 im ABGB sowieso Verträge mit Befristungen kontrollieren; das sei ein ausreichender Schutzmechanismus, dass wir die Richtlinie umgesetzt hätten. Bloß: Außer den österreichischen Regierungen und dem OGH ist niemand in der Wissenschaft der Meinung, dass das stimmt. Aber die EU-Kommission (als Hüterin des Gemeinschaftsrechts, Anm.) hat bis jetzt die Argumentation akzeptiert.
Der OGH trägt hier die Verantwortung dafür, dass er Arbeitnehmerschutz unter Unionsrecht hält. Noch dazu in einem Bereich, wo wir uns als Land so toll herausstreichen. Mit diesem Fall wird Kultur am Rücken anderer ermöglicht, weil der OGH nur eine eingeschränkte Willkürkontrolle den Künstler:innen bei Bühnen zugesteht.
Wenn nationale Normen EU-Recht widersprechen, wird es in Zukunft immer schwerer werden, dieses Manko über Gerichtsverfahren zu sanieren. Sondern man wird auf den Gesetzgeber zurückgeworfen. Das ist eine sehr unsensible Judikatur. Das Gericht hat nicht seine Aufgabe gesehen, den Schwächeren zu schützen.