Als wir Romana S., 62, zum Interview treffen, ist sie verunsichert. Die Angestellte wollte länger arbeiten, um eine „bessere Pension“ zu bekommen. Die Teuerung drohte ihr und hunderttausenden Beschäftigten einen Strich durch die Rechnung zu machen. Denn die Regelungen zur Berechnung der Pensionshöhe sind nicht auf die hohe Teuerung ausgerichtet – und führen zu absurden Ergebnissen. Erst am 29. März 2023 lenkte die Regierung aufgrund der Proteste von AK, ÖGB und anderen ein. Ein Teilerfolg für alle, die 2023 und 2024 in Pension gehen. Denn die Regierung hat angekündigt, eine der beiden Ursachen, die zu den hohen Einbußen für Neupensionist:innen führen, zu beheben. Doch die zweite Lücke bleibt voraussichtlich bestehen.
Medial heftig diskutiert wurde in den vergangenen Wochen die so genannte „Aliquotierung“ der Pensionsanpassung. Die Regierung verspricht nun, diese Regelung für zwei Jahre auszusetzen, sodass alle Pensionen im Folgejahr des Antritts an die Teuerung angepasst werden. Kaum gehört haben die meisten dagegen von der zweiten Lücke im Pensionsrecht, die für Neupensionist:innen in Zeiten einer hohen Teuerung negative Folgen hat: die verzögerte Aufwertung der Kontogutschrift im Pensionskonto. Beides zusammen hätten Einbußen von bis zu dreizehn Prozent ergeben.
Dinah Djalinous-Glatz , ÖGB
„Wir sammeln während der Erwerbstätigkeit auf unserem Pensionskonto unsere Pensionsgutschrift. Damit Pensionszeiten aus vergangenen Jahren ihren Wert behalten, werden sie verzinst“, erklärt Alexander Pasz, Jurist in der Abteilung Sozialversicherung der AK Wien. Der Faktor, mit dem das Pensionsguthaben aufgewertet wird, orientiert sich an der Lohnentwicklung. Die Aufwertung erfolgt aber um zwei Jahre verzögert. Das ist in Zeiten einer hohen Teuerung ein Problem. „Die Gewerkschaften haben für 2023 sehr gute Kollektivvertragsabschlüsse erzielt, dank derer die Einkommen der Beschäftigten um über 8 Prozent steigen. Die Neupensionen 2023 werden aber mit der Einkommensentwicklung von 2020 auf 2021 aufgewertet, und die lag bei rund drei Prozent “, erklärt Alexander Pasz. Die Folge: Die neuen Pensionen hinken der Lohnentwicklung hinterher. Die Verluste in Bezug auf die Kaufkraft betragen allein dadurch für alle Pensionsneuzugänge heuer 5,3 Prozent, im Jahr 2024 voraussichtlich sogar 7,7 Prozent und 2025 noch immer 4,2 Prozent.
Zusätzlich wären im Folgejahr nach Pensionsantritt viele um die Anhebung ihrer Pension umgefallen. Zurückzuführen ist das auf die Aliquotierung der Pensionsanpassung. Denn nur wer mit 1. Jänner in Pension geht, hätte nach der bisherigen Regelung Anspruch auf die volle Anpassung der Pension an die Teuerung im nächsten Jahr gehabt. Danach hätte sich die Anpassung Monat für Monat verringert. Wer im November oder Dezember 2023 in Pension geht, hätte im nächsten Jahr gar keine Anpassung bekommen. Hier hat die Regierung eingelenkt. Die gestaffelte Anpassung wird demnach für zwei Jahre ausgesetzt.
Alle Pensionen, die bis zum Ende 2024 zuerkannt werden, werden nun im Folgejahr nach Pensionsantritt voll an die Teuerung angepasst.
Mit ihrer Zusage, die Lücken im Pensionssystem teilweise zu reparieren, hat die Regierung lange zugewartet. Und viele Betroffene verunsichert. So auch Johanna M. Die Angestellte in einem Wiener Konzern ist selbst Betriebsrätin und Personalverrechnerin. Eigentlich wollte sie den Pensionsantritt aufschieben und 2024 mit 62 in Pension gehen. Da dies für sie zu hohen Einbußen bei der Pensionshöhe geführt hätte, hat sie kurzfristig heuer im Februar den Pensionsantrag gestellt. „Die Entscheidung glich einem Lotteriespiel. Das ärgert mich“, sagt sie.
Betroffen von den Einbußen durch die verzögerte Aufwertung der Kontoerstgutschrift sind alle Pensionsarten und -systeme der gesetzlichen Pensionsversicherung. Die nun ausgesetzte Aliquotierung der ersten Pensionsanpassung hätte besonders Frauen getroffen. Denn ab nächstem Jahr wird das Antrittsalter der Frauen für die Alterspension schrittweise erhöht, bis es 2033 – so wie jenes der Männer – bei 65 Jahren liegt. Die Anhebung führt dazu, dass die allermeisten Frauen erst in der zweiten Jahreshälfte in Pension gehen können (siehe Tabelle).
Alexander Pasz, AK Wien
„Weil sich die Pensionsantritte der Frauen auf die zweite Jahreshälfte konzentrieren werden, hätten viele Frauen im Folgejahr nur eine geringe oder gar keine Anpassung der Pension erhalten“, erklärt Dinah Djalinous-Glatz, Leiterin des Referats für Sozialversicherungspolitik im ÖGB. Die Forderung von ÖGB und AK, dass die Aliquotierung der Pensionsanpassung gestrichen werden soll und im Jahr nach Pensionsantritt alle die Teuerung voll abgegolten bekommen, hat die Regierung nun aufgegriffen. Allerdings nur befristet bis Ende 2024.
Die Aliquotierung der ersten Pensionsanpassung sollte jedoch gänzlich abgeschafft werden.
Eine Lösung braucht es dazu auch für die Aufwertung der Kontogutschrift. AK-Experte Alexander Pasz: „Wir haben auch dafür eine Lösung parat, konkret die Einführung einer Schutzklausel. Sie stellt sicher, dass die Kontogutschrift vor Pensionsantritt zumindest im Ausmaß der Inflationsrate aufgewertet wird. Pensionsverluste durch die Teuerung werden damit ausgeschaltet.“
Möglich wäre es also, auch diese Lücke in unserem Pensionssystem zu schließen. Aber wird die Politik das machen? Romana S. hofft es und wartet zu.
Telefonische Auskunft der AK Wien zum Pensionsrecht:
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Tel.: +43 1 50165 1204
ÖGB-Online-Info:
Das Pensionsantrittsalter für Frauen steigt.