Das klingt beinah wie Akkordarbeit.
Susanne Wixforth: Ja, nicht nur das. Sondern wir haben diese Norm davor gar nicht bemerkt. Grundsätzlich schulden unselbstständig Erwerbstätige keinen Erfolg, sondern müssen nach der geleisteten Arbeitszeit entlohnt werden – nicht danach, wie viele Quadratmeter pro Stunde sie reinigen. Das ist ein deutliches Beispiel, wo das Arbeits- und Sozialrecht über Normung ausgehebelt wird.
Oder im Umweltrecht gibt es die Norm ISO14000, die von den Lieferanten ein Umweltmanagementsystem verlangt. Somit greift sie ebenfalls in die Arbeitsorganisation ein. Ein Unternehmen, das diesen Auftrag bekommt, verpflichtet sich zur Umsetzung wie in der Norm vorgeschrieben, ohne Rücksicht darauf, wie die interne Arbeitsorganisation bisher – oft unter Mitsprache der Betriebsräte – geregelt war.
Das Vorgehen ist trotzdem legal?
Susanne Wixforth: Legal, aber privatisiert. Genau genommen sind es Private, die sich mit Normen einen Rechtsrahmen außerhalb der Gesetzgebung schaffen. Wir nennen das „Privatisierung der Rechtsetzung“. Um sich bei Ausschreibungen ein umständliches Leistungsverzeichnis zu ersparen, nimmt der (öffentliche) Auftraggeber eine fertige ÖNORM, die das beauftragte Unternehmen – die Mitarbeiter:innen – erfüllen muss. Zusätzlich verweisen dann Gesetze und Urteile auf den Stand der Technik, so dass auch auf diesem Weg die Normung ins Arbeitsrecht kommt.
Welche Rolle können Arbeitnehmervertreter:innen hier einnehmen?
Susanne Wixforth: Wir haben ein sehr schwaches Mitspracherecht. Die Normen werden in der nichtstaatlichen Organisation Austrian Standards International (ASI, früher „Österreichisches Normungsinstitut“) vereinbart. Dort sitzen in den Arbeitsgruppen interessierte Unternehmen aus der jeweiligen Branche, im Normungsbeirat stellt die Seite der Arbeitnehmer:innen und der Konsument:innen je eines der 26 Mitglieder. Das ist ein strukturelles Ungleichgewicht.
Sollen sich Arbeitnehmer:innenvertretungen trotzdem einbringen?
Susanne Wixforth: Die Unternehmen finanzieren die Normentwicklungen aus wirtschaftlichen Interessen. Gewerkschaften und AK haben kein finanzielles Interesse und auch nicht die Ressourcenbereitschaft. Eine Norm kostet. Dazu kommt: Ich muss zahlen, damit ich den Inhalt der Norm bekomme. Die Normen „gehören“ den Normungsorganisationen, sie verdienen Geld mit ihrer Veröffentlichung. Die meisten Normen dürfen nicht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden – wie das bei rein österreichischen Gesetzen der Fall ist, damit sie verbindlich werden.
Unser erstes Ziel muss sein, unterste rote Haltelinien einzuziehen. Das Arbeitsrecht darf nicht berührt bzw. indirekt beeinträchtigt werden. Da ist uns eine Vereinbarung im Bereich Dienstleistungsnormen bzw. Gewerberecht mit dem ASI gelungen. Zweitens sitzen AK und ÖGB im Normungsbeirat. Bei der letzten Novelle 2016 haben wir uns eingebracht, damit die Stakeholder:innen, die Vertreter:innen der Beschäftigten-Seite, die strategische Ausrichtung mit beeinflussen können, wo Normen entwickelt werden sollen. Bei problematischen ÖNORMEN müssen wir noch viel mehr hinschauen, wie das Beispiel der Gebäudereiniger zeigt. Denn was passiert, wenn eine Arbeitskraft die auf diese Art verankerte Leistung, in Fläche pro Zeiteinheit, nicht erbringt, weil sie langsamer oder genauer arbeitet?
Warum Normung für Gewerkschaften wichtig ist, steht im Mittelpunkt einer Veranstaltung im Herbst. Dabei werden Ansätze für die Beteiligung der Sozialpartner:innen an Normungsprozessen präsentiert.
Susanne Wixforth: Ein Fallbeispiel wird sich mit der Luftqualität in Flugzeugen und dem gewerkschaftlichen Einfluss befassen, ein anderes mit Friseur:innen-Handschuhen, die mit den Sozialpartner:innen entwickelt wurden. Besser gemeinsam regeln und mitwirken, als gar nicht im Gremium sitzen – das ist die Devise. Die Gewerkschaft hat zugestimmt, die erwähnte Norm beim Reinigungspersonal in den KV zu übernehmen, weil es sonst gar keine Standards gibt. Der Konflikt zwischen „Privatnorm“ und demokratisch zustande gekommenem Arbeitsrecht bleibt jedoch.
Es ist doch gut, gemeinsame Standards zu haben, oder nicht?
Susanne Wixforth: So wird es argumentiert aus wirtschaftlicher Sicht. Natürlich ist es aus Sicht der Konsument:innen ebenfalls ein Vorteil, in Italien das selbe Kabel und den selben Stecker verwenden zu können wie in Österreich. In Wahrheit ist aber der zweite Grund: Große Unternehmen, die sich für eine Norm einsetzen, wollen, dass genau ihre Technik Standard wird. Um Wettbewerbsvorteile zu haben. Damit hat man nicht erreicht, was man angeblich möchte, nämlich den vereinfachten Zugang und die einheitliche Qualität. Für uns stehen arbeitsrechtliche und wettbewerbsrechtliche Bedenken im Fokus. Die kleinen Unternehmen – und damit ihre Beschäftigten – sind dadurch zusätzlich benachteiligt, weil sie vor allem bei Großaufträgen, wo teure Normen erfüllt werden müssen, das Nachsehen haben.
Was können Arbeitnehmervertreter:innen tun?
Susanne Wixforth: Zuerst erfassen, mit Hilfe der Betriebsrät:innen, welche Bereiche von Normung betroffen sind. Und den Normungsbeirat verstärkt nutzen; er bestimmt ja die strategische Ausrichtung für das ASI. Auch die EU-Kommission hat gemerkt, dass ihr durch Normung immer mehr Handlungsspielraum genommen wird. Deshalb hat sie in ihre neue Normungsstrategie eine stärkere Stakeholder-Beteiligung aufgenommen.
Aus all diesen Gründen ist für uns die Kooperation mit den Betriebsräten so immens wichtig. Weil sie möglicherweise im eigenen Unternehmen erfahren, wo eine Norm geplant ist, die die Betriebsabläufe, Fragen des Gesundheitsschutzes oder gar Arbeitszeit oder Entlohnung betrifft. Damit wir auch aus dem konkreten Betriebsalltag Informationen und Rückkoppelung bekommen. Dann können wir unsere Bedenken im Normungsbeirat einbringen. Selbst wenn wir überstimmt werden, nimmt das ASI den Widerstand durch die Stakeholder doch relativ ernst. In letzter Konsequenz könnten wir sogar eine Schlichtungsstelle anrufen. So gesehen ist unsere Aufgabe: Kontrolle der Normen und Zurückholung ins Recht.