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Recht klar

Kettenverträge an Theatern: „Wenn der Herrgott nicht will“

Auf den Brettern, die Ketten­verträge bedeuten, sind die Beschäf­tigten in Österreich nur am Papier ge­schützt. Auch die Höchst­gerichte wollen es bis dato nicht richten. 

Heike Hausensteiner
27.04.2023

AK Arbeits­rechts­exper­te Wolfgang Kozak übt in unserem Interview Kritik.


AKtuell: Österreichs Bühnen sind berühmt – aber auch berüchtigt, weil die Beschäftigten nur nach Kettenbefristungen arbeiten dürfen. Warum ist das problematisch?

Wolfgang Kozak: Wir sind in einer unglaub­lichen Bewegung, wo dar­stellenden Künstler:innen das gesetz­liche Recht auf Beschäf­tigung abge­sprochen wird. In einem Bereich, wo die Egomanie sowieso schon so unglaub­lich gelebt wird, gibt es über­haupt keinen Schutz mehr für die Arbeit­nehmer:innen. Das ist der ideale Nähr­boden für Macht­missbrauch und „MeToo“-Fälle! Das alles wird von den Gerichten nicht mitbeachtet. Sie machen eine einseitige Interessen­abwägung auf Seiten der Theater­-Unternehmen – ohne Kontroll­möglichkeit. Das ist in der heutigen Zeit nicht mehr fassbar.


Wolgang Kozak, AK Wien © Lisa Lux
© Lisa Lux
Wolfgang Kozak, AK Wien
"Der OGH hält hier Ar­beit­neh­mer­schutz unter Unions­recht."

Wolfgang Kozak, Jurist im Bereich Arbeits­recht­liche Be­ra­tung und Rechts­schutz der AK Wien

AKtuell: Bereits vor einigen Jahren hat eine ehemalige Ballett­tänzerin der Staats­oper geklagt, weil ihr Vertrag nicht verlängert wurde. Der Fall ging bis zum Obersten Gerichts­hof (OGH), ist wohl unions­rechts­widrig – aber der OGH spricht das in seinem aktuellen Urteil nicht klar aus.

Wolfgang Kozak: Laut dem Höchst­gericht der EU, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), haben hier die Rechts­folgen die nationalen Gerichte zu entscheiden – und zwar so, dass das Unions­recht, in diesem Fall die Befristungs­-Richtlinie, umgesetzt wird. Demnach sind der Normal­fall unbe­fristete Arbeits­verhältnisse. Alles andere ist Prekariat. Die Mitglied­staaten müssen entweder eine maximale Dauer oder eine maximale Anzahl befristeter Verträge hinter­einander oder einen gleich­wertigen Schutz festlegen.  

In Österreichs Bühnenrecht haben wir über­haupt keinen Schutz. Die Theater sind bis heute kein Gewerbe. Somit wird das Grund­recht auf Freiheit der Kunst als Totschlag­argument – auf der Seite der Theater­unternehmen – verwendet. Das ist unionsrechts­widrig. Der OGH deutet das an und redet sich heraus. Also es gibt ein Recht auf Beschäf­tigung am Papier, laut Bühnen­recht, die Beschäftigten können es bloß nicht durch­setzen.

AKtuell: Und sobald eine neue Leitung bestellt ist, werden oft 90 Prozent des Ensembles hinaus­geschmissen.

Wolfgang Kozak: Diese Austausch­kündigungen sind rechtlich gedeckt, die Künstler:innen können sich nicht dagegen wehren. Was wir da in den Kultur­betrieben haben, ist ein System­bruch. Eigentlich müsste die Kultur­politik sagen: Die neue Direktion hat mit dem bis­herigen Ensemble zurecht zu kommen! Eine Bewerbung ist ja freiwillig. Unser Theater­arbeits­gesetz (TAG) und die Judikatur des OGHs prolon­gieren diese Situation. Mit dieser Urteils­lage ein anderes Gesetz zu kriegen, ist unmöglich.

