Lupe - Blick auf das Regierungsprogramm © valiantsin - stock.adobe.com


Mitbestimmen

Was Beschäftigte erwartet:
Ein Blick auf das Regierungsprogramm

Seit 3. März ist die neue Regierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS angelobt. Doch wie sehen die Pläne der Koalition für Beschäftigte aus?

Andreas  Rauschal
05.03.2025

Die schlechte Nachricht zuerst: Auf die neue Bundes­regierung warten viele Heraus­forderungen und noch mehr Probleme. So muss die Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS nach zwei Rezessionsjahren der heimischen Wirtschaft in Folge zunächst einmal das defizitäre Budget sanieren, das ihr die Vorgänger­regierung hinterlassen hat – eine Mammut­aufgabe.

Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft im Regierungsprogramm

Die gute Nachricht: Ein Blick auf das Regierungs­programm zeigt nicht nur ein Bekenntnis der drei Parteien zur Sozial­partnerschaft und somit zu dem Erfolgs­garanten der Zweiten Republik. Auch werden teils langjährige Forderungen der Arbeiter­kammer übernommen und in die Tat umgesetzt: etwa, wenn es um den Ausbau der Ganztagsschulen, die Weiter­bildung für Fachkräfte der Elementa­rbildung oder das Älteren-Beschäftigungs­paket (mit seinen Anreizen für das Arbeiten bis zum Pensions­antritt) geht. Anderswo – wie beim Ausbau der Umwelt- und Klimaschutz­maßnahmen – bleibt hingegen viel Luft nach oben. Doch was genau bedeuten die Vorhaben für Beschäftigte? Expert:innen der Arbeiterkammer haben das Regierungs­programm analysiert und bewertet.

Renate Anderl, Präsidentin, AK Wien © Sebastian Philipp
Das Regierungsprogramm zeigt annehmbare Lösungen, bleibt in zentralen Fragen aber oft an der Oberfläche. Bei der Umsetzung der EU-Lohntransparenzrichtlinie fordert AK Präsidentin Renate Anderl „weit mehr Tempo als bisher." © Sebastian Philipp

So sind in Sachen Steuern die Vereinfachung der Arbeit­nehmer:innen­veranlagung oder der Ausbau der betrieblichen Pensions­vorsorge positiv zu betrachten. Andererseits enthält das Programm viele allgemeine Ansagen zu steuerlichen Begünstigungen – wie zum Beispiel von Überstunden –, für die es weder ein Budget noch konkrete Vereinbarungen gibt. Falsche Erwartungen sind somit vorprogrammiert.

Qualifizierungsoffensive

Eine klare Standortvision sowie die Einbindung relevanter Stakeholder:innen und der Sozialpartner kennzeichnet die Standort- und Industriepolitik, die mit einer aktiven Fachkräfte­strategie einhergeht. „Allerdings“, wirft Arbeiterkammer Präsidentin Renate Anderl kritisch ein, „fehlt dabei der künftige Fachkräftebedarf – das muss unter Einbeziehung der Sozialpartner noch konkreter ausgearbeitet werden."

Das einkalkulierte schlagkräftige Budget für die Arbeitsmarktpolitik wird von den AK Expert:innen ebenso begrüßt wie die in Sachen Beschäftigung dringend benötigte Qualifizierungs­offensive. Verschlechterungen bei der Bildungs­karenz und die Einschränkung des Zuverdienstes zum Arbeitslosen­geld werden hingegen kritisch gesehen. Außerdem müssten Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden, wenn es etwa um das sogenannte „Zwischenparken“ von Beschäftigten beim AMS oder die Meldepflicht offener Stellen geht.

Familie und Frauen

Im Kapitel Arbeitsrecht ist vorgesehen, dass die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping vorangetrieben wird. Erfreulich sind auch wissenschaftlich begleitete Pilotprojekte zur Arbeitszeit­verkürzung, die anvisierte Modernisierung des Arbeit­nehmer:innen­schutzrechts, um gesundes Arbeiten bis ins Alter zu ermöglichen, sowie die geplante Möglichkeit, freie Dienstnehmer:innen in Zukunft kollektiv­vertraglich zu erfassen. Offen bleibt hingegen der Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung, der aus Sicht der Arbeit­nehmer:innen­vertretung besonders wichtig wäre – nicht zuletzt für junge Beschäftigte. Das ist ein weiterer Punkt (Stichwort Jugendvertrauensräte), den das Regierungsprogramm ausklammert. Dafür wird der Stellenwert der Lehre insgesamt erhöht und die Lehrabschlussprüfung, wie von der AK schon lange gefordert, reformiert. 

Der Bereich Familie/Kinder/Jugend zeichnet sich zwar durch die grundsätzliche Zielsetzung aus, die Partner­schaftlichkeit beim Kinderbetreuungs­geld und der Karenz zu stärken – wobei bereits existierende Ansätze wie etwa das AK-ÖGB Modell der Familienarbeitszeit nicht berücksichtigt wurden. Auch Anreize für die Erhöhung der Väterquote sind noch zu vage formuliert, so die Bewertung. 

Was uns zum Thema Frauen führt: Hier sieht das Regierungs­programm etwa die „Förderung der ökonomischen Unabhängigkeit“ vor, inklusive Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Außerdem steht ein Bekenntnis zur Umsetzung der EU-Lohn­transparenz­richtlinie – mit der letztlich der Gender-Pay-Gap bekämpft werden soll – auf der Agenda. Renate Anderl hofft hier, mit kritischem Verweis auf bisherige Versäumnisse, „auf weit mehr Tempo als bisher."

Licht und Schatten

Darüber hinaus unterstützt die Dreierkoalition auch die Aufstockung der von Frauen geleisteten Erwerbs­arbeitszeit. Dass Frauen dafür bei unbezahlter (Care-)Arbeit entlastet werden müssten, steht freilich auf einem anderen Blatt. Kaum eine Rolle spielt im Regierungs­programm übrigens das Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, obwohl es dazu bereits Vorlagen aus der Gastronomie für ein Schutzkonzept gibt – AKtuell hat berichtet. 

Insgesamt enthält das Programm also Licht und Schatten. Renate Anderl mit Blick in die nahe Zukunft: „Wir sehen als Arbeiterkammer die Chance, uns noch aktiv in die konkrete Umsetzung der Vorhaben einzubringen und uns dabei mit aller Kraft für die Interessen unserer Mitglieder, der Arbeitnehmer:innen in Österreich, einzusetzen.“


webtipp

Tipp Symbolbild © AK Wien

Regierungsprogramm

Was steht genau im Regierungs­programm und welche Auswirkungen ergeben sich aus den geplanten Maßnahmen? Die Analyse der AK Expert:innen in 27. Kapiteln findest du hier.


Weitere Artikel

Nachtarbeit © Markus Zahradnik
Arbeit
Nachtaktiv: Welche Risiken birgt die Nachtarbeit?
Rund 600.000 Menschen arbeiten hierzulande nachts – ein Drittel davon regelmäßig. Worauf ist bei Nachtarbeit zu achten?
Imagebild Barrierefreiheit © Robert Kneschke - stock.adobe.com
Recht klar
Barrierefreiheit hilft allen Menschen
Seit 1.1.2025 müssen Menschen mit mehr als 400 Beschäftigten Barriere­freiheits­beauftragte bestellen. AKtuell beleuchtet die Hintergründe.