Die schlechte Nachricht zuerst: Auf die neue Bundesregierung warten viele Herausforderungen und noch mehr Probleme. So muss die Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS nach zwei Rezessionsjahren der heimischen Wirtschaft in Folge zunächst einmal das defizitäre Budget sanieren, das ihr die Vorgängerregierung hinterlassen hat – eine Mammutaufgabe.
Die gute Nachricht: Ein Blick auf das Regierungsprogramm zeigt nicht nur ein Bekenntnis der drei Parteien zur Sozialpartnerschaft und somit zu dem Erfolgsgaranten der Zweiten Republik. Auch werden teils langjährige Forderungen der Arbeiterkammer übernommen und in die Tat umgesetzt: etwa, wenn es um den Ausbau der Ganztagsschulen, die Weiterbildung für Fachkräfte der Elementarbildung oder das Älteren-Beschäftigungspaket (mit seinen Anreizen für das Arbeiten bis zum Pensionsantritt) geht. Anderswo – wie beim Ausbau der Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen – bleibt hingegen viel Luft nach oben. Doch was genau bedeuten die Vorhaben für Beschäftigte? Expert:innen der Arbeiterkammer haben das Regierungsprogramm analysiert und bewertet.
So sind in Sachen Steuern die Vereinfachung der Arbeitnehmer:innenveranlagung oder der Ausbau der betrieblichen Pensionsvorsorge positiv zu betrachten. Andererseits enthält das Programm viele allgemeine Ansagen zu steuerlichen Begünstigungen – wie zum Beispiel von Überstunden –, für die es weder ein Budget noch konkrete Vereinbarungen gibt. Falsche Erwartungen sind somit vorprogrammiert.
Eine klare Standortvision sowie die Einbindung relevanter Stakeholder:innen und der Sozialpartner kennzeichnet die Standort- und Industriepolitik, die mit einer aktiven Fachkräftestrategie einhergeht. „Allerdings“, wirft Arbeiterkammer Präsidentin Renate Anderl kritisch ein, „fehlt dabei der künftige Fachkräftebedarf – das muss unter Einbeziehung der Sozialpartner noch konkreter ausgearbeitet werden."
Das einkalkulierte schlagkräftige Budget für die Arbeitsmarktpolitik wird von den AK Expert:innen ebenso begrüßt wie die in Sachen Beschäftigung dringend benötigte Qualifizierungsoffensive. Verschlechterungen bei der Bildungskarenz und die Einschränkung des Zuverdienstes zum Arbeitslosengeld werden hingegen kritisch gesehen. Außerdem müssten Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden, wenn es etwa um das sogenannte „Zwischenparken“ von Beschäftigten beim AMS oder die Meldepflicht offener Stellen geht.
Im Kapitel Arbeitsrecht ist vorgesehen, dass die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping vorangetrieben wird. Erfreulich sind auch wissenschaftlich begleitete Pilotprojekte zur Arbeitszeitverkürzung, die anvisierte Modernisierung des Arbeitnehmer:innenschutzrechts, um gesundes Arbeiten bis ins Alter zu ermöglichen, sowie die geplante Möglichkeit, freie Dienstnehmer:innen in Zukunft kollektivvertraglich zu erfassen. Offen bleibt hingegen der Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung, der aus Sicht der Arbeitnehmer:innenvertretung besonders wichtig wäre – nicht zuletzt für junge Beschäftigte. Das ist ein weiterer Punkt (Stichwort Jugendvertrauensräte), den das Regierungsprogramm ausklammert. Dafür wird der Stellenwert der Lehre insgesamt erhöht und die Lehrabschlussprüfung, wie von der AK schon lange gefordert, reformiert.
Der Bereich Familie/Kinder/Jugend zeichnet sich zwar durch die grundsätzliche Zielsetzung aus, die Partnerschaftlichkeit beim Kinderbetreuungsgeld und der Karenz zu stärken – wobei bereits existierende Ansätze wie etwa das AK-ÖGB Modell der Familienarbeitszeit nicht berücksichtigt wurden. Auch Anreize für die Erhöhung der Väterquote sind noch zu vage formuliert, so die Bewertung.
Was uns zum Thema Frauen führt: Hier sieht das Regierungsprogramm etwa die „Förderung der ökonomischen Unabhängigkeit“ vor, inklusive Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Außerdem steht ein Bekenntnis zur Umsetzung der EU-Lohntransparenzrichtlinie – mit der letztlich der Gender-Pay-Gap bekämpft werden soll – auf der Agenda. Renate Anderl hofft hier, mit kritischem Verweis auf bisherige Versäumnisse, „auf weit mehr Tempo als bisher."
Darüber hinaus unterstützt die Dreierkoalition auch die Aufstockung der von Frauen geleisteten Erwerbsarbeitszeit. Dass Frauen dafür bei unbezahlter (Care-)Arbeit entlastet werden müssten, steht freilich auf einem anderen Blatt. Kaum eine Rolle spielt im Regierungsprogramm übrigens das Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, obwohl es dazu bereits Vorlagen aus der Gastronomie für ein Schutzkonzept gibt – AKtuell hat berichtet.
Insgesamt enthält das Programm also Licht und Schatten. Renate Anderl mit Blick in die nahe Zukunft: „Wir sehen als Arbeiterkammer die Chance, uns noch aktiv in die konkrete Umsetzung der Vorhaben einzubringen und uns dabei mit aller Kraft für die Interessen unserer Mitglieder, der Arbeitnehmer:innen in Österreich, einzusetzen.“
Was steht genau im Regierungsprogramm und welche Auswirkungen ergeben sich aus den geplanten Maßnahmen? Die Analyse der AK Expert:innen in 27. Kapiteln findest du hier.