AKtuell: Haben die fixen Ensemble­mitglieder ein Mitsprache­recht?

Wolfgang Kozak: Nein. Die Staatsoper ist ein Tendenz­betrieb. Die Plätze des Betriebs­­rates im Aufsichts­rat wurden minimiert gegenüber dem normalen Arbeits­recht – aus Angst, dass die Betriebs­rät:innen künstlerisch mitsprechen könnten. Die Demokratisierung ist bei unseren Theatern in hundert Jahren noch nicht ange­kommen. Wir sind traditionell, wir spielen ja auch Musik von vor 300 Jahren.


Balletttänzer © AdobeStock, andrys lukowski
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AKtuell: Welche Rolle hat der Betriebsrat in diesem Fall?

Wolfgang Kozak: Im Beendigungsrecht keine. Er wird nur verständigt von der Nichtverlängerungserklärung, er kann vielleicht am herkömmlichen Weg noch etwas erreichen. Aber, wie’s im Wiener Lied heißt: „Wenn der Herrgott nicht will, nutzt das gar nichts“ – das ist in diesem Fall das Theaterunternehmen. In der letzten großen Novellierung des TAGs haben wir zumindest erreicht, dass die Nichtverlängerungserklärung nicht gilt, sollte der Betriebsrat nicht vorher informiert worden sein. 

AKtuell: Welche Möglichkeiten gibt es jetzt?

Wolfgang Kozak: Man schreibt einen Brief an die EU-Kommission und informiert sie, dass Österreich im Umsetzungs­defizit ist. Die zweite Möglichkeit ist: auf Staats­haftung klagen (auf Entschädigungszahlung vom Staat, Anm.). Weil jemand einen Schaden daraus hat, wogegen sich die Person nicht wehren kann. 

AKtuell: Warum entscheidet der OGH nicht so, dass öster­reichi­sches Recht ent­sprechend geändert wird?

Wolfgang Kozak: So wie der OGH hier entschieden hat, ist es am Boden des Unions­rechtes. Weil es der EuGH den nationalen Gerichten ja freistellt, ob sie über die nationale Gesetz­gebung hinweggehen. Der OGH lässt die Regel un­ange­wen­det. Und Österreich hat Unions­recht nicht umgesetzt. Die Befristungs­richtlinie ist schon relativ alt, aus den 1990er Jahren. Österreich ist hier säumig – und argumen­tiert: Wir können über unseren Sittenwidrig­keits­paragrafen 879 im ABGB sowieso Ver­träge mit Befris­tungen kontrollieren; das sei ein aus­reichender Schutz­mecha­nis­mus, dass wir die Richtlinie umgesetzt hätten. Bloß: Außer den österreichi­schen Regie­rungen und dem OGH ist niemand in der Wissen­schaft der Meinung, dass das stimmt. Aber die EU-Kommission (als Hüterin des Gemeinschaftsrechts, Anm.) hat bis jetzt die Argumen­tation akzeptiert.

Der OGH trägt hier die Verantwortung dafür, dass er Arbeit­nehmer­schutz unter Unions­recht hält. Noch dazu in einem Bereich, wo wir uns als Land so toll heraus­streichen. Mit diesem Fall wird Kultur am Rücken anderer ermöglicht, weil der OGH nur eine eingeschränkte Willkür­kontrolle den Künstler:innen bei Bühnen zugesteht.

Wenn nationale Normen EU-Recht widersprechen, wird es in Zukunft immer schwerer werden, dieses Manko über Gerichtsverfahren zu sanieren. Sondern man wird auf den Gesetz­geber zurück­geworfen. Das ist eine sehr unsensible Judikatur. Das Gericht hat nicht seine Aufgabe gesehen, den Schwächeren zu schützen.


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Hier kannst du das Urteil des OGH nachlesen.

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